Hans Fallada

Damals bei uns daheim


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Liebigbilder. Von diesem allen schienen mir die Liebigbilder am begehrenswertesten. Einmal waren sie selten, denn jedem so lange reichenden Fleischextrakttöpfchen lag nur ein Bild bei. Zum andern zeigten sie Szenen aus den Pampas, mit Toros, Haziendas, Gauchos, Lassos, Indios – alles Dinge, die meine Phantasie entzündeten. Viele hundert dieser Bilder hatte Hans Fötsch zusammengebracht, manche waren noch frisch wie aus der Presse, andere trugen die lebhaftesten Spuren von vielen schmierigen Jungenshänden, durch die sie gegangen waren, und dies schien sie mir noch begehrenswerter zu machen. Ich weiß nicht mehr, wer von uns beiden der Versucher war, aber eines Tages war das Geschäft gemacht: ich war der Besitzer eines dicken Stapels von Liebigbildern, meine Briefmarken aber waren sämtlich zu Hans Fötsch hinübergewechselt. Ganz wohl ist uns beiden bei diesem Tausch nicht gewesen. Wir schwuren uns strengste Geheimhaltung, und in der ersten Zeit verbarg ich auch meinen Bilderschatz ängstlich vor den Augen von Geschwistern und Eltern.

      Aber ein Kind vergisst rasch, und so war der Tag nicht fern, da mich meine Mutter über meinen Bildern antraf.

      »Wo hast du denn die alle her, Junge?« fragte sie, erst noch harmlos erstaunt.

      »Och –!« sagte ich. »Sind sie nicht großartig? Kuck mal, Mutter, das ist ’ne Kaffeeplantage! Hast du gewusst, dass der Kaffee auf so kleinen Bäumen wächst?«

      Aber meine Mutter kannte ihre Pappenheimer. Grade dass ich so harmlos tat, machte mich ihr verdächtig.

      »Hübsch!« sagte sie. »Und von wem hast du all die Bilder? Es müssen doch ein paar hundert sein.«

      »Fünfhundertdreißig!« sagte ich stolz.

      »Und wer hat sie dir gegeben?«

      »Och –!« sagte ich wieder. »So Jungens …«

      »Was für Jungens?« fragte sie erbarmungslos weiter. »Wie heißen sie?«

      »Wieder nur: »Och!« Und schließlich: »So Schuljungens …« Jetzt war meine Mutter fest davon überzeugt, dass etwas Verbotenes hinter der Sache steckte.

      »Hans!« sagte sie fast aufgeregt, »da stimmt was nicht. Ich will die Namen von den Jungens wissen!« Und als ich noch immer zögerte: »Wenn du sie mir nicht sagst, gehen wir zusammen zu Vater! Vater wirst du sie schon sagen!«

      Diese Drohung erschreckte mich sehr, denn ich gedachte der fehlenden Briefmarken. Ich bequemte mich also zu dem Geständnis, dass Hans Fötsch der Geber gewesen sei.

      Meine Mutter atmete ein wenig auf. »Gottlob, der Hans Fötsch!« sagte sie. Dann nachdenklich: »Und was hast du Hans Fötsch dafür gegeben? Hans ist ein guter Junge, aber er schenkt nicht gerne was weg.«

      »Er hat sie mir doch so gegeben, Mutter!«

      »Du schwindelst, Hans, ich sehe es dir ja an!«

      »Wirklich und wahrhaftig, Mutter!« versicherte ich und versuchte, nach dem Spiegel zu schielen, ob ich tatsächlich rot geworden war.

      »Nein, du lügst, Hans«, sagte meine Mutter, ihrer Sache jetzt ganz sicher. »Und wenn du mir die Wahrheit nicht sagen willst, müssen wir doch zu Vater gehen.«

      Nun versuchte ich, mich aufs Bitten zu legen. Ich wollte Mutter alles sagen, nur sollte sie mir versprechen, Vater nichts davon zu erzählen.

      Aber Mutter ließ sich auf nichts ein. »Du weißt, ich habe nie Heimlichkeiten vor Vater. Und wenn es etwas Verbotenes ist, muss Vater es erst recht erfahren. Komm, Junge, wir gehen gleich zu Vater. Du weißt, Vater ist nie schlimm, wenn ihr offen und ehrlich gesteht, was ihr falsch gemacht habt. Nur Lügen hasst er …«

      Aber ich zog es vor, erst einmal Mutter meine Schandtat zu gestehen. Ich wollte sehen, wie sie auf sie wirkte. Mutter war so erschrocken, dass sie sich glatt hinsetzte.

      »Junge, Junge!« rief sie ganz ängstlich. »Wie konntest du das nur tun! Papas schöne, kostbare Briefmarkensammlung, auf die er so stolz ist! Für die dummen schmutzigen Bilder weggegeben! Ich weiß gar nicht, wie ich das Vater erzählen soll – er wird sehr traurig werden, Hans! Achtest du denn gar nicht, was Vater dir geschenkt hat –?!«

      Ich bemühte mich, Tränen in den Augen, Mutter zu versichern, dass ich Vaters Geschenke sehr wohl schätze, dass ich aber Liebigbilder hübscher fände …

      »Ach, Hans, wie dumm du bist!« rief Mutter. »Für ein Zehntel der Briefmarken hättest du dir Tausende und Tausende von solchen Bildern kaufen können! Dein Freund hat dich bei dem Tausch richtig reingelegt, ich finde das aber gar nicht hübsch von Hans Fötsch!«

      Mutter dachte nach. Ich wartete angstvoll darauf, dass sie mit dem theoretischen Teil, nämlich mit den Vorwürfen, fertig sei und zu dem praktischen übergehen würde, nämlich ob sie es Vater sagen würde oder nicht. Aber Mutter fand eine andere, noch schlimmere Lösung. »Weißt du was, Junge«, sagte sie ganz eifrig. »Nimm die Bilder und lauf gleich zu Hans Fötsch hinüber. Du kannst ihm ja meinetwegen sagen, deine Mutter erlaubt den Tausch nicht.«

      »Aber Mutter!« rief ich erschrocken. »Das kann ich doch nicht! Ich hab ihm doch mein großes Ehrenwort gegeben, euch nichts davon zu erzählen. Wie stände ich denn da vor ihm –?!!«

      Doch hielt meine Mutter von großen Ehrenwörtern nicht viel. »Ach, Unsinn, ihr mit euern Ehrenwörtern!« rief sie ärgerlich. »Ihr seid doch bloß Jungens, und du bist ein Junge, der tüchtig reingelegt worden ist! Gib deinem Herzen einen Stoß, Hans, und laufe zu Fötsch hinüber!«

      »Er gibt mir die Marken bestimmt nicht wieder, Mutter.«

      »Er muss es ja tun. Er wird ganz genau wissen, dass er dich reingelegt hat. Er hat auch Angst, dass seine Eltern was erfahren, verlass dich drauf!«

      Aber ich widerstand meiner Mutter hartnäckig. Ich wollte mich nicht vor dem Freund blamieren. Ich wollte nicht »ehrlos« vor ihm werden. Und außerdem, was ich Mutter aber nicht zu sagen wagte, hatte Vater mir die Marken doch richtig geschenkt, als Lohn für mancherlei vorzügliche Leistungen, und mit seinem Eigentum kann jeder machen, was er will. Fand Vater die Marken so kostbar, hätte er sie mir nicht schenken dürfen. Ich hatte ihn nicht darum gebeten! Ich fand die Bilder nun einmal noch immer schöner …

      So argumentierte ich und widerstand der Mutter. Traurig ging sie von mir fort, unverrichtetersache. Und traurig verlief auch das Abendessen. Vater, der sicher schon alles wusste, war sehr still, sah mich nur manchmal prüfend an. Aber nach seiner Art enthielt er sich jeder Einmischung, die Sache war in Mutters Händen, er wartete still ab … Nie erlaubten sich die Eltern Übergriffe eines in die Sphäre des andern. Sie halfen einander nur, wenn die Hilfe gewünscht wurde.

      Schlimm war die Nacht. Manchmal fand auch ich, ich hätte diesen Tausch nicht, ohne Vater zu befragen, machen dürfen, und noch öfter entdeckte ich einen gewissen Zorn in meinem Herzen, dass Hans Fötsch mich so hereingelegt hatte. Dann hörte ich Vater singen, wie er es manchmal in seinem milden Spott tat: »Ja, ich bin klug und weise, und mich betrügt man nicht!« Ich kam mir wirklich nicht sehr klug vor.

      Aber dann dachte ich wieder an die geliebten Liebigbilder. Ich machte mir klar, dass ich sie richtig würde weggeben müssen, für immer, und ich fand sie doch so schön! Nein, ich konnte es nicht! Ich brachte es nicht übers Herz! Es war ungerecht von Mutter, so etwas von mir zu verlangen. Nie würde ich mich von diesen Bildern trennen!

      Am Nachmittag des nächsten Tages saß ich wieder über ihnen. Doppelt wert waren sie mir jetzt geworden! Ich ordnete sie nach einem ganz neuen Gesichtspunkt: Indios zu Indios, Toros zu Toros, Haziendas zu Haziendas. Da kam jemand ins Zimmer, sah über meine Schulter auf die Bilder, meiner Mutter Stimme sprach: »Junge, tu uns doch die Liebe! Überwinde dich dies eine Mal!«

      Dabei hatte Mutter die Hand sachte auf mein Haar gelegt.

      Ich aber schwieg, und Mutter ging still, ohne ein weiteres Wort, aus der Stube.

      Nun wollte ich die Bilder weiter ordnen, aber es gelang mir nicht. Ich machte einzelne Stöße aus ihnen, legte Gummibänder darum, sah sie eine Weile schweigend an. Dann stand ich auf, steckte, soviel hineingingen, in die Taschen, nahm die andern in meine Hände und machte mich auf den Weg zu Hans Fötsch.

      Ach, mein Herz war gar nicht leicht, nicht im geringsten hatte ich das Gefühl,