Gustav Schwab

Die Schildbürger & Doktor Faustus


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ihm eingab. Und solches trieben sie den langen, lieben Tag, solang als die Sonne schien, mit solchem Eifer, daß sie vor Hitze fast erlechzten und unter der Müdigkeit fast erlagen. Sie richteten aber so wenig damit aus, als vor Zeiten die Riesen, da sie Berge aufeinander türmten, um den Himmel zu erstürmen. Darum sprachen sie zuletzt: »Nun, es wäre doch eine feine Kunst gewesen, wenn es geraten wäre!« Und darauf zogen sie ab und hatten doch so viel gewonnen, daß sie auf gemeine Kosten zum Weine gehen und sich so wieder erquicken und erlaben durften.

      Die Schildbürger waren mitten in ihrer Arbeit, als von ungefähr ein fremder Wandersmann durch die Stadt und an ihnen vorüberreiste. Dieser stand lange stille, sah ihnen mit offenem Maule zu und vergaß es wieder zuzumachen; ja, bald wäre er auch zu einem Schildbürger geworden, so sehr zerbrach er sich den Kopf darüber, was denn das bedeuten sollte. Abends in der Herberge, wo er des Wunders willen sich niedergelassen, um das Abenteuer zu erfahren, fragte er nach der Ursache, warum er sie denn so eifrig in der Sonne habe arbeiten sehen, ohne begreifen zu können, was sie täten. Die umstehenden Schildbürger antworteten ihm ohne Bedenken, daß sie versucht hätten, ob sie das Tageslicht in ihr neugebautes Rathaus tragen könnten.

      Der fremde Geselle war ein rechter Vogel, genetzt und geschoren, wie es sein sollte, nur daß er weder Federn noch Wolle hatte. Er war nicht gesinnt, den Raub, der sich ihm hier anbot, aus den Händen zu lassen: deswegen fragte er sie ernsthaft, ob sie mit ihrer Arbeit etwas ausgerichtet hätten? Da sie mit Kopfschütteln antworteten, so sagte der Geselle: »Das macht, daß ihr die Sache nicht so angegriffen habt, wie ich euch wohl möchte geraten haben!« Dieser Tagesschimmer von Hoffnung machte die Schildbürger sehr froh, und sie verhießen ihm vonseiten des ganzen Fleckens eine namhafte Belohnung, wenn er ihnen seinen Rat mitteilen wollte. Dem Wirt befahlen sie, ihm tapfer aufzutragen und vorzusetzen, so daß der gute Geselle diese Nacht ihr Gast war und redlich ohne Geld zechte; wie das billig war, da er forthin ihr Baumeister sein sollte.

      Am folgenden Tag, als die liebe Sonne den Schildbürgern ihren Schein wieder gönnte, führten sie den fremden Künstler zum Rathaus und besahen es mit allem Fleiße von oben und unten, vorn und hinten, innen und außen. Da heißt sie der Geselle, der indessen mit der Schalkheit Rat gepflogen, das Dach besteigen und die Dachziegel hinwegnehmen, welches auch alsogleich geschah. »Nun habt ihr,« sprach er, »den Tag in eurem Rathause; ihr mögt ihn darin lassen, solang es euch gefällig ist. Wenn er euch beschwerlich wird, so könnet ihr ihn wohl wieder hinausjagen.« Aber die Schildbürger verstanden nicht, daß er damit meinte, sie sollten das Dach nicht wieder daraufdecken, sonst würde es wieder so finster werden, wie zuvor, sondern sie ließen die Sache gut sein, saßen in dem Hause zusammen und hielten den ganzen Sommer über Rat. Der Geselle nahm die Verehrung, zählte das Geld nicht lange, sondern zog hinweg und schaute oft hinter sich, ob ihm niemand nacheile, den Raub wieder von ihm zu nehmen. Er kam auch nie wieder, und noch heutigestages weiß niemand, woher er gewesen und wohin er gekommen; nur dies sagten die Schildbürger von ihm aus, daß sie ihn am Rücken das letztemal gesehen hätten.

      Nun hatten sie mit ihrem Rathause solches Glück, daß es den ganzen Sommer über, so oft sie zu Rate saßen, nie regnete. Inzwischen aber begann der liebliche Sommer sein lustiges Antlitz zu verbergen, und der leidige Winter streckte seinen rauhen Schnabel hervor. Da merkten die Schildbürger bald, daß, wie einer unter einem großen Wetterhut, wie die sind, welche junge Lappen gewöhnlich aus fremden Landen mitbringen, sich vor dem Regen sicher stellte, so auch sie sich mit dem Dache, wie einem Hute, gegen Schnee und Ungewitter schirmen müßten. Sie hatten daher nichts eiligeres zu tun, als das Dach mit gemeinschaftlicher Handreichung wieder zu decken. Aber, siehe da, wie das Dach wieder eingedeckt war und sie ins Rathaus gehen wollten, da war es leider wieder ebenso dunkel darin, als es zuvor gewesen war, ehe sie von der Ersparungskunst des Wanderers die Erfindung gelernt hatten, Tag in dem Hause zu machen, ohne ihn hineinzutragen. Und jetzt erst merkten sie, daß er sie häßlich hinter das Licht geführt habe. Sie mußten aber zu der geschehenen Sache das Beste reden, setzten sich wieder mit ihren Lichtspänen auf den Hüten zusammen und hielten geschwind einen Rat darüber, der sich weit in den Tag hineinzog. Endlich kam die Umfrage auch an einen, der sich nicht den Ungeschicktesten dünkte. Dieser stand auf und sagte, er rate eben das, was sein Vater raten werde. Nach diesem weisen Rate trat er aus der Versammlung, sich zu räuspern, wie denn die Bauern oft einen so bösen Husten haben, daß niemand um sie bleiben kann. Wie er nun in der Finsternis (denn sein Lichtspan war ihm erloschen) an der Wand hin und her krabbelte, wird er von ungefähr eines kleinen Risses in der Mauer gewahr. Auf einmal erinnert er sich mit großem Seufzen seiner ersten Weisheit, deren sich alle verziehen hatten; daher tritt er wieder hinein und spricht: »Erlaubet mir ein Wort zu reden, liebe Nachbarn!« Als ihm dies vergönnt wurde, sprach er weiter: »Nun, ich frage euch alle darum, sind wir nicht alle doppeltgebohrte Narren? Wir haben so ängstliche und üble Zeit mit unserem Rathaus, wenden Unkosten an und geraten noch dazu in große Verachtung. Und dennoch ist keiner von uns so gescheit gewesen, daß er gesehen hätte, daß wir in das Haus keine Fenster gemacht haben, durch die das Licht hereinfallen konnte. Das ist doch gar zu grob, zumal im Anfange unserer Torheit; da sollten wir nicht so auf einmal und mit einem Satz hineinplumpen, so daß es auch ein rechter, geborner Narr merken könnte!«

      Über diese Rede erschraken und verstummten die andern alle. Sie sahen einander an und schämten sich einer vor dem andern wegen der gar zu plumpen Wahrheit. Ohne die Umfrage abzuwarten, fingen sie darauf miteinander an, aller Orten die Mauern des Rathauses durchzubrechen, und da war kein Schildbürger unter allen, der nicht sein eigenes Fenster hätte haben wollen. Also wurde das Rathaus vollführt, bis auf den Einbau, von welchem sogleich Meldung getan werden soll.

      Nachdem ihrem Rathause sein großes Laster abgewöhnt und es endlich sehend geworden war, fingen die Schildbürger an, auch das Eingeweide des Hauses zurechtzumachen und die Gemächer zu verschlagen. Unter anderm machten sie drei abgesonderte Stuben, eine Witzstube, eine Schwitzstube und eine Badestube; diese mußten vor allen Dingen fertiggemacht werden, damit die Schildbürger, wenn sie über wichtige Sachen ratschlagen sollten, nicht behindert würden. Nun, meinten sie, sei das ganze dreieckige Rathaus aufs vortrefflichste fertig gemacht, und weihten es zu aller Narren Ehre feierlich ein.

      Inzwischen war der Winter ganz hereingebrochen, und es war kalt geworden. Nun sollten sie an einem Ratstage Gericht halten, und der Kühhirt hatte mit seinem Horn den Ratsherren die Losung gegeben. Da brachte denn jeder, damit das gemeine Wesen nicht beschwert würde, sein eigenes Scheit Holz mit, um die Stube zu wärmen. Aber, als sie sich nach der Heizung umsahen, siehe, da fand sich's, daß sie den Ofen vergessen hatten, ja nicht einmal Raum gelassen, wo man einen hinstellen könnte. Darüber erschraken sie abermals heftig bei sich selbst und schalten sich über ihre Torheit. Als sie nun anfingen, den Handel zu erwägen, da fielen gar mancherlei Meinungen. Einige waren der Ansicht, man sollte ihn hinter die Türe setzen. Da es aber herkömmlich war, daß der Schultheiß den Winter über hinter dem Ofen seinen Sitz haben mußte, so schien es schmählich zu sein, wenn er hinter der Türe säße. Zuletzt riet endlich einer, man sollte den Ofen vors Fenster hinaus setzen, und ihn nur zur Stube hereingucken lassen. Zu Zeiten dann, wenn es not täte, könnte er bei Abzählung der Stimmen auch mit gerechnet werden, denn, riete er schon nicht zur Sache, so sei er doch auch nicht dawider. Dem Schultheiß sollte man den nächsten Ort dabei einräumen. Diesem Rate ward von allen Bänken her einhelliger Beifall zugerufen. Doch sagte ein Alter unter ihnen, welcher schon länger Narr war als die andern: »aber, lieber Freund, die Hitze, die sonst in die Stube gehört, wird zum Ofen hinausgehen! Was hilft uns dann der Ofen?« – »Dafür weiß ich ein Mittel,« rief ein dritter. »Ich habe ein altes Hasengarn, das will ich der Gemeinde zum besten geben. Wir wollen es vor die Ofentüre hängen, daß es die Hitze im Ofen beschließe! Dann haben wir nichts Arges zu besorgen, nicht wahr, lieber Nachbar? Dann wollen wir tüchtig sieden und braten und die Äpfel in der Kachel umkehren!« Dieser Schildbürger wurde wegen seines so weisen Rates hoch gepriesen und ihm mit allen seinen Nachkommen der allernächste Sitz hinter dem Ofen zunächst bei der Äpfelkachel vergönnt.

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