ist er selber schon von einem viel gefährlicheren Gespinst umstrickt. Die Cherusker, die er für halbe Tiere hält, umdrängen ihn mit gespielter Wildeneinfalt und tragen ihm erdichtete Händel vor, über deren Schlichtung er seine Feldherrnpflichten versäumt. Die knifflichsten Rechtslagen werden mit einem wahrhaft diabolischen Humor erörtert, wobei dem Dichter seine Kenntnis des Corpus juris zu statten kam, und der Spruch lautet jedes Mal für Kläger und Beklagte: Zahlen! Arminius aber dankt für die Mühewaltung und preist die Weisheit römischer Rechtspflege, die jetzt Streitigkeiten schiedlich beilegt, für die es sonst nur den Austrag durch die Waffen gab.
Verwandelt sind die Menschen, seit du kamst,
Sie lernen Ordnung und Gesetz verehren,
Des Friedens pflegen. Und nicht sie allein:
Verwandelt selbst ist die Natur, mein Land
Erkenn’ ich kaum, so milde Lüfte wehen,
So herrlich reift die Ernte unsrer Sichel.
Italiens Himmel brachtest du mit dir,
Die ältsten Leute in Cheruska sahen
Solch einen Sommer nie. Walhalla lächelt,
Weil Romas Götter unsre Gäste sind,
Und für die Menschen tagt ein neues Leben.
Und Varus, der an Verbindlichkeiten nicht zurückstehen will:
Sind denn die Cherusker Menschen? fragt er.
Nichts Menschenähnliches seh’ ich an ihnen
Als Stimm’ und Antlitz, und auch diese kaum,
So hässlich ist ihr Wuchs und ungeschlacht.
Ihr Gang braucht gleich des halben Heerwegs Breite.
Ein Taumeln ist’s, kein Geh’n. – Sprichst du sie an,
Wie Klötze stieren sie minutenlang,
Eh’ sich der träge Geist zur Antwort sammelt,
Und Dunst von Meth umweht sie wo sie stehen.
Das sollen Menschen sein!
Dann seh’ ich dich,
Armin, den Roma liebt, und frage mich,
Ob du Cherusker bist.
Armin Wohl bin ich’s, Varus!
Varus Du bist es nicht. Wie wär’ dein Fuß so leicht? Wie wär’ dein Geist so rasch, dass er das Wort Versteht, bevor die Lippen es gesprochen?
Armin Die Edlen unsres Volks erlernen früh Den Waffentanz: durch aufgesteckte Schwerter Die Leiber werfen mit verweg’nem Schwung, Da heißt es flink und doch behutsam sein, Das bildet mit dem Körper auch den Witz. Dann üben wir die Kunst – ’s ist unsre einzige – Im vollen Rosseslaufe abzuspringen, Zu Fuße, Speere werfend, Schritt zu halten Und wieder aufzuspringen nach Bedarf.
Varus Das möcht’ ich sehn.
Armin Ich brenn’, es dir zu zeigen.
Varus Nein, nein, du bist nicht Sohn des Segimer. Zu Drusus’ Zeiten zogen die Legionen Durch dies Gebirg’, der schönste Reiteroberst Gefiel der Fürstin – zwar dein Aug’ ist blau, Doch römisch ist der Geist, der ihm entstrahlt.
Armin Mein Feldherr, du verpflichtest mich zu tief.
Nach diesem Gespräch nehmen die markomannischen Gesandten eilends Abschied, um ihrem König zu berichten:
Wohl geht Armin mit schweren Taten schwanger,
Da er die Mutter lästern hört und lächelt.
Das Blättchen, worauf diese Worte von des Dichters eigener Hand stehen – er hatte sie doppelt geschrieben –, ist das einzige sichtbare Andenken an jene Zeit, das ich von Gustav Borck besitze.
Der Dichter las und las, bis alle Kerzen niedergebrannt waren, während wir unbeweglich saßen und kaum zu atmen wagten. Keiner von uns lebte mehr in der Wirklichkeit, wir waren ins Lager des Varus entrückt, in das sich vorbereitende Verderben. So oft Gustav eine Pause machte, waren drei Paar Augen auf ihn mit Spannung gerichtet und baten: Weiter! Nicht der aufdämmernde Morgen, nur der Umstand, dass das Geschriebene zu Ende war, zwang uns endlich aufzubrechen.
In dieser Nacht zerschmolz das letzte Eis zwischen ihm und seinen Freunden, wir durften ihn fortan in unsere Brüderlichkeit einschließen. Mit überwallendem Herzen dankte er seinen Hörern und erklärte sich für unsern Schuldner, indem er jedem von uns für einen Beitrag verpflichtet sein wollte: mir für die Züge indianischer Wildenschlauheit, die er seinen Cheruskern lieh, Kuno Schütte für den Seherton der Alraune, unserm Jüngsten, der mit seinem Kindergemüt überall kleine reizvolle Erlebnisse hatte, für die Gestalt eines von der achtzehnten Legion aufgelesenen und gehätschelten Germanenkindes, denn ein ähnlich reizendes Naturwesen, das er als Knabe kannte, hatte dieser in seinen Liedern besungen.
So schenkte er jedem großmütig einen Anteil an seinem Glück. Unmöglich, sich in dieser Stimmung zu trennen. Es wurde beschlossen, Adele zu wecken, damit sie uns einen starken Kaffee braue, und unsere Sitzung bis Sonnenaufgang am Stammtisch fortzusetzen.
Unbarmherzig klingelten wir die Ärmste, die jede Nacht bis zwei Uhr auf den Beinen sein musste, aus dem Morgenschlaf, und sie öffnete auch gehorsam, weil sie Gustavs Stimme vernommen hatte. Mit verschlafenem Gesicht, die dunklen Haare in kleidsamer Unordnung um den zierlichen Kopf geschlungen, erschien sie bald darauf mit dem dampfenden Kaffee. Aber keiner von uns, vielleicht Olaf ausgenommen, hatte einen Blick für diese verträumte Schönheit, so ganz standen wir noch unter dem Bann der heroischen Dichtung.
Niemals bis an mein Lebensende werde ich jenen frühen Maimorgen vergessen, wo wir vier mit übernächtigen Gesichtern und glühenden Augen, den Rausch der Dichtung noch in den Adern, in der kleinen Stube beisammen saßen. Eine so tiefe Spur hat er in mir zurückgelassen, dass noch heute der Duft von frischgebrautem Kaffee in der Dämmerfrühstunde genügt, ihn mir ins Gedächtnis zu rufen. In Gustav brannte das Feuer weiter, er sprach und sprach. Seine Gestalten wurden beim Reden noch lebendiger und durchsichtiger, als sie es während des Lesens waren, wir lernten wie von lebenden Menschen nach und nach jede Abschattung ihres Wesens kennen und sahen in das innerste Triebwerk ihres Seelenlebens hinein. Unsere Ungeduld fragte ihm auch die Fortsetzung ab, die erst im Szenarium entworfen war und die er uns bruchstückweise erzählen oder aus zerstreuten Aufzeichnungen seines Taschenheftchens lesen musste. Beim Beginn des zweiten