Wilhelm Raabe

Keltische Knochen & Gedelöcke


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triefenden Regenschirm auseinander.

      „Herr Prosektor,“ sagte ich, „ich bitte jetzt höflichst, mir diesen Herrn vorzustellen — Herr Prosektor, ich bitte Sie, sich zu beruhigen — mein Herr, lassen Sie mich den Neutralen spielen, lassen Sie mich den Friedenskongreß eröffnen —“

      „Ich bin Professor Steinbüchse aus Berlin,“ sprach der Fremdling. „Professor der Altertumskunde Steinbüchse, auf einer wissenschaftlichen Reise zu den neuentdeckten Leichenfeldern am Hallstädter See im Salzkammergut begriffen.“

       „Ah!“ sagte ich, aber Zuckriegel schrie:

      „Er behauptet, es seien keltische Knochen; jedes Kind sieht —“

      „Ein Kind sieht hier germanisches Gebein,“ schrie Steinbüchse, „aber jeder unver—“

      „Halt, halt, halt, meine Herren!“ schrie auch ich jetzt mit aller Kraft meiner Lungen. „Keinen neuen Friedensbruch! keine unnötigen Anzüglichkeiten! keine gelehrten Redeblumen! Bitte, Herr Professor, kommen Sie soeben von diesen fraglichen Knochen zurück?“

      „Ich bin auf der Reise dorthin begriffen.“

      „Also haben Sie eben diese Knochen noch gar nicht gesehen?“

      „Nur durch das Medium der öffentlichen Blätter.“

      „Und Sie sind auch noch gar nicht oben am Rudolfsturm gewesen, Herr Zuckriegel?“

      „Bei diesem Wetter? Müßte doch ein Narr sein! Die Knochen schwimmen nicht fort, und ich kann warten. Lag ruhig auf dem Rücken und las den Avé-Lallemant, als ich überfallen wurde von diesem — — —“

      Der Rest der Rede ging in einem undeutlichen Gemurmel verloren, ich glaube etwas von „böotischem Hochstapler“ vernommen zu haben; heiser wie ein vermittelnder neutraler Gesandter auf einer Friedenskonferenz rief ich:

      „Reichen Sie sich die Hände, meine hochverehrten Herren. Ohne Umstände — seien Sie Brüder, wie Sie Kollegen sind. Die Wissenschaft schreitet am besten durch das heitere Bündnis aller Kräfte fort. Lassen Sie uns friedfertig zusammen zu Abend essen und morgen früh frisch, fromm, froh emporsteigen zu diesen geheimnisvollen Gebeinen, und den Streit an Ort und Stelle zum Austrag bringen.“

      Durch mehrere verhängnisvolle Augenblicke sahen sich die beiden Gelehrten grimmig an; dann aber zeigte Steinbüchse, daß er noch nicht ganz dem Prosektor ähnlich sei; er erklärte sich bereit, Frieden und den Mund zu halten bis morgen früh; setzte jedoch hinzu, daß er morgen früh bei jedem Wetter zum Rudolfsturm hinaufklettern werde.

      Knurrend nahm Zuckriegel sein Gaunerbuch wieder vom Boden auf, zu einem weitern Zugeständnis in bezug auf diese so mühsam errichtete treuga Dei ließ er sich nicht herab. Daß der fromme Dichter in diesem Augenblick ins Zimmer hüpfte, trug mehr als alles übrige dazu bei, die Gemüter zur Ruhe zu bringen; der besänftigende Zauber der Poesie trat einmal wieder so recht klar zutage.

      Roderich von der Leine war sehr naß, so naß, daß er sich am besten selbst auf die Leine zum Trocknen gehängt hätte. Aber er dachte nicht daran. Seine Sehorgane rollten in dem bekannten schönen Wahnsinn; auch er hielt seine Brieftasche in der Hand, und es tröpfelte aus ihr. Die Geburt war vollendet, der Verfasser der Lebensblüten hatte seine Linzer Erlebnisse unter dem Einfluß des erfrischenden Gestäubes des Hallstädter Mühlbachs in Reime gebracht; Zuckriegel stöhnte schwer.

      Ich stellte den Professor Steinbüchse und den Dichter einander vor, und der Professor offenbarte eine neue Unähnlichkeit mit dem Prosektor; er war höflich, er war duldsam, ja er war sogar zuvorkommend gegen den Poeten und bat ihn herzlich, sich doch ja nicht durch seine Gegenwart abhalten zu lassen, sein Gedicht vorzutragen. Vielleicht war und tat er das alles nur, weil er die Grimassen, das Schnauben, Achselzucken, all die kläglichen Windungen Zuckriegels bemerkte und deutete.

      „Ja, lesen Sie, tragen Sie vor,“ sagte ich, nicht ohne den Spuren des Professors zu folgen.

       „Würde es nicht besser sein, wenn Sie erst den Anzug wechselten?!“ seufzte Zuckriegel. „Sie können sich leicht sehr arg erkälten, Herr Krautworst. Es wäre doch recht schade, wenn Sie durch jugendliche Unbesonnenheit sich selbst um-, und die Nachwelt um Ihre noch unerschaffenen unsterblichen Werke brächten.“

      Da die weißen Gewänder noch immer naß in der Küche am Herde hingen, so hätte Rodrigo sich nur in das Kostüm Adams werfen können, wenn er den zärtlichen, besorglichen Ratschlägen Zuckriegels hätte Folge geben wollen. Die innere Aufregung hob ihn übrigens über alle rheumatischen, katarrhalischen Befürchtungen hinweg:

      Den hohen Göttern war er eigen,

      Ihm durft nichts Irdisches sich nahn.

      „Wollen Sie nicht wenigstens andere Strümpfe anziehen? ich würde sehr dazu raten. Junge Dichter sind so schon sehr zu Kongestionen nach dem Cerebralsystem geneigt,“ sagte Zuckriegel in wahren Flötentönen.

      Der Dichter schüttelte nur zerstreut das Haupt; er blätterte heftig in seinem Notizbuche.

      „Nun denn, in drei Teufels Namen, so lassen Sie’s laufen!“ schnauzte Zuckriegel, zum Äußersten und um seine Kosten in Hinsicht auf die vorige Höflichkeit und Milde gebracht.

      Roderich von der Leine wendete sich zu uns:

      „Haben Sie bereits den Mühlbach gesehen, meine Herren?“

      „Nein,“ sagte ich, und auch Steinbüchse hatte noch nicht das Vergnügen gehabt.

      „Sie müssen ihn sehen!“ rief emphatisch der Poet. „Originell, — romantisch im höchsten Grade. Da ist ein alter dunkler Bogen mit einer Nische und einem Bilde, einem Bilde des heiligen — wenn ich nicht irre, des heiligen Sebastian drin; ich habe über zwei Stunden dort gestanden.“

      „Den Mühlbach sah ich nicht; Sie aber sah ich, liebster Freund, wollte Sie jedoch nicht stören.“

      Dankend neigte Roderich das Haupt gegen mich, dann aber fuhr er mit der Brieftafel ruckartig gegen die Nase und begann, anfangs schüchtern, dann aber immer mutiger, mit den bekannten Seitenblicken auf die Zuhörerschaft:

      „Grau verschleiert schaun die Berge

      Auf die fremde Stadt herein,

      Unablässig rieselt’s nieder,

      Und ich gähne kläglich drein.“

      „Grade wie ich!“ knurrte Zuckriegel, der die verdrießliche Nase wieder in seinen Avé-Lallemant gesteckt hatte.

      „Gott, o Gott, ach woll es wenden,

      Gott, Erbarmen habe du!

      Sende mir in diesem Trübsal

      Einen deiner Engel zu!“

      „Mir auch! ich bitte dringend!“ seufzte Zuckriegel.

      „Goldgelockt, mit blauen Augen,

      Schlank und weiß von Angesicht

      Laß ihn sein, um mich zu trösten; —

      Flügel, — Flügel braucht er nicht.“

      „Ich aber könnte sie gebrauchen!“ seufzte Zuckriegel.

      „Von dem Dome summt die Glocke,

      Und die frommen Christen schleichen

      Durch den Schmutz der Stadt zur Messe;

      Gott, o Gott, laß dich erweichen!“

      „Was solch ein Mensch doch alles verlangt. Selber kennt er kein Mitleid,“ brummte Zuckriegel.

      „Einen Engel send hernieder

      Oder einen Sonnenstrahl,

      Lasse mich nicht untergehen

      Hier in dieser Jammerqual!“

      „Auch mich nicht; ich flehe inständigst darum!“ sagte Zuckriegel; der Dichter aber machte uns darauf aufmerksam, daß sein Gedicht durch feine Einschnitte