Gottfried Hierzenberger

Der Buddhismus


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Durst, Verlangen), der beständig nach neuen Wonnen sucht – sinnliche Freuden, Fortbestehen, Auslöschen usw. –, was zu neuen Inkarnationen führt.

      Die dritte edle Wahrheit verkündet, dass die Erlösung vom Dukkha in der Zerstörung des Trsnha besteht, was im Nirvāna Wirklichkeit wird – einer dem Bereich des Leidens und Werdens diametral entgegen gesetzten Ebene des Nicht-Bedingten (asamskrta): »Kein Auge, keine Zunge, kein Gedanke kann den Heiligen im vollkommenen Nirvāna erreichen, er ist außerhalb von Raum und Zeit.« (Samyutta-Nikāya IV, 52/3)

      Die vierte edle Wahrheit schließlich offenbart den Weg der acht Glieder oder Edlen achtfachen Pfad zum Erreichen des Nirvāna: (1) rechte Meinung, (2) rechtes Denken, (3) rechtes Wort, (4) rechte Aktivität, (5) rechte Existenzmittel, (6) rechte Anstrengung, (7) rechte Aufmerksamkeit, (8) rechte Konzentration. – Diese acht Schlagworte geben nur die Richtung an, sie muss vom Einzelnen erst konkretisiert werden. »Rechtes Wort« meint z. B. Verzicht auf Lügen, Verleumdung, üble Nachrede, harte Worte, Geschwätz usw.

      Die vier Edlen Wahrheiten werden auch Weg der Mitte genannt, da sie analog der indischen Medizin aufgebaut sind: Bestimmung der Krankheit / Entdeckung der Ursache / Entschluss zur Beseitigung der Ursache / Therapie mit geeigneten Medikamenten.

      Der Meditierende entdeckt, dass sowohl die Dinge dieser Welt als auch er selbst keine Substanzialität haben und dass er dies im Grunde bejaht und sich gewöhnlich damit abfindet, weil alles in der Welt Existierende sich in die folgenden fünf Aggregatzustände einteilen lässt:

      Die Gesamtheit der Erscheinungen (= des sinnlich Wahrnehmbaren, das sich aus den vier großen Elementen oder aus feinstofflicher Körperlichkeit zusammensetzt). Die Empfindungen (die durch den Kontakt mit den Sinnen entstehen und angenehm, unangenehm oder neutral sein können. Sie entstehen aus dem Kontakt der sechs inneren Organe – Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist – mit sechs äußeren Objekten: Aussehen, Geräusch, Geruch, Geschmack, Berührung, geistige Objekte).

      Die Wahrnehmungen und Begriffe, die aus diesen Empfindungen entstehen.

      Die bewussten oder unbewussten Geistesformationen oder psychischen Konstruktionen (samskara) oder Reaktionen des Willens auf die sechs äußeren Objekte.

      Die Erkenntnisse bzw. das Bewusstsein (vijnana), welche(s) der »Geist« (manas) daraus gewinnt.

      Mit den Begriffen dieser fünf Daseinsgruppen kann das ganze weite Feld der Lebenserfahrungen des Menschen beschrieben werden. Sie sind durchwegs bedingt, weil sie die vier Kennzeichen des Bedingten aufweisen: Entstehen und Vergehen, Bestehen und Wandel. Diese fünf Daseinsgruppen sind aber nicht das Selbst (atman), denn sonst wären sie nicht der Krankheit und Vergänglichkeit unterworfen und könnten nicht willentlich kontrolliert werden.

      Die Welt, in der die Wiedergeburt in ihren fünf Formen stattfindet, besteht aus der Sinnenwelt (kāmadāthu) – in der die Höllenwesen, Tiere, Gespenster, Menschen und die niedere Götterwelt wiedergeboren werden –, aus der Feinkörperlichen Welt (rūpadhātu) – bewohnt von den siebzehn Klassen der Brahma-Götter – und aus der Unkörperlichen Welt (arūpyadhātu) – in der sich jene Götter aufhalten, die in reiner Geistigkeit existieren und sich der Seligkeit (samāpatti) erfreuen und über die Unendlichkeiten und den Gipfel des Daseins (bhavāgra) meditieren. Alle diese Formationen sind im Sinn des Buddha vergänglich und leidvoll, bilden kein Selbst und gehören zu keinem Selbst! Damit setzt sich der Buddha in seinem Dharma deutlich vom Brahmanismus/Hinduismus ab.

      Darin sah der Buddha das Hauptthema seiner Lehre, weil von ihrer klaren Erkenntnis alles abhängt und nur ihre Überwindung zum Nirvāna führt. Der Buddha wusste, dass diese Kette von Ursache und Wirkung für die Menschen schwer zu begreifen ist. Er wusste sich in der Erkenntnis dieser Kausalität eins mit den Buddhas aller Zeitalter und entschloss sich, sein Wissen nicht für sich zu behalten, sondern seine Lehre dosiert darzulegen. Er drängte sie aber niemandem auf und verlangte keinen Glauben, sondern forderte dazu auf, ihren Wahrheitsgehalt selbst zu prüfen und sich davon zu überzeugen, da sie nur dann greifen und zur Befreiung führen kann.

      Durch die (1) Unwissenheit (avidyā) bedingt sind (2) die Karmaformationen (samskāra), d. h. die zur Wiedergeburt führenden Willensäußerungen. Durch die Karmaformationen bedingt ist das (3) Bewusstsein (vijnāna); durch das Bewusstsein bedingt sind (4) Name und Form (nāmarūpa), d. h. die geistigen und physischen Phänomene; durch Name und Form bedingt sind (5) die sechs Grundlagen des Bewusstseins (sadāyatana) – nämlich die »inneren Organe« Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper und Geist; durch diese bedingt ist (6) der Kontakt (sparsa) der inneren Organe mit den »äußeren Objekten«: Aussehen, Geräusch, Geruch, Geschmack, Berührung, geistiges Objekt, was zu den »sechs Arten des Bewusstseins« führt: Sehbewusstsein, Hör-, Riech-, Schmeckbewusstsein, Körper- und Geistbewusstsein; durch den Kontakt bedingt ist (7) die Empfindung (vedanā); durch die Empfindung bedingt ist der (8) Durst (trsnā), d. h. die leidenschaftliche Reaktion auf das Empfundene; durch den Durst bedingt ist (9) das Festhalten (upādāna) oder die Bindung an die fünf Daseinsgruppen (s. fünf skandha); durch das Festhalten bedingt ist (10) das Werden (bhava) oder die Tat, die die Wiedergeburt herbeiführt (= sexuelle Vereinigung); durch das Werden ist (11) die Geburt (jāti) bedingt, das Erscheinen der fünf Daseinsgruppen und der inneren Organe usw.; durch die Geburt bedingt sind schließlich (12) Alter und Tod (jarāmarana).

      Diese zwölf Glieder beschreiben die bedingte Entstehung der fünf Daseinsgruppen im Laufe von drei aufeinander folgenden Existenzen: Unwissenheit und Karmaformationen gehören zur vergangenen, die acht Glieder von Bewusstsein bis Werden zur gegenwärtigen, Geburt sowie Alter und Tod zur zukünftigen Existenz. Man kann daraus sehen, dass das Rad des Lebens keinen Anfang hat: Leidenschaften und Taten führen zur Geburt, die Geburt führt zu Leidenschaften und Taten und so fort.

      Dieses System der Bedingten Entstehung, das die Tatsache des Samsāra, des anfanglosen Kreislaufs der Wiedergeburten, erklärt, lässt sich vereinfacht auf drei Dinge zurückführen: auf die Leidenschaft, die Tat und deren Ergebnis. Die Leidenschaft verdirbt die Tat, und die Tat führt zu einem bestimmten Ergebnis.

      Leidenschaft ist im weitesten Sinn als Antrieb zu verstehen, der in allen Bereichen, also auch im Feinstofflichen und Unkörperlichen – als Sehnsucht, unbedingtes Wollen und Illusion – wirksam wird.

      Tat wird verstanden als Willensregung, die in körperliche, sprachliche und geistige Handlungen umgesetzt wird. Der Buddha erkannte – anders als die indische Tradition vor ihm den Ort der Tat im Geist; es sind also nur die bewusst gewollten, also streng persönlichen Taten damit gemeint.

      Ergebnis wird als Frucht der Tat verstanden, und der Buddha sieht darin immer nur Leiden, weil sich die Leiden in der jeweiligen Daseinsform, in der man wiedergeboren wird, auswirken. So ist jede Tat schädlich – auch wenn sie angenehme Folgen zeitigt –, weil sie den Täter im Samsāra festhält.

      Der einzige Ausweg besteht daher im Nicht-Tun und im Bekämpfen und Vernichten der Leidenschaften; nur so kann der Mensch dem Kreislauf entgehen und in die Transzendenz des Nirvāna eingehen.

      Der Edle achtgliedrige Pfad (= die vierte der Edlen Wahrheiten) lässt sich auch auf drei Grundelemente zurückführen, die unerlässlich sind, um den Geist von Unreinheiten (āsrava) zu befreien und auf das Un-Bedingte, den Eingang in das Nirvāna vorzubereiten: Sie lauten Sittlichkeit, Sammlung und Wissen.

      Sittlichkeit (sīla): Sie besteht nach der Lehre des Buddha in bewusster und willentlicher Enthaltung von falschem Verhalten des Körpers (Tötung von Lebewesen, Diebstahl, Unzucht), der Sprache (Lüge, Verleumdung, barsche