Theodor Fontane

Kindheit, Jugend und Krieg


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Sache stellst? Würdest du ... meine liebe Freundin wird verzeihn«, und er verbeugte sich gegen meine Mutter, »würdest du dich zu einem ähnlichen Akt loyaler Aufopferung entschlossen haben?«

      »Unbedingt, wenn ich Bertrand gewesen wäre.«

      »Das sind Ausflüchte, lieber Bruder. Wenn du Bertrand gewesen wirst! Natürlich. Wie Bertrand darüber dachte, das wissen wir, seine Taten sprechen. Aber ich möchte wissen, wie du dich persönlich dazu verhältst. Mein Bruder Eduard, der den Artikel auch gelesen, sprach von Infamie.«

      »Das ist zu hart. Alle solche Fragen empfangen in den oberen Regionen eine neue, von dem Gewöhnlichen mehr oder weniger abweichende Beleuchtung; die moralischen Anschauungen verschieben sich infolge davon und werden freier. Ich glaube, daß die Entscheidung bei Madame Bertrand gelegen hat. Wollte sie, so war es nur in der Ordnung, wenn Bertrand selbst im Punkte der Loyalität nicht hinter seiner Frau zurückbleiben wollte. Du darfst auch nicht vergessen, daß der Kaiser über das verfügte, was man Dämonismus nennt. Friedrich der Große hatte das auch, sein Auge zwang den Willen der Menschen.«

      »Ich glaube, daß du recht hast, und wir müssen am Ende glücklich sein, daß wir nicht in jenen oberen Regionen leben; wir wären sonst vor nichts sicher.«

      »Sind wir auch nicht. Im absoluten Staat gehört alles dem König; er kann mir nicht bloß meine Frau nehmen, auch meinen Kopf.«

      »Das hat er schon«, unterbrach meine Mutter und stand auf.

      Als die Gäste fort waren und die Fenster um frischer Luft willen trotz der miteinströmenden Kälte weit geöffnet wurden, ging mein Vater mit auf dem Rücken zusammengelegten Händen im Zimmer auf und ab. Meine Mutter sah ihm eine Weile zu, dann sagte sie: »Nun, Louis, du gehst ja auf und ab wie ein Sieger. Du bist wohl stolz darauf, daß du, wie Krause sagte, deinem Freunde Napoleon die dritte Frau angetraut hast!«

      Mein Vater nickte.

      »Merkst du denn nichts?« fuhr sie fort, »gar nichts? Einen Tag fragen sie dich nach der Einwohnerzahl von Buxtehude, den andern Tag wollen sie wissen, was mehr sei, das Eichenlaub am roten Adlerorden oder die Schleife. Durchschaust du denn nicht diese Posse?«

      Mein Vater nickte wieder.

      »Ja, Louis, wenn du das alles durchschaust, dann begreife ich dich nicht, dann weiß ich nicht, warum du ihnen immer wieder den Gefallen tust.«

      »Weil ich ein artiger Mann bin und guter Wirt.«

      »Guter Wirt. Nun vielleicht. Aber das ist es nicht. Du hast bloß die grenzenlose Schwäche, deine Geschichten immer wieder anbringen zu wollen, und bist schlimmer als die schlimmsten Anekdotenerzähler, die, wenn man ihnen sagt: ›Kenn ich schon‹, sich nicht stören lassen und ruhig weitersprechen. Ist es nicht so? Hab ich nicht recht?«

      »Ich glaube beinah, daß du recht hast. Aber was tut das? Ein jeder hat sein Steckenpferd, und wir wiederholen uns alle. Nimm mirs nicht übel, du wiederholst dich auch und betonst namentlich vieles ...«

      »Bitte, nichts davon.«

      »Außerdem aber nehme ich bei diesen Dingen allen Ernstes das für mich in Anspruch, daß ich in einem fort beflissen bin, nützliche Kenntnisse zu verbreiten. Ich bin kein elender Witz- und Wortspieljäger, ich kultiviere Historisches und helfe nach, wo nachzuhelfen ist. Und du wirst nicht bestreiten, daß die Summe historischer Kenntnis, namentlich bei den Studierten, ungemein gering ist. Das mit Bertrand ... nu ja, vielleicht hätt ich anders antworten sollen, denn sie wollten mich vor dir in Verlegenheit bringen Aber es ist ihnen nicht gelungen.«

      »Leider nicht. Und das ist das Schlimmste von der Sache.«

      Was wir in Haus und Stadt erlebten

       Inhaltsverzeichnis

      Wie wir in unserem Hause lebten, das zu zeigen, war Aufgabe der beiden vorigen Kapitel; in diesem wird es sich um Dinge handeln, die, wenigstens zunächst, nicht durch unser Zutun geschahen, sondern, von außen her an uns herantretend, das von uns geführte häusliche Leben nur begleiteten, beziehungsweise modelten. »Was wir in Haus und Stadt erlebten«, habe ich drum als Überschrift genommen.

      Es war des Guten und Nichtguten gerade genug.

      Im allgemeinen gilt das zwischen dem Sturze Napoleons und dem Tode Friedrich Wilhelms III. liegende Vierteljahrhundert als eine ereignisarme Stagnationsepoche, was aufs Ganze hin angesehen auch mehr oder weniger zutreffen mag, gerade das halbe Jahrzehnt aber (1827 bis 32), das ich in Swinemünde verbrachte, brachte, die Stagnation unterbrechend, des Interessanten eine ganze Fülle: die Befreiung Griechenlands, den russisch-türkischen Krieg, die Eroberung von Algier, die Julirevolution, die Losreißung Belgiens von Holland und die große polnische Insurrektion. Ich werde denn auch weiterhin in einiger Ausführlichkeit zu berichten haben, wie diese fernen Ereignisse die Bewohnerschaft unseres Hauses berührten, vor allem aber mein eigenes junges Herz, das für solche Dinge von früh auf erglühte. Zunächst indessen laß ich die Staatsaktionen aus dem Spiel und erzähle von dem, was sich als Stadtereignis unter unseren Augen zutrug. Allerdings trifft es sich dabei so, daß ich, um der Chronologie willen, meine beste Karte gleich zuerst ausspielen muß. Es war dies die Geschichte von »Mohr und seiner Frau«.

      Wer war Mohr?

      Kutscher Ehm hatte gleich am Tage nach unserer Ankunft, als wir den ersten Umgang durch unser Haus machten, die Frage gestreift, war aber nicht weit damit gekommen, und erst etliche Wochen später, als ich von ungefähr wieder den Namen »Mohr« hörte, frug ich Ehm, was es damit sei. Dieser, der nur zu gerne davon sprach, nahm mich auch gleich mit in seine Kammer hinein, und während er sich da an die Häcksellade stellte und zu schneiden begann, saß ich auf einem Schemel neben ihm und hörte seiner Geschichte zu. »Ja«, so schloß er (natürlich alles in Plattdeutsch) nach einer Weile, »so war das mit Mohr und seiner Frau. Die sind nu beid in Prison, und die Frau is krank und verfallen und macht es woll nich lange mehr, er aber, er is oben auf, und der alte Pietzker drüben meint auch, ans Leben gingen sie ihm nich. Und das is auch richtig und is noch von Anno 6 her. Da war er Soldat in Regiment Möllendorf, und Napoleon, als es bei Jena nich recht weiter wollte, soll da ganz wütend gesagt haben: ›Wer is denn bloß der Kerl da? So was hab ich ja in meinem ganzen Leben noch nicht gesehn.‹ Und unser König, als er wieder ein bißchen in Ruhe war, hat auch an Mohrn schreiben lassen, er könne sich eine Gnade ausbitten. Und die Gnade, die hängt noch, die is noch nich runter, und deshalb sagt Mohr immer: ›Sie können nich, auch wenn sie wollen; ich habe des Königs Gnade.‹«

      Das klang soweit ganz gut, aber was diesen Schlußworten Ehms vorausging, also die eigentliche Geschichte, die klang schlimm, und es lief mir dabei kalt über den Rücken. Mohr war ein Mann von Mitte Vierzig, ein guter Lichterschiffer, der zwischen Stettin und Swinemünde fuhr und immer allerhand Kaufmannswaren mitbrachte, womit er dann Handel trieb. Er spielte sich auf den alten Soldaten aus, hielt auf Ordnung und Anstand und war groß und stark und wohlgelitten. Und auch gegen seine Frau lag nichts vor. Aber mit einem Male war er doch unter Bilanz oder vielleicht war es auch bloß, daß er seine Habgier nicht bezwingen konnte, kurz und gut, als er in Erfahrung gebracht hatte, die Witwe Lassahn, die mit einer jungen blonden Person am Rathausplatze wohnte, habe hundert Taler in ihrem alten Uhrschrank versteckt, war es beschlossene Sache: die alte Frau mußte sterben und die junge Person mit. Mohrs Frau war mit einverstanden, ja einige sagten, sie sei schuld. Das war wohl so um Fastnachten Anno 26. Mohr kam von Stettin zurück und legte am Bollwerk an, grad gegenüber von dem Olthoffschen Gasthof. Es war schon dunkel. Und so ging er denn zu der Witwe Lassahn und sagte dieser, sie solle nach dem Lichterschiff schicken, da sei seine Frau und warte und werde dem Mädchen den Sack Kaffee geben, den er für sie mitgebracht habe. Das Mädchen ging denn auch. Und nun war er allein mit der Alten. Mit der war er rasch fertig. Aber bald danach kam die junge blonde Person vom Bollwerk zurück. Was nun geschah, das weiß man bloß aus Mohrs eigener Beichte, wenn er mitunter, von furchtbarer Angst gepackt, nach dem Geistlichen rief oder nach Justizrat Kirstein, dem er alles sagen wolle. So stark er war, er hätte sie nicht bezwungen, wenn ihm seine Frau