hielten die Korporale ein.
»Ich strafe einen Soldaten«, sagte Kapitän Pauloff kalt, während in ihm alles kochte, denn auch er hielt Iwan für seinen glücklicheren Nebenbuhler.
»Wofür?« fragte der weibliche Oberst, »und mit welchem Recht?
»Mit dem Rechte, welches mir als Kompagniechef zusteht, meine Leute für Dienstvergehen zu strafen,« erwiderte Pauloff noch immer gelassen.
»Was hat der Mann begangen?« warf Frau von Mellin ein, »gewiß wieder eine Bagatelle, ist er diesmal vielleicht bleich geworden, als er im Gliede stand?«
»Er ist gestern Abend eine volle Viertelstunde nach dem Zapfenstreiche nach Hause gekommen«, sagte der Kapitän.
»Wahrhaftig, eine volle Viertelstunde?« höhnte der weibliche Oberst, »und dafür eine so unmenschliche, entehrende Strafe?«
»Ob der Zapfenstreich um eine Minute oder um eine volle Stunde überschritten wird«, entgegnete Pauloff, »ist gleichgültig – übrigens handelt es sich hier noch um etwas ganz anderes. Dieser Mann verschmäht es, sich zu rechtfertigen, ja, er verweigert trotzig jede Antwort darüber, wo er den gestrigen Abend zugebracht und auf welche Weise er abgehalten wurde –.«
»Wenn es nichts weiter ist,« sagte Frau von Mellin, »darüber kann ich Aufklärung geben. Ich weiß wo Iwan Nahimoff gestern Abend war. Dies wird Ihnen wohl genügen, Herr Kapitän.«
»Nein, dies genügt mir nicht«, rief Pauloff, dem die Zornesadern auf der Stirn schwollen, »ich muß wissen, wo der Mann war.«
»Müssen Sie das wirklich wissen?« spottete Frau von Mellin, »nun gut, Iwan Nahimoff war gestern Abend bei mir! –«
Pauloff entfärbte sich, in der Kompagnie entstand eine unbeschreibliche Bewegung.
»Wenn der Mann trotzdem eine Strafe verdient,« sagte Frau von Mellin mit einer Würde, welche Pauloff förmlich zu Boden schmetterte, »so strafen Sie ihn menschlich… vergessen Sie nie, daß es einer Ihrer Brüder ist, der gefehlt hat.«
»O! wir kennen diese lächerlichen Sentenzen, diese modernen Ideen französischer Philosophen,« erwiderte Pauloff, welcher die Herrschaft über sich vollkommen verlor, »es stünde Ihnen besser an, nicht zu vergessen, was Sie mir, dem Edelmanne und Offiziere, schuldig sind, als mich – und sich selbst – eines gemeinen Soldaten wegen dem Gelächter Preis zu geben.«
»Glauben Sie?« sagte Frau von Mellin, deren Augen Blitze schossen, welche aber immer ruhig, ja spöttisch blieb. »Ich finde dagegen nichts lächerlicher als Pretentionen, welche sich auf Vorzüge stützen wie Adelsbrief und Offizierspatent, die man jeden Augenblick zerreißen kann. Was bleibt dann übrig, wenn das einzige nicht vorhanden ist, was heutzutage noch geachtet wird, der echte Menschenwert?«
»Noch bin ich Offizier!« rief Pauloff.
»Sie sind es nicht mehr,« gab der Oberst im Reifrock keck und schneidend zur Antwort und riß zugleich Pauloff die Epauletten herab.
»Sie wagen …?« stammelte dieser, nach dem Degen greifend.
»Ich bin hier an der Zarin Stelle, wer mir ungehorsam ist, verletzt seine Pflichten gegen die Monarchin,« fuhr Frau von Mellin fort, während ihr Samtkleid drohend knisterte; »ich habe strengstens verboten, meine Soldaten mit dem Stocke zu strafen. Sie haben mein Verbot verhöhnt, Ihre Pflicht als Offizier mit Füßen getreten. Sie sind ein Rebell, Sie verdienen exemplarisch gestraft zu werden. Ich degradiere Sie hiermit zum gemeinen Soldaten und Sie, Iwan Nahimoff, ernenne ich zum Kapitän und Kompagniechef.«
Pauloff war nahe daran umzusinken. Er brachte keinen Ton hervor, Thränen füllten seine Augen, während Iwan, dessen Bande rasch gelöst wurden, vor der schönen Amazone dankend seine Kniee beugte.
»Darf ich Sie an einem Tage, wo Sie mich so mit Gnaden überschütten«, sagte der neue Kapitän, »noch um eine besondere Gunst bitten, gnädige Frau?«
»Nun?«
»Geben Sie mir den Gemeinen Pauloff in meine Kompagnie«, bat Iwan mit feindselig lauerndem Blicke.
Ein diabolisches Lächeln überflog das schöne erbarmungslose Antlitz der beleidigten Frau. »Es sei, aber unter einer Bedingung –«
»Sie haben zu befehlen,« sagte Nahimoff.
»Ich befehle also den Gemeinen Pauloff zu Ihrem persönlichen Dienst, Herr Kapitän,« sagte Frau von Mellin, »und was die lächerlichen philanthropischen Sentenzen der französischen Philosophen betrifft, so suchen Sie dieselben bei dieser Gelegenheit zu vergessen, lieber Nahimoff, und kaufen Sie sich bei Zeiten eine Peitsche, denn Hunde und Diener muß man peitschen!«
VII.
Wenige Tage nach der Katastrophe, welche Pauloff aus seiner eingebildeten Höhe zu den Füßen seiner Feinde herabstürzte und ihn rettungslos der Willkür und dem Uebermute derselben preisgab, wurde das Regiment Tobolsk in das Lager beordert, welches zur Uebung der Truppen nach preußischem Muster nur eine Stunde von Zarskoje Selo entfernt auf besonderen Befehl Katharina’s, der Verehrerin Friedrichs des Großen, errichtet worden war.
Der neue Kapitän Iwan Nahimoff war hier der Gegenstand der lebhaftesten Aufmerksamkeit von Seiten der Offiziere wie der Damen des Hofes, welche ihn, wie es damals Sitte war, teils ungeniert vor aller Welt, teils ungenannt mit den kostbarsten Dingen beschenkten. Er saß eben mit einigen Kameraden in seinem Zelte beim Kartenspiel, als ein Lakai in der Livree, wie sie von der Palast-Dienerschaft der Zarin getragen wurde, eintrat, sich verneigte, dem Liebling Fortuna’s ein großes Paket übergab und sofort wieder verschwand.
»Ein neues Präsent, Du Glückspilz! Was mag das sein!« riefen die jungen Offiziere durcheinander.
Nahimoff öffnete vorsichtig die Umhüllung, sie enthielt einen jener kostbaren Pelze, mit denen Katharina II. die französischen Philosophen zu beschenken pflegte, wenn sie nach Petersburg sie zu besuchen kamen.
Ein allgemeiner Ruf der Ueberraschung folgte der Enthüllung.
Nahimoff hob das wahrhaft kaiserliche Geschenk empor und hielt es auseinander; es war ein großer weiter Pelz von grünem Samt mit dunklen Zobelfellen gefüttert und verschwenderisch ausgeschlagen.
»Ein Pelz für einen Großfürsten!« schrie einer der Kameraden.
»Ja, für den Zaren selbst«, beteuerte ein anderer.
»Aber was mache ich damit?« seufzte Nahimoff, der bereits eitel wie ein kokettes Weib war. »Ich kann ihn doch nicht zu meiner Uniform tragen!«
»Was fällt Dir ein«, unterbrachen ihn mehrere zugleich, »es ist ja ein Schlafpelz!«
»Komm, probiere ihn«, sagte ein junger Lieutenant und wollte Iwan hineinhelfen.
»Nein, nein«, erwiderte dieser, »wozu hätte ich denn meinen Diener? He! Pauloff!«
Der ehemalige Kapitän trat rasch und gehorsam, aber durchaus nicht demütig herein. Er trug jetzt den gewöhnlichen Soldatenrock, war aber noch immer mit Sorgfalt frisiert.
»Hilf mir in den Pelz da!« befahl Nahimoff.
Pauloff gehorchte schweigend.
»Prachtvoll!« riefen die Offiziere. Nahimoff sah in der That wunderbar schön in dem Schlafpelz aus, beinahe wie ein verkleidetes Weib, eine der kühnen Amazonen Katharina’s.
»Aber dazu gehören unstreitig türkische Pantalons und Hausstiefeln!« entschied ein junger Graf, der in Paris gewesen war.
»Glaubst Du?« sagte Nahimoff, »nun, das läßt sich ja machen.« Er setzte sich auf sein Bett und streckte Pauloff den einen Fuß hin. »Verstehst Du nicht?« schrie er auf, als der ehemalige Kapitän sich einen Augenblick besann. »Ausziehen! Du bist jetzt ein gemeiner Soldat,