Hendrik Conscience

Der Löwe von Flandern


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durch dieses Mittel die Tränen meines unglücklichen Kindes trocknen kann! Aber wer weiß, ob in diesem gefährlichen Frankreich Kerkerbande nicht auch mir bevorstehen?“

      „Fürchtet nichts, Graf, fürchtet nichts,“ entgegnete ihm Valois, „ich selbst will Euch verteidigen und Euch treu zur Seite stehen. Und sollten unsere Bemühungen fruchtlos bleiben, so werden Euch mein Siegel und meine Ehre freies Geleit nach Rupelmonde zurück sichern.“

      Gwijde ließ die Zügel los, ergriff die Hand des französischen Ritters und drückte sie in tiefer Dankbarkeit. „Ihr seid ein edler Feind,“ sagte er schmerzlich.

      Während dieses Zwiegespräches war der ganze Zug in eine weite Ebene gekommen, durch welche der Krekelbach rauschte. Jeder machte sich zur Jagd bereit.

      Die vlaemischen Ritter setzten sich ihre Falken auf die Faust. Die Hunde wurden verteilt, und die Leitbänder der Jagdvögel gelöst.

      Die Frauen hatten sich unter die Ritter gemischt, und es traf sich, daß Karl von Valois nun neben der schönen Machteld ritt.

      „Ich glaube, anmutiges Edelfräulein,“ sagte er, „daß Ihr den Preis der Jagd erringen werdet; denn einen schöneren Vogel als den Euren habe ich nie gesehen. Er hat so gleichmäßiges Gefieder, so starke Schwingen, so gelb geschuppte Klauen. Er ist wohl recht schwer auf der Hand?“

      „O ja – sehr schwer, edler Herr,“ gab Machteld zur Antwort. „Und obgleich er nur für den tiefen Flug abgerichtet ist, kann er doch Reihern und Kranichen hoch in der Luft nachjagen.“

      „Es scheint mir,“ bemerkte Valois, „daß Euer Wohledeln ihn zu reichlich füttern. Es wäre besser, ihm etwas schmalere Kost zu geben.“

      „O nein, verzeiht, Herr von Valois,“ rief die Maid hoheitsvoll, „aber da täuscht Ihr Euch sicherlich: mein Falke ist so gerade recht. Ich bin in der Falkenzucht nicht unkundig. Ich selbst habe diesen schönen Habicht aufgezogen, zur Jagd abgerichtet und ihn des Nachts bei Kerzenschein bewacht. Aus dem Weg, Herr von Valois, aus dem Weg, über dem Sumpf steigt eben eine Schnepfe auf.“

      Als Herr von Valois nach der angedeuteten Stelle sah, zog Machteld ihrem Falken die Kappe ab und warf ihn hoch.

      „Steig' auf, mein lieber Falke!“ rief ihm Machteld nach.

      Auf dies Geheiß flog der Vogel himmelwärts. Das Auge konnte ihm nicht mehr folgen. Einige Zeit ruhte er bewegungslos auf seinen Fittichen, und seine durchdringenden Augen suchten nach dem ihm bestimmten Wild. Bald sah er die Schnepfe in der Ferne fliegen. Schneller als ein niederstürzender Stein stieß der Falke auf den armen Vogel und packte ihn mit seinen scharfen Klauen.

      „Seht Ihr, Herr von Valois,“ rief Machteld erfreut aus, „daß Frauenhand auch gut Falken abrichten kann. Da kommt mein treuer Vogel mit seiner Beute zurück.“

      Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, als der Habicht schon mit der Schnepfe auf ihrer Hand saß.

      „Gönnt mir die Ehre, das Wild aus Euern schönen Händen zu empfangen,“ bat Karl von Valois.

      Bei dieser Frage wurde das Antlitz der Jungfrau traurig. Sie blickte den Ritter flehend an und sagte: „Ach, Herr von Valois, nehmt es mir nicht übel, ich habe meine erste Beute schon meinem Bruder Adolf, der da neben meinem Vater steht, versprochen.“

      „Euerm Ohm Wilhelm, wollt Ihr sagen, mein edles Fräulein.“

      „Nein, unserem Bruder Adolf van Nieuwland. Er ist so gut, so gefällig zu mir. Er hilft mir beim Abrichten meines Falken. Er lehrt mich Lieder und Sagen und spielt mir auf der Harfe vor. Wir haben ihn alle sehr lieb.“

      Während dieser Worte hatte Karl von Valois seinen durchdringenden Blick forschend auf Machteld geheftet, doch er erkannte, daß nur Freundschaft im Herzen der Jungfrau wohnte.

      „Da hat er sich diese Gunst redlich verdient,“ sagte er lächelnd, „laßt Euch nur nicht durch meine Bitte länger zurückhalten.“

      Ohne sich um die Gegenwart der anderen Ritter zu kümmern, rief Machteld so laut sie konnte: „Adolf, Herr Adolf!“ Und ausgelassen wie ein Kind schwang sie ihre Schnepfe hoch in der Luft.

      Auf ihren Ruf ritt der Jüngling zu ihr heran.

      „Adolf,“ rief sie, „das ist Eure Belohnung für die schönen Sprüche, die Ihr mich gelehrt habt.“

      Der junge Ritter verbeugte sich ehrerbietig vor ihr und nahm fröhlich die Schnepfe in Empfang. Die Ritter betrachteten ihn mit neidischer Neugierde, und mehr als einer suchte auf seinem Antlitz heimliche Liebe zu entdecken; – aber vergeblich! Plötzlich wurden sie aus ihrem neugierigen Forschen aufgeschreckt.

      „Schnell, Herr van Bethune,“ rief der Hauptfalkenier, „nehmt Euerm Geierfalken die Kappe ab und werft ihn auf; denn da läuft ein Hase!“

      Einen Augenblick später schwebte der Vogel bereits hoch über den Wolken und stieß dann senkrecht auf das fliehende Wild. Es war ein sonderbarer Anblick. Denn als der Falke seine Krallen in den Rücken des flüchtigen Hasen geschlagen hatte, klammerte er sich dort fest, und so stürzten beide windschnell vorwärts; doch dauerte es nicht lange. Gerade als sie an einem Buschholz vorbeiliefen, krallte sich der Falke mit der einen Klaue daran fest und hielt mit der anderen das Wild, daß es nicht fortkam, soviel es auch zappelte und sich wand. Schnell wurden einige Hunde von der Koppel gelöst. Sie stürzten sich auf den Hasen und nahmen ihn dem Falken ab.

      Siegesfroh kreiste der mutige Vogel über den Hunden und flog über ihnen her bis zu den Jagdknechten; dann stieg er hoch auf und brachte seine Freude in eigenartigen Wendungen zum Ausdruck.

      „Herr van Bethune,“ rief Valois aus, „das ist ein Vogel, der seine Beute tapfer schwächt. Ein herrlicher Geierfalke!“

      „Ja, edler Graf, er ist der allerprächtigste,“ antwortete Robrecht. „Ihr solltet einmal seine Adlerklauen bewundern.“

      Mit diesen Worten warf er den Lockvogel hoch. Der Falke, der dies sah, kehrte sofort auf die Faust seines Herrn zurück.

      „Seht nur,“ sagte Robrecht und zeigte Valois den Vogel, „seht nur das schöne Blond seines Gefieders, die silberweiße Brust und seine hohen, bläulich glänzenden Krallen!“

      „Ja, Herr Robrecht, das ist allerdings ein Vogel, der keinen Adler zu fürchten braucht,“ antwortete Valois, „aber sein Bein blutet anscheinend.“

      Robrecht, der seinen Falken genauer untersucht hatte, rief nun ungeduldig:

      „Falkenträger, komm schnell her zu mir, mein Vogel hat sich ernstlich gequetscht. Ach Gott, das arme Tier hat seine Klauen zu sehr angestrengt. Pflege ihn gut, mein treuer Steven. Sein Tod würde mich sehr traurig machen.“

      Er reichte den verletzten Falken zu Steven hinunter, der fast über den Vorfall weinte, denn da sein Amt darin bestand, die Falken zu lehren und abzurichten, so lagen ihm diese Tiere wie Kinder am Herzen.

      Kaum hatten die vornehmsten Herren ihre Falken aufgeworfen, so fingen auch alle anderen mit der Jagd an.

      Innerhalb von zwei Stunden fing man allerlei hochfliegendes Wild, wie: Enten, Möwen, Reiher und Kraniche und auch die tiefer streichenden Rebhühner, Drosseln und Brachvögel.

      Als die Sonne im Zenit stand, hallten die klaren Jagdhörner durch die Ebene. Der ganze Zug sammelte sich wieder, und in langsamem Schritt ging's zurück nach Wijnendaal.

      Unterwegs nahm Karl von Valois sein Gespräch mit dem alten Gwijde wieder auf. Obgleich der Graf von Flandern nicht ohne Mißtrauen an eine Reise nach Frankreich dachte, wollte er sie doch aus Liebe zu seinen Kindern trotz aller Gefahren unternehmen. Er beschloß, auf Anraten des französischen Feldherrn, sich mit allen Edeln, die ihm geblieben waren, Philipp dem Schönen zu Füßen zu werfen, um durch diese demütige Huldigung sein Mitleid zu erwecken. Die Abwesenheit der Königin ließ ihn hoffen, daß Philipp der Schöne nicht unerbittlich sein würde. –

      Robrecht van Bethune kam