Kurt Tucholsky

Schloss Gripsholm


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ist doch merk­wür­dig«, sag­te ich. »Wenn die Leu­te in Deutsch­land an Schwe­den den­ken, dann den­ken sie: Schwe­den­punsch, furcht­bar kalt, Ivar Kreu­ger, Zünd­höl­zer, furcht­bar kalt, blon­de Frau­en und furcht­bar kalt. So kalt ist es gar nicht.« – »Also wie kalt ist es denn?« – »Alle Frau­en sind pe­dan­tisch«, sag­te ich. – »Au­ßer dir!« sag­te Ly­dia. – »Ich bin kei­ne Frau.« – »Aber pe­dan­tisch!« – »Er­lau­be mal«, sag­te ich, »hier liegt ein lo­gi­scher Feh­ler vor. Es ist ge­naues­tens zu un­ter­schei­den, ob pro pri­mo …« – »Gib mal’n Kuss auf Ly­dia!« sag­te die Dame. Ich tat es, und der Chauf­feur nu­ckel­te leicht mit dem Kopf, denn sei­ne Schei­be vorn spie­gel­te. Und dann hielt das Auto da, wo alle bes­sern Ge­schich­ten an­fan­gen: am Bahn­hof.

      Es er­gab sich, dass der Ge­päck­trä­ger Nr. 47 aus War­ne­mün­de stamm­te, und der Freu­de und des Ge­re­des war kein Ende, bis ich die­se lands­män­ni­sche Idyl­le, der Zeit we­gen, un­ter­brach. »Fährt der Ge­päck­trä­ger mit? Dann könnt ihr euch ja viel­leicht im Zug wei­ter un­ter­hal­ten.« – »Olln Dös­kopp! Heww di man nich so!« sag­te die Prin­zes­sin. Und: »Wi hemm noch ban­nig Tid!« der Ge­päck­trä­ger. Da schwieg ich über­stimmt, und die bei­den be­gan­nen ein em­si­ges Pala­ver dar­über, ob Korl Dü­sig noch am »Strom« wohn­te – wis­sen Sie: Dü­sig – näää … de Olsch! So, Gott sei Dank, er wohn­te noch da! Und hat­te wie­der­um ein Kind her­ge­stellt: der Mann war achtund­sieb­zig Jah­re und wur­de von mir, hier an der Ge­päck­aus­ga­be, au­ßer­or­dent­lich be­nei­det. Es war sein sech­zehn­tes Kind. Aber nun wa­ren es nur noch acht Mi­nu­ten bis zum Ab­gang des Zu­ges, und … »Willst du Zei­tun­gen ha­ben, Ly­dia?« – Nein, sie woll­te kei­ne. Sie hat­te sich et­was zum Le­sen mit­ge­bracht – wir un­ter­la­gen bei­de nicht die­ser merk­wür­di­gen Krank­heit, plötz­lich auf den Bahn­hö­fen zwei Pfund be­druck­tes Pa­pier zu kau­fen, von dem man vor­her ziem­lich ge­nau weiß: Ma­ku­la­tur. Also kauf­ten wir Zei­tun­gen.

      Und dann fuh­ren wir – al­lein im Ab­teil – über Ko­pen­ha­gen nach Schwe­den. Vor­läu­fig wa­ren wir noch in der Mark Bran­den­burg.

      »Finns­te die Ge­gend hier, Pe­ter?« sag­te die Prin­zes­sin. Wir hat­ten uns un­ter an­derm auf Pe­ter ge­ei­nigt – Gott weiß, warum.

      Die Ge­gend? Es war ein hel­ler, win­di­ger Ju­ni­tag – recht frisch, und die­se Land­schaft sah gut auf­ge­räumt und ge­rei­nigt aus – sie war­te­te auf den Som­mer und sag­te: Ich bin karg. »Ja …«, sag­te ich. »Die Ge­gend …« – »Du könn­test für mein Geld wirk­lich et­was Ge­schei­te­res von dir ge­ben«, sag­te sie. »Zum Bei­spiel: die­se Land­schaft ist wie er­starr­te Dicht­kunst, oder sie er­in­nert mich an Fi­u­me, nur ist da die Flo­ra ka­tho­li­scher – oder so.« – »Ich bin nicht aus Wien«, sag­te ich. »Gott sei Dank«, sag­te sie. Und wir fuh­ren.

      Die Prin­zes­sin schlief. Ich den­kel­te so vor mich hin.

      Die Prin­zes­sin be­haup­te­te, ich sag­te zu je­der von mir ge­lieb­ten Frau, aber auch zu je­der –: »Wie schön, dass du da bist!« Das war eine pfunds­di­cke Lüge – manch­mal sag­te oder dach­te ich doch auch: »Wie schön, dass du da bist … und nicht hier!« – aber wenn ich die Ly­dia so ne­ben mir sit­zen sah, da sag­te ich es nun wirk­lich. Wa­rum –?

      Na­tür­lich des­we­gen. In ers­ter Li­nie …? Ich weiß das nicht. Wir wuss­ten nur die­ses: Ei­nes der tiefs­ten Wor­te der deut­schen Spra­che sagt von zwei Leu­ten, dass sie sich nicht rie­chen kön­nen. Wir konn­ten es, und das ist, wenn es an­hält, schon sehr viel. Sie war mir al­les in ei­nem: Ge­lieb­te, ko­mi­sche Oper, Mut­ter und Freund. Was ich ihr war, habe ich nie er­grün­den kön­nen.

      Und dann die Alt­stim­me. Ich habe sie ein­mal nachts ge­weckt, und, als sie auf­schrak: »Sag et­was!« bat ich. »Du Dum­mer!« sag­te sie. Und schlief lä­chelnd wie­der ein. Aber ich hat­te die Stim­me ge­hört, ich hat­te ihre tie­fe Stim­me ge­hört.

      Und das drit­te war das Mis­singsch. Man­chen Leu­ten er­scheint die platt­deut­sche Spra­che grob, und sie mö­gen sie nicht. Ich habe die­se Spra­che im­mer ge­liebt; mein Va­ter sprach sie wie hoch­deutsch, sie, die »voll­komm­ne­re der bei­den Schwes­tern«, wie Klaus Groth sie ge­nannt hat. Es ist die Spra­che des Mee­res. Das Platt­deut­sche kann al­les sein: zart und grob, hu­mor­voll und herz­lich, klar und nüch­tern und vor al­lem, wenn man will, herr­lich be­sof­fen. Die Prin­zes­sin bog sich die­se Spra­che ins Hoch­deut­sche um, wie es ihr pass­te – denn vom Mis­sing­schen gibt es hun­dert und aber­hun­dert Abar­ten, von Fries­land über Ham­burg bis nach Pom­mern; da hat je­der klei­ne Ort sei­ne Ei­gen­hei­ten. Phi­lo­lo­gisch ist dem sehr schwer bei­zu­kom­men; aber mit dem Her­zen ist ihm bei­zu­kom­men. Das also sprach die Prin­zes­sin – ah, nicht alle Tage! Das wäre ja un­er­träg­lich ge­we­sen. Manch­mal, zur Er­ho­lung, wenn ihr gra­de so zu Mut war, sprach sie miss­ingsch; sie sag­te dar­in die Din­ge, die ihr be­son­ders am Her­zen la­gen, und da­ne­ben hat­te sie im Lauf der Zeit schon viel von Ber­lin an­ge­nom­men. Wenn sie ganz schnell »All­mäch­ti­ger Bra­ten!« sag­te, dann wuss­te man gut Be­scheid. Aber mit­un­ter sprach sie doch ihr Platt oder eben je­nes hal­be Platt: miss­ingsch.

      Das weiß ich noch wie heu­te … Das war, als wir uns ken­nen­lern­ten. Ich war da­mals zum Tee bei ihr und bot den dis­kret lä­cher­li­chen An­blick ei­nes Man­nes, der balzt. Da­bei sind wir ja recht­schaf­fen ko­misch … Ich mach­te Plüschau­gen und sprach über Li­te­ra­tur – sie lä­chel­te. Ich er­zähl­te Scher­ze und be­leuch­te­te alle Schau­fens­ter mei­nes Her­zens. Und dann spra­chen wir von der Lie­be. Das ist wie bei ei­ner bay­ri­schen Rau­fe­rei – die rau­fen auch erst mit Wor­ten.

      Und als ich ihr al­les aus­ein­an­der­ge­setzt hat­te, al­les, was ich im Au­gen­blick wuss­te, und das war nicht we­nig, und ich war so stolz, was für ge­wag­te Sa­chen ich da ge­sagt hat­te, und wie ich das al­les so ge­nau und bren­nen­d­rot dar­ge­stellt und vor­ge­führt hat­te, in Wor­ten, so­dass nun ei­gent­lich der Au­gen­blick ge­kom­men war, zu sa­gen: »Ja, also dann …« – da sah mich die Prin­zes­sin lan­ge an. Und sprach: »Ei­nen welt­be­fohr­nen dschun­gen Mann –!«

      Und da war es aus. Und ich fand mich erst viel spä­ter bei ihr wie­der, im­mer noch la­chend, und mit der ero­ti­schen Wei­he war es nichts ge­wor­den. Aber mit der Lie­be war es et­was ge­wor­den.

      Der Zug hielt.

      Die Prin­zes­sin fuhr auf, öff­ne­te die Au­gen. »Wo sind wir?« – »Es sieht aus wie Stolp oder Star­gard – je­den­falls ist es et­was mit St«, sag­te ich. – »Wie sieht es noch aus?« frag­te sie. – »Es sieht aus«, sag­te ich und blick­te auf die Back­stein­häus­chen und den trüb­sin­ni­gen Bahn­hof, »wie wenn hier die Un­ter­of­fi­zie­re ge­bo­ren wer­den, die ihre Mann­schaf­ten schin­den. Möch­test du hier Mit­tag es­sen?« Die Prin­zes­sin schloss so­fort die Au­gen. »Ly­dia«, sag­te ich, »wir kön­nen auch im Spei­se­wa­gen es­sen, der Zug hat einen.« – »Nein«, sag­te sie. »Im Spei­se­wa­gen wer­den die Kell­ner im­mer von der Ge­schwin­dig­keit des Zu­ges an­ge­steckt, und es geht al­les so furcht­bar ei­lig – ich habe aber einen lang­sa­men Ma­gen …« – »Gut. Was liest du da üb­ri­gens, Alte?« – »Ich schla­fe seit zwei Stun­den auf ei­nem mon­dä­nen Ro­man. Der ein­zi­ge Kör­per­teil, mit dem man ihn le­sen kann …«, und dann mach­te sie die Au­gen wie­der zu. Und wie­der auf. »Guck eins … die