Patricia Vandenberg

Dr. Norden Jubiläumsbox 5 – Arztroman


Скачать книгу

Mit der Arbeit in der Bäckerei und dem kleinen, angeschlossenen Café hatte sie sich während ihres Studiums etwas Geld dazu verdient. Inzwischen schrieb sie an ihrer Bachelor-Arbeit, sodass sie noch mehr Zeit in ihrer geliebten Bäckerei verbringen konnte.

      »Schönen guten Morgen, Herr Beer«, begrüßte sie ihren Stammkunden mit einem strahlenden Lächeln.

      »Sie haben wirklich Humor«, gab Bernhard zurück. Trotz des unfreundlichen Wetters konnte er nicht anders, als Tatjanas Lächeln zu erwidern. »Bei diesem Schmuddelwetter von schön zu reden …«

      »Alles eine Frage der Einstellung«, erwiderte Tatjana unbeeindruckt. »New York versinkt beispielsweise gerade im Schneechaos. Und ehrlich gesagt sind mir ein paar Minusgrade und grauer Himmel lieber als meterhohe Schneewände vor der Bäckerei.«

      »Wo Sie recht haben, haben Sie recht«, lachte Bernhard. Tatjanas Charme war unwiderstehlich und zauberte trotz der vielen Probleme, mit denen er sich herumschlagen musste, immer wieder die Sonne in seine Seele.

      »Freut mich, dass wir mal wieder einer Meinung sind«, gab sie gut gelaunt zurück und verpackte mit Vergnügen zwei Rosinenschnecken in eine und ein paar Brötchen in eine andere Tüte. »Ich wünsch Ihnen einen schönen Tag!«, verabschiedete sie sich von Herzen.

      Sichtlich besser gelaunt als noch ein paar Minuten zuvor machte sich Bernhard Beer auf den Rückweg ins Reisebüro, wo seine Frau bereits am Schreibtisch saß. Als er die Räume betrat, beugte sie sich gerade tief über die Unterlagen eines Reiseveranstalters und tippte Zahlen in den Taschenrechner, der neben ihr auf dem Schreibtisch lag.

      »Schau mal, ich hab uns Brötchen und was Süßes besorgt.« Zum Beweis hielt er die beiden Tüten hoch.

      Doch Charlotte hob noch nicht einmal den Kopf.

      »7345 Euro und 20 Cents … keine Zeit … 8457,40 Euro«, murmelte sie gedankenverloren.

      Seufzend ließ Bernhard die Arme sinken und betrachtete seine Frau mit sichtlicher Sorge.

      »Du gönnst dir noch nicht mal mehr ein Frühstück. Dabei ist das die wichtigste Mahlzeit des Tages.«

      »Das ist ein Ammenmärchen«, erwiderte Charlotte und schrieb die eben ausgerechnete Summe unter die Aufstellung, die vor ihr lag. »Außerdem sagte ich doch schon, dass ich keine Zeit habe. In einer halben Stunde kommen die ersten Kunden zur Beratung. Bis dahin muss ich das hier fertig haben.«

      »Aber du musst auf dich aufpassen«, bemerkte Bernhard. Mit den Tüten ging er hinüber in die kleine Küche, die an das große, offene Büro angrenzte. »Trinkst du wenigstens einen Kaffee mit mir?«

      »Ja!«, kam zumindest diesmal eine positive Antwort.

      Charlotte legte den Stift zur Seite und hob endlich den Kopf. Durch die geöffnete Tür hindurch sah sie ihrem Mann dabei zu, wie er Kaffeepulver in den Filter löffelte. »Aber warum sollte ich auf mich aufpassen? Doch nur, damit ich den Laden in Schuss halte.« Ihre Stimme klang überraschend grimmig.

      Nur mit Mühe konnte Bernhard ein ungläubiges Lachen zurückhalten. Wenn Charlotte wüsste … Aber sie wusste nicht, und genau das war ja seine Absicht gewesen.

      »Nein, nicht wegen des Ladens. Ganz einfach deshalb, weil ich dich liebe«, sagte er mit so unerwartet warmer Stimme, dass Charlotte milder gestimmt wurde.

      »Das hast du schön gesagt, mein Lieber.« Ein kurzes Lächeln ließ ihre weißen Zähne aufblitzen, ehe ihre Gedanken sofort weiter eilten. »Apropos Liebe. Was ist eigentlich mit unserer Tochter? Kommt sie heute Abend vorbei, um dir mit dem Computer zu helfen?«

      »Du glaubst doch nicht etwa im Ernst, dass Teresa ein Versprechen vergisst?«

      »Nein, leider nicht, da hast du recht.« Charlotte schnitt eine Grimasse. Im Gegensatz zu ihrem Mann schien sie sich über den angekündigten Besuch nicht zu freuen. »Dann muss ich mir heute Abend also mal wieder anhören, was ich alles mit dem Geschäft falsch mache.«

      Gurgelnd und leise zischend lief der Kaffee durch die Maschine in die Kanne auf der Warmhalteplatte. Bernhard holte zwei Tassen und einen Teller aus dem Schrank und seufzte.

      »Jetzt sieh doch nicht immer alles so schwarz und lass die alten Streitereien ruhen«, bat er seine Frau.

      Doch Charlotte war weit davon entfernt, auf ihren Mann zu hören.

      »Seit Teresa Tourismuswirtschaft studiert hat, hält sie sich doch für was Besseres«, bemerkte sie bitter und rieb sich die trotz der frühen Stunde müden Augen. »Mit einem kleinen Reisebüro gibt sie sich doch gar nicht erst ab.«

      »Sie geht eben einen anderen Weg«, versuchte Bernhard wie immer, Charlotte zu besänftigen, als das Telefon klingelte. Sie zuckte mit den Schultern und griff zum Hörer. Als sie die Stimme ihrer Freundin Fee Norden hörte, wurde ihre Miene wenigstens ein bisschen freundlicher.

      »Fee, meine Liebe, wie geht es dir?«, fragte sie in den Hörer, während Bernhard Kaffee in die beiden Becher schenkte. Als er mit einem Tablett in den Händen zurückkehrte, hatte Charlotte das Telefonat beendet.

      »Na bitte, so schlecht, wie ihr immer sagt, scheint mein Service doch gar nicht zu sein!«, frohlockte sie und ließ sich sogar dazu hinreißen, mit spitzen Fingern ein klebriges Stück von der verlockenden Rosinenschnecke abzureißen, die Bernhard auf dem Teller angerichtet hatte. »Heute Abend kommen Fee und Daniel vorbei. Sie wollen sich eine Thailand-Reise ausarbeiten lassen.«

      Bernhard hatte einen tadelnden Kommentar auf den Lippen, den er sich aber wohlweislich verkniff. Stattdessen zwang er sich ein Lächeln ins Gesicht und reckte den Daumen der rechten Hand in die Höhe zum Zeichen, dass er sich über diesen Erfolg freute, so klein er auch sein mochteund so wenig er über die Schieflage hinweg helfen konnte, in die das kleine Reisebüro in den letzten Jahren geraten war.

      *

      »Du willst Leon also mit einem raffinierten Outfit überraschen?«, fragte Tatjana Bohde, als sie an diesem Nachmittag mit Anneka Norden durch die Fußgängerzone der Münchner Innenstadt schlenderte.

      Aufgeregt tänzelte die junge Frau neben ihrer erwachsenen Freundin her.

      »Findest du das blöd?«, fragte sie unsicher und sah Tatjana von der Seite an. »Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen. Da dachte ich mir, dass es ihm vielleicht gefällt, wenn ich irgendwie besonders aussehe.« Vor Verlegenheit und Kälte glühten ihre Wangen in schönstem Rot. »Besonders sexy«, fügte sie so leise hinzu, dass Tatjana es kaum hörte.

      Doch das hatte die sich ohnehin schon gedacht.

      »Ich finde, dass das eine tolle Idee ist«, versuchte sie, Anneka zu beruhigen und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Das hab ich mit Danny auch schon gemacht. Komm schon, ich weiß, wo es das Richtige für deine Zwecke gibt.« Sie nahm Anneka an der Hand und zog sie mit sich in Richtung des Kaufhauses, in dem sich bestimmt etwas Passendes für den Empfang des jungen Tennisstars finden lassen würde.

      Durch Zufall hatte Leon Matthes seine Sandkastenfreundin Anneka im Wartezimmer der Praxis Dr. Norden wiedergetroffen. Sie war maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass er sich zu der riskanten Operation seines Bandscheibenvorfalls entschieden hatte. Nach dem erfolgreichen Eingriff und der anschließenden Rehabilitation auf der Insel der Hoffnung konnte der aufstrebende Sportler endlich wieder nach Hause zurückkehren. Diesem Augenblick fieberte Anneka seit Wochen entgegen. Endlich würde sie die zarte Liebe leben können, die sie mit Leon verband. Zumindest hoffte sie das nach der langen, sehnsüchtigen Zeit inständig.

      Zum Glück fand sie in Tatjana eine verständnisvolle, schwesterliche Freundin, die ihr mit Rat und Tat zur Seite stand.

      »Kannst du mir mal erklären, was an diesem winzigen Stück Stoff dreißig Euro kostet?«, fragte Anneka unwillig, als sie eine halbe Stunde später eine hübsch gemusterte Tasche aus dem Kaufhaus trug.

      »Weil das der Stoff ist, aus dem Männerträume sind«, erwiderte Tatjana amüsiert. »Mal abgesehen davon, dass ich dreißig Euro für dieses süße Spitzenshirt nicht zu teuer finde. Leon werden die Augen aus dem Kopf