Claudia Torwegge

Mami Staffel 6 – Familienroman


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Tür. »Ein andermal, Amelie.«

      Sie winkte ihm, als er wegging, und warf ihm sogar eine Kußhand zu.

      Ein reizendes Kind. Und so nett, aufgeweckt und wohlerzogen, dachte er. Er grübelte, weshalb Nina ihm damals nichts davon gesagt hatte, daß sie ein Kind erwartete. Warum nur hatte sie ihm verschwiegen, daß sie schwanger war?

      *

      »Hoffentlich kommt die Inge nicht zu mir in die Klasse, wenn ich in die Schule komme«, vertraute Amelie ihrer Mutter an, als Nina wenig später zu ihr ins Krankenhaus kam. Zu Ninas großer Freude und Erleichterung sah Amelie viel besser aus und hatte sogar ein wenig Farbe in die blassen Wangen bekommen.

      »Was hast du denn dagegen?« erkundigte sich Nina.

      »Sie ist nicht mehr meine Freundin. Ich kann sie nämlich überhaupt nicht mehr leiden.«

      »So? Habt ihr euch gezankt?«

      »Ja, ein bißchen«, gab die Kleine zu.

      »Und worum ging’s denn?« wollte Nina wissen. Amelie seufzte abgrundtief auf.

      »Ach, es ging um meinen Vater.«

      »So, um deinen Vater«, wiederholte Nina betroffen.

      Oje, dachte sie, wieder dieses leidige Thema, das Amelie gerade in letzter Zeit sehr zu beschäftigen scheint.

      »Weißt du, Mami, sie glaubt nicht, daß er im Urwald ist«, sagte Amelie. »Sie behauptet, ich hätte überhaupt keinen Vater. Aber das stimmt doch nicht! Sag doch mal selber, Mami! Jeder Mensch hat einen Vater! Das hat mir sogar mein Onkel Doktor gesagt.«

      »Natürlich hat jeder Mensch einen Vater, da hat dein Onkel Doktor schon recht. Aber – leider kümmern sich nicht alle Väter um ihre Kinder.«

      »Mögen sie ihre Kinder denn nicht?« fragte Amelie und runzelte die Stirn. »Haben sie sie denn nicht lieb?«

      »Sieh mal, Liebling, das muß keine böse Absicht sein«, antwortete Nina. »Manchmal ist es einfach so, daß sie keine Zeit für ihre Kinder haben, weil sie zuviel arbeiten müssen. Und manchmal ist es so, daß sie vielleicht gar nicht wissen, daß sie ein Kind haben.«

      »Wirklich? Das kann ich mir aber nicht vorstellen«, meinte sie Kleine nachdenklich. »So was weiß man doch!«

      Nina strich ihr behutsam ein Löckchen aus der Stirn.

      »Manchmal weiß man es eben nicht, Amelie. Es gibt schon seltsame Dinge im Leben«, sagte sie.

      »Und – wie war das mit meinem Vater?« wollte Amelie nun genau wissen, und Nina versuchte, wahrheitsgemäß und für das Kind verständlich zu antworten.

      »Dein Vater ist von uns weggegangen, bevor du geboren wurdest. Er weiß nichts von dir. Wie sollte er dich also kennen – und liebhaben und sich um dich kümmern?«

      Amelie schwieg eine Weile, als müßte sie die Worte ihrer Mutter in sich hinein sickern lassen.

      »Aber – ich möchte auch einen richtigen Vater haben – so wie Inge!« sagte sie dann, und ihre Lippen zitterten verdächtig, als ob sie gleich anfangen wollte zu weinen. »Einen richtigen, echten Vater!«

      »Ich weiß, Liebling«, sagte Nina sanft. Sie streichelte über die Locken der Kleinen und fuhr fort: »Aber sieh mal, wenn ein Kind nun wirklich keinen richtigen Vater hat – so wie du, dann kann auch jemand anderer die Vaterstelle übernehmen. Vorausgesetzt natürlich, er hat das Kind sehr, sehr lieb und kümmert sich liebevoll darum.«

      Amelie sah ihre Mutter mißtrauisch an.

      »So einen will ich aber nicht«, sagte sie bockig.

      Nina seufzte leise auf. Wenn Amelie ihren Dickkopf aufsetzte, dann war es schwer, sie umzustimmen.

      »Und wenn er ganz lieb zu dir ist? Wenn er sich um dich kümmert, mit dir auf den Spielplatz geht oder Fahrrad fährt, mit dir spielt, dich vom Kindergarten abholt, dir Kakao kocht und ein Butterbrot zurecht macht?«

      Amelie schüttelte so heftig den Kopf, daß ihre Löckchen flogen.

      »Auch dann nicht«, sagte sie entschieden. »Entweder einen richtigen Vater oder gar keinen.«

      »Schade«, meinte Nina, und konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen. »Einen richtigen Vater kann ich dir leider nicht bieten.«

      Dann müssen wir beide eben weiterhin alleine bleiben, dachte sie bitter, sprach es aber nicht aus. Ihr war traurig zumute. Sie sehnte sich nach menschlicher Wärme, nach Liebe, nach Zärtlichkeit, nach einem Menschen, der zu ihr gehörte – nach Matthias. Es hätte alles so schön sein können, wenn, ja, wenn Amelie Matthias nicht rundheraus ablehnen würde.

      Sie ging zum Fenster und sah bekümmert hinunter auf den hübsch mit Blumen und Büschen bepflanzten Platz vor der Klinik. Leute kamen den Weg herauf, die wohl ihre Angehörigen im Krankenhaus besuchten, und andere gingen wieder. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Aber der Mann, nach dem sie sich mit allen Fasern ihres Herzens sehnte, war nicht dabei.

      Matthias, lieber, lieber Matthias, dachte sie. Da habe ich einen lieben und netten Mann gefunden, der mich liebt und der sogar meine Tochter akzeptieren und gern haben würde. Wir könnten miteinander glücklich sein, aber Amelie will nichts von ihm wissen.

      Nina sehnte sich nach ihm, nach seiner Liebe und seiner Zärtlichkeit – und sie wußte doch, daß sie um Amelies willen auf ihr Glück verzichten mußte. Sie schlug die Hände vors Gesicht, und tief in ihrer Brust tat etwas entsetzlich weh.

      »Mami, weinst du?« kam Amelies verzagte Stimme. »Mami, bitte weine doch nicht.«

      Sie stieg aus dem Bett und huschte mit bloßen Füßen zu ihrer Mutter hinüber und schmiegte sich an sie. Nina schluckte tapfer die Tränen hinunter, die in ihr aufsteigen wollten.

      »Nein, Liebling, ich weine nicht«, sagte sie betont munter, obwohl es ihr schwerfiel. »Ich war nur eben ein bißchen müde. Ich hatte heute viel Arbeit im Büro.«

      Amelie war auf die Fensterbank geklettert, hatte den Arm um Ninas Hals gelegt und schaute nun auch hinunter zu all den Leuten, die unten vor der Klinik zu sehen waren.

      »Schau mal, Mami, schau mal!« rief sie plötzlich ganz aufgeregt und deutete hinunter auf einen hochgewachsenen Mann, der offensichtlich zum Parkplatz ging. »Der Mann dort, das ist mein Onkel Doktor! Du, der ist furchtbar nett!«

      Ninas Blick folgte Amelies Zeigefinger – und ein eisiger Schreck durchfuhr sie. Der Mann, auf den die Kleine deutete, erinnerte sie an jemanden, den sie einmal gut, allzu gut gekannt hatte. Es war – daran gab es keinen Zweifel – Ulf. Unverkennbar Ulf. Seine hochgewachsene Gestalt, sein Gang, seine Kopfform, sein dichtes

      Haar.

      »Das gibt es doch nicht…«, sagte sie tonlos. Doch nun blieb er stehen, drehte sich für einen Moment um, und sie konnte sein Gesicht erkennen. Es war tatsächlich Ulf, unverkennbar Ulf.

      »Mami, denk mal, er war heute lange bei mir, und wir haben miteinander geredet«, sagte Amelie voller Wichtigkeit.

      Alles, alles, alles hätte ich vermutet, dachte Nina, nur das nicht. Nur das nicht, daß Ulf hier an der Klinik arbeitet. Ich habe ihn irgendwo im Ausland, in weiter Ferne vermutet – und bestimmt nicht hier in der Stadt…

      »Mami, weißt du was? Am Ende hat er mir sogar einen Kuß gegeben!« kicherte Amelie. Nina fuhr herum. Sie war blaß geworden.

      »Was – was sagst du da?« stieß sie hervor.

      »Er hat mir einen Kuß gegeben«, wiederholte die Kleine.

      »Seit wann geben die Ärzte ihren Patienten einen Kuß!«

      herrschte Nina ihre Tochter an. »Das hast du dir sicher nur ausgedacht!«

      Amelie sah ihre Mutter aus großen erschrockenen Augen an. War die Mami jetzt böse? Und warum eigentlich?

      »Nein, Mami, das habe ich mir bestimmt nicht ausgedacht!« versicherte