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Ge­sichts­schnitt bild­schön wie aus ei­nem Dü­rer her­aus­ge­tre­ten, hat­te sich, so wie es ihm als klei­nem Kna­ben bei Lili er­gan­gen war, in mei­ne edle Freun­din mit ver­liebt. Sie merk­te es, und aus Dank­bar­keit küss­te sie ihn ei­nes Ta­ges; das kränk­te ihn je­doch, denn er woll­te nicht als Kind be­han­delt sein.

      Da der ewi­ge Trieb nach dem Mee­re, der von klein auf mit mir ging, noch im­mer nicht ge­stillt war und mei­ne Mut­ter mir nicht ge­stat­ten woll­te, al­lein einen der be­rühm­ten Strand­plät­ze auf­zu­su­chen, was auch nach Lan­des­be­grif­fen sehr an­stö­ßig ge­we­sen wäre und mir Be­läs­ti­gun­gen zu­ge­zo­gen hät­te, er­barm­ten sich die Freun­din­nen mei­ner und fuh­ren mit mir nach Li­vor­no. Als die Ge­gend fla­cher und fla­cher wur­de und end­lich ein blau­er Strei­fen am Ho­ri­zont er­schi­en mit ei­nem senk­rech­ten Strich dar­auf, das ers­te Se­gel ei­nes Meer­schiffs das ich sah, da woll­te mir vor Ent­zücken das Herz aus dem Lei­be schie­ßen. Talat­ta! Talat­ta! An dem schö­nen Klip­pen­strand von An­ti­gna­no fan­den wir eine wei­te, ins Meer hin­aus­ge­bau­te Ba­de­hüt­te, de­ren Vor­der­sei­te fast in gan­zer Brei­te nach dem Mee­re of­fen war. Schwimman­zü­ge hat­ten wir kei­ne mit­ge­bracht, das mach­te mei­nen un­be­fan­ge­nen Rus­sin­nen nichts aus, ohne Um­stän­de war­fen sie die Klei­der ab und tauch­ten ins Was­ser, ver­wun­dert ob mei­nes Zö­gerns. Da tat ich das glei­che, und wir schwam­men hin­aus ins Tie­fe, des­sen wun­der­vol­les Tra­gen ich zum ers­ten Male emp­fand. Es war ein herr­li­ches Schwim­men, das au­ßer uns selbst kein Men­schen­au­ge sah, bis hin­ter ei­ner Klip­pe ein Boot voll jun­ger Leu­te her­aus­kam und uns zu schleu­ni­ger Um­kehr nö­tig­te.

      Nun hat­te ich end­lich See­was­ser ge­kos­tet und blieb fort­an dem Mee­re für im­mer ver­haf­tet.

      Als der Hoch­som­mer kam, stand es fest, dass wir drei Freun­din­nen zu­sam­men ein See­bad auf­su­chen wür­den. Ich konn­te mir das ge­stat­ten, denn ich hat­te aus den von Deutsch­land mit­ge­brach­ten li­te­ra­ri­schen Auf­trä­gen einen klei­nen Über­schuss über das täg­li­che Le­ben hin­aus er­zielt. Die Wahl des Or­tes wur­de mir über­las­sen, und bei mir stand von vorn­her­ein fest: Ri­mi­ni! Der Name hat­te mir’s an­ge­tan, es hing den drei glei­chen Vo­ka­len et­was voll­kom­men Zau­ber­haf­tes an, das nicht von dem dar­über hin­ge­gos­se­nen Glanz der großen Dich­tung aus­ging, son­dern wie mit per­sön­li­chem Zwang auf mich wirk­te. Wir mie­te­ten eine Woh­nung in der klei­nen glü­hend hei­ßen Stadt, mit de­ren stei­ner­nen Zeu­gen des Mit­tel­al­ters ich lei­der da­mals nicht viel an­zu­fan­gen wuss­te; zu we­nig hat­te sich noch das städ­te­bau­li­che Se­hen bei mir ent­wi­ckelt, das um jene Zeit noch Fach­be­sitz der Ein­ge­weih­ten war, und auch von der Ver­gan­gen­heit Ri­mi­nis hat­te ich so gut wie kei­ne Kennt­nis. Die spit­zi­gen Pflas­ter­stei­ne der en­gen Stra­ßen, auf de­nen man wie auf Na­deln ging, ent­lock­ten mir nur die er­staun­te Fra­ge, ob denn die zar­ten Da­men und die stol­zen Ka­va­lie­re am Hof der Mala­tes­ta ei­ser­ne Schu­he ge­tra­gen hät­ten, und der Name Isot­ta, die ita­lie­ni­sche Form mei­nes ei­ge­nen, als Stra­ßen­be­zeich­nung gab mir ein Rät­sel auf; ich kann­te bis­lang nur eine Fran­ces­ca, kei­ne Isot­ta da Ri­mi­ni. Das ein­zi­ge, was mich von Denk­ma­len an­zog, war der große Tor­bo­gen des Au­gus­tus und der Stein­block, von dem Cäsar nach der Über­schrei­tung des Ru­bi­kon zu sei­nen Sol­da­ten ge­spro­chen hat­te. Aber die­sen welt­be­rühm­ten Schick­sals­fluss zu se­hen war mir nicht ver­gönnt, nie­mand wuss­te mehr, wo er einst­mals floss oder wel­cher der jetzt vor­han­de­nen Flüs­se, die bei Ri­mi­ni ins Meer ge­hen, die­sen Na­men ge­tra­gen hat, und man weiß es bis heu­te nicht.

      Doch dies al­les ver­sank vor dem Glück der Wun­der­nä­he. Ri­mi­ni liegt ja nicht un­mit­tel­bar am Mee­re, man muss­te eine hal­be Stun­de zwi­schen stau­bi­gen Bäu­men in der Stra­ßen­bahn fah­ren, ehe der Sil­ber­schim­mer der Adria in Sicht kam. Je­der Tag war ein Ge­schenk des Him­mels; die Vor­mit­tage wur­den teils im Was­ser, teils im San­de lie­gend ver­bracht, nach der Mahl­zeit und Sies­ta im ver­dun­kel­ten Hau­se fuhr man wie­der hin­aus und ba­de­te aufs neue. Wie oft ver­wünsch­te ich die Phi­lis­te­rei mei­ner Hei­mat, die mich ver­hin­dert hat­te, mir schon von klein auf eben­so si­che­re Ver­traut­heit mit dem Was­ser zu er­wer­ben wie Tat­ja­na, die dar­in wie in ih­rem Ele­men­te leb­te: kaum dass sie sich hin­ein­ge­wor­fen hat­te, war sie auch schon au­ßer Blick­wei­te. Ein­mal ge­riet ich wirk­lich in Ge­fahr, als ich ihr folg­te. Dem Strand von Ri­mi­ni war in mä­ßi­ger Ent­fer­nung vom Ufer un­sicht­bar eine Düne vor­ge­la­gert, auf der die Schwim­mer, nur bis zur Brust im Was­ser, zu ras­ten pfleg­ten. Dor­thin streb­te ich wie ge­wöhn­lich, als plötz­lich der gan­ze Schwarm zer­sto­ben war. Als ich kei­nen Grund un­ter den Fü­ßen fand, schwamm ich wei­ter und ge­riet im­mer mehr ins Tie­fe, bis mir auf­ging, dass ich den si­che­ren Ras­tort un­be­merkt über­schwom­men hat­te. Um­keh­rend sah ich die Düne nach wie vor un­kennt­lich und das Ufer mit den Ba­den­den be­denk­lich weit ent­fernt, und ich such­te mir vor al­lem völ­li­gen Gleich­mut ein­zu­re­den. Ein bo­lo­gne­si­scher Graf, den ich vom Ka­si­no her kann­te, er­sah von fern die Ge­fahr und kam mit schnel­len Stö­ßen her­an. Er rief mir zu, wenn ich ver­spre­chen kön­ne, voll­kom­men ru­hig zu sein und ihn kei­nen­falls am Hal­se zu fas­sen, so wer­de er mich ganz be­quem und si­cher ans Ufer brin­gen. Ich gab mei­ner Stim­me einen so fröh­li­chen Klang, dass er sich ver­trau­end nä­her­te und mir sei­ne Schul­ter zur Stüt­ze bot, da­mit ich die lin­ke Hand dar­auf leg­te, wäh­rend ich mit der rech­ten ru­dernd von dem vor­treff­li­chen Schwim­mer schnell vor­an­ge­tra­gen wur­de, bis wo man fes­ten Grund hat­te. Ich habe öf­ters in kri­ti­schen Au­gen­bli­cken, sei es zu Pferd, sei es auf ei­nem Glet­scher­an­stieg, die Er­fah­rung ge­macht, dass man vor sich selbst ein we­nig Ko­mö­die spie­len muss und sich si­che­rer ge­ben als man sich fühlt, um tat­säch­lich Si­cher­heit zu emp­fin­den und zu ver­brei­ten.

      Ri­mi­ni! Aus ei­nem Ozean von spä­te­rem Le­bens­kampf und Le­bens­leid steigt dein Strand wie eine In­sel der Se­li­gen für einen kur­z­en Au­gen­blick in mei­ner Erin­ne­rung auf. Ich war wie Aschen­brö­del, die mit Mond- und Ster­nen­klei­dern kommt um im Kö­nigs­saa­le zu tan­zen. Alle Wün­sche er­füll­ten sich von selbst. Ich sehe mich zu Pferd in der Beglei­tung ei­nes Of­fi­ziers auf dem nas­sen San­de hin­flie­gen un­ter der an­rol­len­den Wel­le, die je und je die Pfer­de bis zu den Kni­en be­sprengt, oder auch ein Stück weit durch das seich­te­re Ufer­was­ser rei­ten. Ich sehe mich mit den zwei schö­nen Schwes­tern am Stran­de lie­gend mir die Haa­re trock­nen, wäh­rend das rei­zen­de Kind da­ne­ben im San­de spielt, oder vom Boots­rand in die Tie­fe sprin­gen – Freu­den, die ich von da an in je­dem Som­mer an ei­nem noch viel schö­ne­ren Strand ge­nie­ßen soll­te, die aber nie so hauch­zart und licht­ge­bo­ren wie­der­kehr­ten wie in je­nem ers­ten Jahr an der silb­rig­schim­mern­den Adria. Das lie­be­vol­le Schwes­ter­herz, das mir durch ein Wun­der zu­ge­fal­len war, fing all mein Glück wie in ei­nem hell­ge­schlif­fe­nen Spie­gel auf. Ein paar Stro­phen ei­ner fest­li­chen Erin­ne­rung um­flat­tern mich noch, worin die In­nig­keit die­ses Ver­hält­nis­ses dank­bar fest­ge­hal­ten ist.

       Wir schrit­ten ei­nig oft zum Fest ge­schmückt,

       Uns in des Tan­zes Wo­gen rasch ent­schwin­dend,

       Und ha­ben, im Ge­wühl uns wie­der­fin­dend,

       Ver­stoh­len, in­nig uns die Hand ge­drückt.

       Wenn