Иоганн Вольфганг фон Гёте

Maximen und Reflexionen


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      In der Idee leben heißt das Unmögliche behandeln, als wenn es möglich wäre. Mit dem Charakter hat es dieselbe Bewandtnis: treffen beide zusammen, so entstehen Ereignisse, worüber die Welt vom Erstaunen sich Jahrtausende nicht erholen kann.

      Napoleon, der ganz in der Idee lebte, konnte sie doch im Bewusstsein nicht erfassen; er leugnet alles Ideelle durchaus und spricht ihm jede Wirklichkeit ab, indessen er eifrig es zu verwirklichen trachtet. Einen solchen innern perpetuierlichen Widerspruch kann aber sein klarer unbestechlicher Verstand nicht ertragen, und es ist höchst wichtig, wenn er, gleichsam genötigt, sich darüber gar eigen und anmutig ausdrückt.

      Er betrachtet die Idee als ein geistiges Wesen, das zwar keine Realität hat, aber, wenn es verfliegt, ein Residuum (caput mortuum) zurücklässt, dem wir die Wirklichkeit nicht ganz absprechen können. Wenn dieses uns auch starr und materiell genug scheinen mag, so spricht er sich ganz anders aus, wenn er von den unaufhaltsamen Folgen seines Lebens und Treibens mit Glauben und Zutrauen die Seinen unterhält. Da gesteht er wohl gern, dass Leben Lebendiges hervorbringe, dass eine gründliche Befruchtung auf alle Zeiten hinauswirke. Er gefällt sich, zu bekennen, dass er dem Weltgange eine frische Anregung, eine neue Richtung gegeben habe.

      Höchst bemerkenswert bleibt es immer, dass Menschen, deren Persönlichkeit fast ganz Idee ist, sich so äußerst vor dem Phantastischen scheuen. So war Hamann, dem es unerträglich schien, wenn von »Dingen einer andern Welt« gesprochen wurde. Er drückte sich gelegentlich darüber in einem gewissen Paragraphen aus, den er aber, weil er ihm unzulänglich schien, vierzehnmal variierte und sich doch immer wahrscheinlich nicht genugtat. Zwei von diesen Versuchen sind uns übrig geblieben; einen dritten haben wir selbst gewagt, welchen hier abdrucken zu lassen wir durch Obenstehendes veranlasst sind.

      Der Mensch ist als wirklich in die Mitte einer wirklichen Welt gesetzt und mit solchen Organen begabt, dass er das Wirkliche und nebenbei das Mögliche erkennen und hervorbringen kann. Alle gesunde Menschen haben die Uberzeugung ihres Daseins und eines Daseienden um sie her. Indessen gibt es auch einen hohlen Fleck im Gehirn, das heißt eine Stelle, wo sich kein Gegenstand abspiegelt wie denn auch im Auge selbst ein Fleckchen ist, das nicht sieht. Wird der Mensch auf diese Stelle besonders aufmerksam, vertieft er sich darin, so verfällt er in eine Geisteskrankheit, ahnet hier »Dinge aus einer andern Welt«, die aber eigentlich Undinge sind und weder Gestalt noch Begrenzung haben, sondern als leere Nacht-Räumlichkeit ängstigen und den, der sich nicht losreißt, mehr als gespensterhaft verfolgen.

      Wie wenig von dem Geschehenen ist geschrieben worden, wie wenig von dem Geschriebenen gerettet! Die Literatur ist von Haus aus fragmentarisch, sie enthält nur Denkmale des menschlichen Geistes, insofern sie in Schriften verfasst und zuletzt übrig geblieben sind.

      Und doch bei aller Unvollständigkeit des Literarwesens finden wir tausendfältige Wiederholung, woraus hervorgeht, wie beschränkt des Menschen Geist und Schicksal sei.

      Da wir denn doch zu dieser allgemeinen Weltberatung als Assessoren, obgleich sine voto, berufen sind und wir uns von den Zeitungsschreibern tagtäglich referieren lassen, so ist es ein Glück, auch aus der Vorzeit tüchtig Referierende zu finden. Für mich sind von Raumer und Wachler in den neusten Tagen dergleichen geworden.

      Die Frage, wer höher steht, der Historiker oder der Dichter, darf gar nicht aufgeworfen werden; sie konkurrieren nicht miteinander, so wenig als der Wettläufer und der Faustkämpfer. Jedem gebührt seine eigene Krone.

      Die Pflicht des Historikers ist zwiefach: erst gegen sich selbst, dann gegen den Leser. Bei sich selbst muss er genau prüfen, was wohl geschehen sein könnte, und um des Lesers willen muss er festsetzen, was geschehen sei. Wie er mit sich selbst handelt, mag er mit seinen Kollegen ausmachen; das Publikum muss aber nicht ins Geheimnis hineinsehen, wie wenig in der Geschichte als entschieden ausgemacht kann angesprochen werden.

      Es geht uns mit Büchern wie mit neuen Bekanntschaften. Die erste Zeit sind wir hoch vergnügt, wenn wir im Allgemeinen Ubereinstimmung finden, wenn wir uns an irgendeiner Hauptseite unserer Existenz freundlich berührt fühlen; bei näherer Bekanntschaft treten alsdann erst die Differenzen hervor, und da ist denn die Hauptsache eines vernünftigen Betragens, dass man nicht, wie etwa in der Jugend geschieht, sogleich zurückschaudere, sondern dass man gerade das Ubereinstimmende recht festhalte und sich über die Differenzen vollkommen aufkläre, ohne sich deshalb vereinigen zu wollen.

      Eine solche freundlich-belehrende Unterhaltung ist mir durch Stiedenroths »Psychologie« geworden. Alle Wirkung des Äußern aufs Innere trägt er unvergleichlich vor, und wir sehen die Welt nochmals nach und nach in uns entstehen. Aber mit der Gegenwirkung des Innern nach außen gelingt es ihm nicht ebenso. Der Entelechie, die nichts aufnimmt, ohne sich‘s durch eigene Zutat anzueignen, lässt er nicht Gerechtigkeit widerfahren, und mit dem Genie will es auf diesem Weg gar nicht fort; und wenn er das Ideal aus der Erfahrung abzuleiten denkt und sagt: »das Kind idealisiert nicht«, so mag man antworten: »das Kind zeugt nicht«, denn zum Gewahrwerden des Ideellen gehört auch eine Pubertät. Doch genug, er bleibt uns ein werter Gesell und Gefährte und soll nicht von unserer Seite kommen.

      Wer viel mit Kindern lebt, wird finden, dass keine äußere Einwirkung auf sie ohne Gegenwirkung bleibt.

      Die Gegenwirkung eines vorzüglich kindlichen Wesens ist sogar leidenschaftlich, das Eingreifen tüchtig.

      Deshalb leben Kinder in Schnellurteilen, um nicht zu sagen in Vorurteilen; denn bis das schnell, aber einseitig Gefasste sich auslöscht, um einem Allgemeinern Platz zu machen, erfordert es Zeit. Hierauf zu achten, ist eine der größten Pflichten des Erziehers.

      Ein zweijähriger Knabe hatte die Geburtstagsfeier begriffen, an der seinigen die bescherten Gaben mit Dank und Freude sich zugeeignet, nicht weniger dem Bruder die seinigen bei gleichem Feste gegönnt.

      Hiedurch veranlasst, fragte er am Weihnachtsabend, wo so viele Geschenke vorlagen, wann denn sein Weihnachten komme. Dies allgemeine Fest zu begreifen war noch ein ganzes Jahr nötig.

      Die große Schwierigkeit bei psychologischen Reflexionen ist, dass man immer das Innere und Außere parallel oder vielmehr verflochten betrachten muss. Es ist immerfort Systole und Diastole, Einatmen und Ausatmen des lebendigen Wesens; kann man es auch nicht aussprechen, so beobachte man es genau und merke darauf.