Ludwig Thoma

Der Postsekretär im Himmel, und andere Geschichten


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eine definitive wäre, bestärkte er sich in dem Entschlusse, jede Zumutung abzulehnen, die mit seinem Charakter, seinen Neigungen und vor allem mit seiner Beamteneigenschaft nicht in Einklang ...

      Er wurde in seinem Gedankengange unterbrochen.

      Zwei riesige Engel ergriffen ihn, jeder bei einem Arm, und entführten ihn so schnell und gewaltsam, daß seine Füße den Boden kaum mehr berührten.

      Aber seltsam!

      Angermayer empfand gegen diese Begleiter weit weniger Widerwillen als gegen jenen sanften Jüngling, und die Gestalten, die Gesichter, die Manieren dieser ungefügen Geister muteten ihn beinahe vertraut an, so daß er trotz der rasenden Schnelligkeit, mit der er vorwärts getrieben wurde, in höflichem Tone zu fragen versuchte:

      »Sie entschuldig'n ...«

      »Halt's Mäu!« schrie der Engel zur Linken.

      »Jegerl! A Landsmann!« rief der Angermayer erfreut und machte einen Versuch, stehen zu bleiben, aber er wurde mit unwiderstehlicher Gewalt fortgerissen, und so keuchte er atemlos: »Geh, sag'n S' mir doch, wo S' her san?«

      »Wennst D'as scho wiss'n willst,« brüllte der Engel zur Rechten, »mir war'n Klosterhausknecht in Andechs ..«

      »Jessas Andechs!« jauchzte der Sekretär, und wunderkühle Nachmittage hinter den Maßkrügen des Bräustüberls fielen ihm ein, und er schnalzte unwillkürlich mit der Zunge.

      »Und an Backsteiner und an Radi!« setzte er die Reihe der seligen Erinnerungen fort.

      Mit wie wenig kann ein Mensch doch glücklich sein, und zu was brauchte man ein solches Paradies, wenn man es auf Erden hatte!

      Sein Herz fühlte sich hingezogen zu diesen groben Geistern.

      »Was teat's denn mit mir, Leuteln?« fragte er beinahe zärtlich.

      »Mir geb'n da nacha scho d' Leuteln!« sagte der Engel zur Linken.

      »Außi schmeiß'n tean ma Di,« rief der Engel zur Rechten.

      Und kaum waren ihm die Worte entfahren, so fühlte sich Angermayer von einem heftigen Wurfe einige Stufen abwärts geschleudert mit dem Kopfe in gefrorenen Schnee fahren, und tausend Sterne flimmerten vor seinen Augen. Ein Tor fiel donnernd hinter ihm zu. — — Er erwachte von dem Falle und der kühlen Luft, die um ihn strich. Er rieb sich die Augen und sah an sich hinunter mit entzücktem Erstaunen, denn er war bekleidet, und er sah um sich und erkannte den lieben alten Rathausturm, dessen beleuchtete Uhr die dritte Morgenstunde zeigte.

      Da merkte er froh, daß er im Bräuhause eingeschlafen war und alles nur geträumt hatte, bis auf den Hinauswurf.

      Der war erlebte Wirklichkeit.

      Die Hinterseer

       Inhaltsverzeichnis

      Aus: Assessor Karlchen. Verlag Albert Langen, München

      An den Straßenecken der Residenzstadt X. waren große Plakate angeschlagen, welche verkündeten, daß die »Hinterseer« ihre Vorstellungen im Hoftheater mit dem oberbayerischen Gebirgsstücke »Der Schnackeltoni« am Heutigen beginnen würden.

      Man war auf die schauspielerischen Leistungen dieser Kinder der bayerischen Alpen um so mehr gespannt, als die Tagesblätter seit Wochen rühmende Berichte über die urwüchsige, naive Kunst dieser einfachen Bauern gebracht hatten. Der berufenste Kritiker der Stadt, Herr Moritz Bärenthal, hatte noch gestern in seinem Theaterbriefe Nr. 288 geschrieben: »Es sind Bauern. Nur Bauern. Einfache, mit Lederhosen bekleidete Bauern. Aber, was sie uns bieten, ist echte Kunst. Reine, unverfälschte Kost. Man verstehe mich. Ich sage nicht: es ist die Kunst. Ich sage nicht, daß sie allen meinen Vorschriften in Brief 68 und 132 (siehe diese) entspricht. Aber es ist doch Kunst. Die Stücke sind gut. Man gehe hinein. M. B.«

      Ein anderes Blatt hatte ein Feuilleton über die Hinterseer gebracht. Die bekannt geistreiche Verfasserin desselben schrieb: »Aus diesen Volksstücken weht es uns entgegen wie Waldesluft und Bergesodem. Wir hören das Murmeln der Bäche und das Rauschen der Bäume, und über alledem schwebt leise verklingend ein melodischer Jodler aus der Kehle eines drallen Bauernmädchens, während im Hintergrunde der ‚Bua‘ jauchzend und hüpfend einen Schuhplattler tanzt.«

      Kein Wunder also, daß die erste Aufführung der Hinterseer das ganze gebildete Publikum der Stadt im Hoftheater versammelte.

      Auch Serenissimus hatte sich mit Allerhöchstdero Gemahlin eingefunden. In eingeweihten Kreisen erzählte man sich, daß der hohe Herr vor Beginn der Vorstellung sich heiter angeregt von dero Gemahlin über das Milieu hatte belehren lassen.

      Die höchste Frau war nämlich vollständig vertraut mit den Sitten und Gebräuchen des Gebirgsvolkes, da Höchstsie einigemale bereits durchgereist waren.

      Ihre Durchlaucht schilderten den bekannten Stolz des reichen Bauern, welcher seine Töchter nur wiederum an Bemittelte verheiratet, was insofern nicht ganz den Intentionen der hübschen Landmädchen entspricht, als diese gewöhnlich ihre treuherzige Zuneigung einem Bediensteten des Vaters schenken.

      Durchlaucht erwähnten dann noch den rührenden Kampf zwischen Pflicht und Liebe seitens der Tochter, berührten auch die Entsagung des armen Knechtes, den Konflikt desselben mit dem starrköpfigen Alten und bemerkten, daß alle diese Gefühle am Schlusse des Stückes durch Patschen auf die entblößten Knie rhythmisch zum Ausdrucke gelangen.

      Serenissimus hörten sichtlich interessiert zu und waren sich beinahe im klaren, als das Stück begann.

      Es war eine echte, taufrische Dichtung.

      Die Tochter des reichen Freihofbauern liebte den Flößer Toni, welcher der beste Schütze und Kegelschieber rundum war.

      Der Alte hatte beschlossen, seine Afra an den buckeligen Sohn des steinreichen Holzhändlers Schmid zu verheiraten. Alles war besprochen und verabredet zwischen den Eltern.

      Da kommt plötzlich die Entdeckung, daß der arme Schnackeltoni diese Pläne stören will.

      Bei einem Preiskegeln ist der Freihofbauer über die Kunst des strammen Burschen so entzückt, daß er ihm freistellt, einen Wunsch zu äußern, gleichviel welchen; er wolle ihn gewähren. Und als Toni das nicht glaubt, schwört er bei seiner Ehre und dem Grabe seiner Eltern.

      Da wünscht der Uebermütige die Hand der Afra Wegleitner zum ehelichen Bunde!!

      Der nächstfolgende Akt schildert packend den Seelenkampf des Alten, welcher vor der schweren Wahl steht, ob er dem Holzhändler Schmid oder dem Floßknechte Toni das gegebene Wort brechen soll. Er entscheidet sich schweren Herzens zu letzterem und greift mit rauher Hand in das Lebensglück seiner Tochter, welche nach einem schrecklichen Kampfe zwischen Eltern- und Burschenliebe den Helden des Stückes in die Fremde schickt.

      Toni zieht in den Krieg, rettet bei Sedan einen Oberst und zwei Generäle, erhält das Eiserne Kreuz, wird verwundet und sieht im Lazarette seine Afra wieder, welche Krankenpflegerin geworden ist.

      Im letzten Akt kommt die Versöhnung. Der alte Wegleitner will immer noch starrköpfig den Floßknecht verschmähen, da bringt der Bürgermeister ein Handschreiben des Königs, welcher die Ehe der lieblichen Alpenrose mit dem tapferen Ritter des Eisernen Kreuzes befiehlt.

      Wortlos starrt der Alte auf den Brief.

      Mit zitternder Stimme sagt er:

      »Wos? Vom Kini? Von unserm Kini? An Briaf von unserm Kini? No, Toni, da hast halt Dei Afra! Bal's da Kini selber hamm will, ko der Freihofbauer net dagegen sei. Leuteln, spielt's oan auf!«

      Und nun beginnt auf der Bühne, welche sich rasch mit Burschen und