Compiègne gekommen sei?“ fragte der Graf, als ob er noch an der Sache zweifle.
„Meine eigenen Augen, ihr Herren,“ antwortete Dietrich. „Stets fürchtete ich Verrat, denn ich traute den doppelsinnigen Worten nicht. Deshalb habe ich dauernd gewacht, gespäht und aufgepaßt. So habe ich Johanna von Navarra gesehen, ihre Stimme gehört. Meine Ehre setz' ich dran, daß meine Worte wahr sind.“
„Hört, ihr Herren,“ sprach Walter van Lowendeghem, „Dietrich sagt uns die Wahrheit, er gibt sein Ehrenwort darauf; Johanna von Navarra ist also beim König. Die ungnädige Fürstin wird alles aufbieten, um uns zu schädigen, und Gott weiß, was ihr alles zu Gebote steht. Am besten überlegen wir schleunigst, wie wir uns aus dieser Schlinge ziehen. Käme man, um uns festzunehmen, so wäre es zu spät.“
Der alte Graf versank in trostlose Trauer. Keine Rettung sah er aus dieser gefährlichen Lage, hier inmitten in des Königs Landen schien ihm die Flucht nach Flandern unmöglich. Robert van Bethune murrte und verwünschte innerlich die Reise, die ihn seinen Feinden wehrlos in die Hände geliefert hatte.
Während sie alle in trübem Schweigen auf den trostlosen Grafen blickten, trat ein Hofknappe in die Tür des Saales und rief:
„Herr von Nogaret, Gesandter des Königs!“
Eine plötzliche Bewegung offenbarte die Erschütterung der Vlaemen ob dieser Ankündigung. Nogaret war stets der Vollstrecker geheimer Befehle des Königs. Sie glaubten, er käme mit den Leibwachen, um sie gefangenzunehmen. Robrecht van Bethune zog seinen Degen aus der Scheide und legte ihn vor sich auf den Tisch; auch die andern griffen an die Schwerter, während sie zur Tür starrten.
So standen sie da, als Nogaret hereintrat. Er verbeugte sich höflich vor den Rittern und sagte zu Gwijde gewandt:
„Graf von Flandern, mein gnädiger König und Gebieter wünscht, daß Ihr Euch morgen vormittag gegen elf Uhr mit Euren Lehensmannen zu Hofe begebet, um öffentlich von ihm Verzeihung für Euer Vergehen zu erflehen. Die Ankunft der durchlauchtigsten Königin von Navarra hat diesen Befehl beschleunigt. Sie selbst hat sich bei ihrem fürstlichen Gemahl für Euch verwandt, und ich soll Euch von ihr ausrichten, daß sie Eure Unterwerfung gern sähe. – Also bis morgen, ihr Herren! Entschuldigt, daß ich euch so eilig verlasse. Ihre Majestät wartet auf mich, und ich darf nicht säumen, – der Herr beschütze euch!“
Mit diesem Gruß schritt er aus dem Saale.
„Dem Himmel sei Dank, meine Herren,“ sprach Gwijde. „Der König ist uns gnädig gesinnt, und nun können wir getrost und heiter zur Ruhe gehen. Ihr habt des Königs Wünsche vernommen: rüstet euch also, ihnen geziemend zu entsprechen.“
Nun fanden die Ritter ihre frohe Laune wieder. Sie plauderten noch eine Weile von Dietrichs Furcht und dem verheißenen guten Erfolg, dann ward der letzte Becher auf ihres Grafen Wohl geleert. Als sie sich trennen wollten, ergriff Dietrich Robrechts Hand und sagte schwermütig:
„Lebt wohl, mein Freund und Gebieter! ja, lebt wohl; denn vielleicht wird eine lange Zeit vergehen, ehe ich Euch wieder einmal die Hand drücken kann. Denkt daran, daß Euer Diener Dietrich Euch immer trösten und beistehen wird, in welchem Kerker Ihr auch sein möget.“
Robrecht sah eine Träne in Dietrichs Augen glänzen und entnahm daraus die tiefe Rührung seines treuen Freundes. „Ich verstehe Euch, Dietrich,“ flüsterte er ihm ins Ohr. „Was Ihr fürchtet, ahnt auch mir; aber es gibt keinen Ausweg. Lebt denn wohl, bis auf bessere Tage.“
„Ihr Herren,“ rief Dietrich im Fortgehen, „wenn ihr Nachrichten an eure Blutsverwandten nach Flandern zu senden habt, so rate ich euch, macht sie bald fertig; ich werde euer Bote sein.“
„Was sagt Ihr,“ verwunderte sich Walter van Lowendeghem, „wollt Ihr denn nicht mit uns zu Hofe gehen, Dietrich?“
„Jawohl, ich werde bei euch sein, aber ihr werdet mich so wenig erkennen als die Franzosen. Ich hab' es verschworen, Philipp soll den Fuchs nicht fangen! Gott behüte euch, ihr Herren!“
Als er ihnen diesen letzten Gruß zurief, war er bereits zur Tür hinaus. Der Graf zog sich mit seinen Leibpagen zurück, und auch die übrigen verließen den Saal, um schlafen zu gehen.
Zur festgesetzten Stunde konnte man in einem weiten Saale des königlichen Palastes die vlaemischen Ritter mit ihrem alten Grafen erblicken. Ihre Waffen hatten sie im Vorzimmer ablegen müssen. Heitere Zufriedenheit sprach aus ihren Zügen, als ob sie sich schon im voraus der gelobten Gnade freuten. Das Antlitz Robrechts van Bethune hatte freilich einen anderen Ausdruck. Es zeigte bitteren Groll, rasende Wut. Der mutige Vlaeme konnte nicht ertragen, wie hochmütig die Franzosen dreinschauten, und ohne die Liebe zu seinem Vater hätte er gar manchen deshalb zur Rechenschaft gezogen. Der Zwang der Not bedrückte ihn; bei genauer Beobachtung hätte man merken können, daß er die Hände rang, als wollten sie Fesseln sprengen.
Karl von Valois stand bei dem alten Gwijde und unterhielt sich freundlich mit ihm. Er harrte des Augenblicks, da er nach dem Geheiß seines königlichen Bruders die Vlaemen zum Throne geleiten sollte. Auch einige Äbte und Prälaten sah man unter den Anwesenden, ferner auch manch wackeren Bürger von Compiègne, der absichtlich zu dieser Feier geladen worden war.
Während alle von Gwijdes Angelegenheit sprachen, kam ein alter Pilger in den Saal, mit einem breiten Hut auf dem demütig geneigten Haupte, so daß die Gesichtszüge kaum zu erblicken waren. Ein brauner muschelgezierter Pilgerrock verhüllte seine Gestalt, und ein langer Stab, mit einem Trinkgefäß daran, stützte seine matten Glieder. Sobald die Prälaten ihn erblickten, traten sie zu ihm und überschütteten ihn mit Fragen. Der eine wollte wissen, wie es den Christen in Syrien erginge, der andre, wie der Krieg in Italien stände, ein dritter erkundigte sich, ob er keine wunderbaren Reliquien mitgebracht habe, und was man sonst noch alles von Pilgern erfahren möchte. Auf alles das antwortete er wie jemand, der erst eben aus diesem fernen Lande kommt, und erzählte so viel Wundersames, daß ihm die Umstehenden ehrerbietig und neugierig lauschten. Inmitten seiner ernsten, sachlichen Schilderung gebrauchte er aber doch zuweilen so komische Wendungen, daß selbst die Prälaten laut lachen mußten. Bald hatten sich mehr als fünfzig Personen rund um ihn geschart, und einige gingen in ihrer Bewunderung und Verehrung so weit, daß sie unauffällig seinen Rock berührten, als ob ihnen das besonderen Segen brächte. Dennoch kam dieser seltsame Pilger nicht von der Reise; er hatte die Lande, die er so gut zu kennen schien, nur in der Jugend besucht und wußte nicht viel mehr von dem, was er gesehen hatte. Aber wo die Erinnerung versagte, kam die Phantasie zu Hilfe; dann erzählte er von übernatürlichen Dingen und lachte innerlich über die leichtgläubigen Zuhörer: es war Dietrich der Fuchs. Niemand kam ihm in der Kunst gleich, sich zu verkleiden und alle möglichen Gestalten anzunehmen. Er konnte sein Gesicht durch Wässer und Farben älter und jünger machen, und zwar so geschickt, daß selbst seine Freunde ihn nicht zu erkennen vermochten. Er traute dem Wort des französischen Fürsten nicht im mindesten und wollte, wie er im voraus zum Grafen gesagt hatte, nicht leiden, daß man den Fuchs finge. Deshalb hatte er diese Verkleidung angelegt, um den Feinden nicht in die Hände zu fallen.
Kurz darauf betrat der König mit der Königin, gefolgt von zahllosen Rittern und Hofdamen, den Saal, und beide bestiegen den Thron. Die meisten französischen Herren stellten sich längs der Wand in zwei Reihen auf, die andern blieben in der Nähe der Bürger stehen. Zwei Herolde mit den Bannern von Frankreich und Navarra nahmen zu beiden Seiten des Thrones Aufstellung.
Auf ein Zeichen des Königs trat Karl von Valois mit den vlaemischen Edlen vor; selbige beugten vor dem Thron ein Knie auf Sammetkissen nieder und verharrten schweigend in dieser demütigen Haltung. Zur Rechten des Grafen kniete sein Sohn Wilhelm, zur Linken, auf Robrechts Platz, ein Edler, Walter van Maldeghem. Robrecht war bei den französischen Rittern geblieben; anfangs glückte es ihm, von Philipp dem Schönen unbemerkt zu bleiben.
Die Gewänder der Fürstin Johanna glänzten von Gold und Edelsteinen, und die königliche Krone, die ihr Haupt schmückte, strahlte mit ihren tausend Diamanten heller denn des Tages Licht. Hochmütig und eitel warf die stolze Frau verächtliche Blicke auf die Vlaemen, die vor ihr auf den Knien lagen, und lächelte haßerfüllt und ließ den alten Grafen