ja …, ich habe ja nicht viel. Aber du kannst mir glauben, dass wir dort viel bequemer leben würden. Und deine Eltern wären in einem Altersheim auch gut aufgehoben.«
Er war entsetzt, fassungslos und begriff erst nach einigen Sekunden, was seine schöne Freundin eigentlich meinte. Sie wollte nicht ihn, sondern sein Geld. Sich eisern beherrschend, nickte er scheinbar zustimmend und stellte sich vor, wie sein noch sehr mobiler Vater in einer kleinen Wohnung am Fenster saß, sich tüchtig langweilte und seinen Frust an der Mutter ausließ.
Seine Miene blieb jedoch so undurchdringlich, dass Lara sich insgeheim vorwarf, zu schnell vorgeprescht zu sein. So würde sie ihr Ziel wahrscheinlich nicht erreichen, zumindest vorläufig nicht.
Umso erstaunter war sie, als Bernulf schließlich gleichmütig antwortete: »Ich werde mit meinen Eltern reden.«
Danach wurde über diese Angelegenheit nicht mehr gesprochen. Der Jungbauer lud seine Freundin zum Essen ein und blieb auch bis zum nächsten Morgen bei ihr – so wie immer. Dass er in dieser Nacht nur wenig schlief, bemerkte sie nicht.
*
Robert Süderhoff stieß einige nicht druckreife Äußerungen hervor, nachdem sein Sohn ihm mitgeteilt hatte, wie Freundin Lara sich die gemeinsame Zukunft vorstellte. Danach forderte er seine ebenfalls anwesende Ehefrau auf, ihm einen doppelten Magenbitter zu bringen, trank diesen in einem Zug aus und fragte danach ebenso argwöhnisch wie verächtlich: »Du wirst doch hoffentlich nicht auf die – Wünsche – dieser – dieser völlig überdrehten Dame eingehen?«
»Nein, ganz gewiss nicht. Sie behauptet zwar, mich gernzuhaben, aber ich glaube, sie will mich nur manipulieren, damit ich das mache, was sie will. Sie will sogar, dass wir hier alles verkaufen. Und sie will sich ins gemachte Nest setzen.«
»Vielleicht ist ihr das alles gar nicht so recht bewusst, vielleicht ändert sie sich noch«, wandte seine Mutter beschwichtigend ein.
»Ja, vielleicht ist es so. Vielleicht hat sie noch gar nicht richtig über unsere Zukunft nachgedacht. Deshalb werde ich sie auf die Probe stellen.«
»Wie denn?«, fragten Vater und Mutter wie aus einem Mund.
Bernulf lächelte amüsiert und erklärte dann: »Ich werde ihr sagen, dass ihr mich nach einem gewaltigen Krach rausgeworfen und enterbt habt. Mir bleibt nur noch der Hof von Onkel Justus. Geht sie mit mir nach Barkenow in die Einsamkeit, arbeitet kräftig mit und steht auch in schlechten Zeiten zu mir, dann kann aus uns noch etwas werden. Tut sie es nicht, dann ist es aus zwischen uns, dann kann sie sich einen anderen Mann suchen. Und mit dem kann sie dann nach Mallorca oder sonst wohin auswandern.«
»Keine schlechte Idee. Wann willst du die Sache durchziehen?«
»Gleich nach der Rapsernte, Papa. Danach kannst du mich bestimmt für eine Weile entbehren. Ich muss ja schließlich so tun, als ob ich dort wirklich wohne, werde daher in den nächsten Tagen hinfahren und die nötigen Vorbereitungen treffen.«
»Wunderbar, fahr nur hin, aber entferne bloß nicht alle Spinnweben«, empfahl ihm seine Mutter. »Deine Zukünftige sollte das Haus im Urzustand sehen, damit sie weiß, was sie zu tun hat.«
»Natürlich, wie denn sonst? Meinst du, ich lasse vorher ein Putzkommando kommen?« Bernulf lachte leise und spöttisch.
Die Sache, die er sich in einer langen Nacht ausgedacht hatte, begann, ihm Spaß zu machen. Seinen Eltern übrigens auch. Sie waren der Ansicht, dass die zu sehr von sich eingenommene Lara Paulsen einen gehörigen Dämpfer verdient hatte.
Bereits am nächsten Tag fuhr Bernulf nach Barkenow, einem kleinen Ort an der Ostseeküste.
Und während sein schneller Wagen die zweihundert Kilometer mühelos bewältigte, waren Anne Lindau und ihre kleine Tochter wie schon oft mit den Fahrrädern unterwegs. Nathalie hatte Sommerferien und Anne Urlaub. Für eine Urlaubsreise reichten die Finanzen nicht, für einige Ausflüge in die nähere Umgebung und einem Abstecher in ein nettes Lokal oder eine Eisdiele schon eher.
»Fahren wir auch wieder zum Dornröschenhaus?«, rief Nathalie in diesem Augenblick, während sie die schmale, aber gut befestigte Straße entlangradelten, die nach Barkenow führte.
»Meinetwegen. Dort können wir eine kleine Pause machen.«
»Prima«, freute sich das Kind und fuhr dann so schnell es konnte zu dem Hof, den Justus Radke noch vor vier Jahren zusammen mit einem Ehepaar aus dem Dorf bewirtschaftet hatte. Nach seinem plötzlichen Tod wurde zwar der größte Teil der Äcker und Wiesen von der Agrargenossenschaft bewirtschaftet, das Vieh war jedoch verkauft worden, und das Haus verschlossen. Die Erben des alten Mannes hatten es offenbar so angeordnet.
Mehr wusste Anne nicht, sie kam hier nur gern vorbei, denn das Anwesen lag schließlich nur wenige Kilometer von Heinstedt entfernt und sah mittlerweile wie eine verwunschene Märchenwelt aus. Im Garten gab es nämlich neben zahlreichen Bäumen und Sträuchern Rosen in Hülle und Fülle. Sie blühten in Beeten und Rabatten und kletterten am Wohnhaus sogar bis zum Dach empor. Nathalie fand das alles wunderschön und wäre gar zu gern in das Haus hineingegangen. Vielleicht schlief dort ja wirklich das Dornröschen und wartete auf den Königssohn.
»Es ist wirklich echt schade, dass wir da nicht reingehen können«, meinte sie auch heute bedauernd, nachdem sie sich auf die alte Bank am Rande des Hofes gesetzt und die mitgebrachten Schnitten verzehrt hatten.
»Wahrscheinlich ist in dem Haus gar nichts mehr drin«, entgegnete ihre Mutter. »Die Erben werden alles verkauft haben. Und der Hof steht sicher auch zum Verkauf. Es wollte ihn wohl bloß noch keiner haben.«
»Können wir ihn nicht kaufen?«, schlug die Kleine eifrig vor. »Dann hätten wir viel mehr Platz als jetzt und könnten uns viele Tiere anschaffen – Schafe und Ziegen, Hunde und Katzen, Gänse und Enten und kleine Schweinchen. Die würden wir dann jeden Tag füttern.«
Anne lächelte nachsichtig und erwiderte: »So einfach ist das leider nicht. Für das, was du möchtest, braucht man viel Geld. Und das haben wir nicht. Und wir könnten die meisten Tiere auch nicht immer behalten, wir müssten sie verkaufen, wenn sie groß genug sind. Denk doch an die Gänse, die meist zu Weihnachten geschlachtet werden.«
»Das müsste ich mir ja nicht angucken«, gab die bereits sehr praktisch denkende Nathalie zurück. »Und im Frühjahr gibt es dann neue kleine Gänschen und kleine … Mutti, da ist jemand.«
Das Mädchen wies mit der Hand erschrocken auf den großen schlanken Mann, der eben aus dem Stallgebäude gleich nebenan trat und langsam auf sie zu schlenderte.
Anne war auch erschrocken und fühlte sich gleichzeitig wie gelähmt. Sie konnte nichts sagen und nicht aufstehen, sie konnte den Mann nur anstarren, als könnte sie nicht begreifen, dass Bernulf Süderhoff leibhaftig vor ihr stand.
»Entschuldigen Sie«, wandte er sich freundlich an Anne. »Ich glaube, ich habe Ihnen und Ihrer Tochter jetzt einen ordentlichen Schreck eingejagt.«
Er konnte sich an sie nicht mehr erinnern – Gott sei Dank! Anne erhob sich, genauso wie ihre Tochter, atmete unwillkürlich auf und erwiderte möglichst gelassen: »Ja, so ist es. Aber da Sie ganz harmlos aussehen, brauchen wir wohl keine Angst zu haben. Wir haben hier übrigens nichts zu suchen, aber meine Tochter findet das Dornröschenhaus so schön und möchte es sich immer wieder ansehen.«
»Dornröschenhaus?«, wiederholte er verdutzt, schaute zu dem behäbigen Fachwerkhaus und meinte dann lächelnd zu Nathalie: »Da hast du vollkommen recht, Kleine. Die Rosen haben hier tatsächlich gigantische Ausmaße angenommen. Ich werde sie beschneiden müssen, wenn ich hier wohnen will.«
»Sie sind wohl der Erbe?«, entfuhr es Anne, worauf er ruhig bestätigte: »Ja, der bin ich. Mein Name ist Süderhoff. Der verstorbene Herr Radke war mein Großonkel. Ich habe den größten Teil des Acker- und Weidelandes zwar verpachtet, mich aber um den Besitz nicht weiter gekümmert. Und deshalb sieht hier alles wie bei Dornröschen aus. Aber dir gefällt es hier, nicht wahr, kleines Mädchen? Das habe ich schon durch das geöffnete Stallfenster gehört.«
Bernulf