ist damit?« Die Stimme des jungen Mannes wurde schlagartig heiser.
»Mylady wird Sie einladen, in solch einen Tiefbrunnen zu steigen.«
»Wollen Sie mich... umbringen?« Der Mann atmete hastig durch.
»Sie sehen doch noch recht gesund und kräftig aus«, stellte die ältere Dame fest. »Einige Tage werden Sie bestimmt durchhalten. Oder sehen Sie das anders, Mister Parker?«
»Mylady können davon ausgehen, daß Mister Stiller mit Sicherheit das Wochenende noch erleben wird.«
»Heute is’ doch erst Dienstag«, stöhnte Stiller.
»Sie werden sich allerdings ein wenig langweilen«, vermutete der Butler.
»Und ... und wer holt mich da wieder raus?« wollte Lem Stiller wissen. Seine Stimme war noch heiserer geworden.
»Mylady wird sich rechtzeitig an Sie erinnern«, beruhigte der Butler ihn. »Sie sollten sich also keine unnötigen Sorgen machen.«
Während der Butler sprach, baute er sich vor einem gußeisernen und kreisrunden Kanaldeckel auf, der im Beton des Bodens eingelassen war. Er machte Stiller damit optisch klar, was ihn erwartete.
»Un’ wenn ich die Wahrheit sag’?« fragte Stiller bei Mylady an.
»Sie sollten es auf einen Versuch ankommen lassen«, schlug der Butler vor.
»Ich hab’ schon ein paarmal Handtaschen geklaut«, räumte Stiller jetzt ein. »Das is’ aber noch gar nichts gegen den Frauenjäger. Der räumt ganz anders ab.«
»Sie wollen damit zu verstehen geben, daß Sie den erwähnten Frauenjäger nur kopiert haben?«
»Aber ganz friedlich«, behauptete Stiller.
»Habe ich von diesem Frauenjäger bereits gehört, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame interessiert.
»Mehr als nur andeutungsweise, Mylady«, redete Parker ihr ein, um sich dann wieder an Stiller zu wenden. »Sie sollten sich über den Frauenjäger eingehender auslassen, Mister Stiller. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, Ihnen den Brunnenschacht zu ersparen.«
Worauf Stiller ausgiebig redete.
*
Das Apartment des Lem Stiller befand sich in einem schäbigen Wohnblock im Londoner Stadtteil Stepney.
Parker parkte sein hochbeiniges Monstrum vor einem kleinen Gemüseladen und musterte unauffällig die nähere Umgebung, als er ausstieg und den hinteren Wagenschlag für Lady Simpson öffnete.
Es war eine ärmliche Gegend, Mylady und Parker erregten einiges Aufsehen, als sie auf das Wohnhaus zuschritten. Die ältere Dame bemerkte jedoch nichts davon. Zudem wurde sie von dem Angebot an Südfrüchten abgelenkt, die links und rechts von der Ladentür des Gemüsegeschäftes zum Kaufanreiz ausgestellt wurden. Wie selbstverständlich versorgte sie sich mit einem rotbackigen Apfel, um eine Kostprobe zu nehmen.
»Zu Mister Lem Stiller«, sagte Parker zu dem Gemüsehändler und drückte ihm eine Münze für die Kostprobe in die Hand. »Man erwartet uns bereits.«
»Lem scheint ’ne Versammlung aufziehen zu wollen«, sagte der Gemüsehändler ironisch.
»Wie darf man Ihren Hinweis verstehen?« erkundigte sich der Butler und verabreichte dem Mann eine weitere Münze.
»Zwei Besucher sind bereits raufgegangen«, lautete die Antwort. »Aber ich will nichts gesagt haben.«
»Meine Wenigkeit kann sich nicht erinnern, von Ihnen einen Hinweis bekommen zu haben«, stellte der Butler in seiner höflichen Art klar, um sich dann nach dem Stockwerk zu erkundigen, in dem Stillers Apartment lag. Er erhielt prompt eine Auskunft, lüftete dankend die schwarze Melone und geleitete die ältere Dame dann in das benachbarte Treppenhaus.
»Habe ich richtig gehört, Mister Parker, daß bereits zwei Besucher oben sind?« fragte Lady Agatha.
»Erstaunlicherweise, Mylady.« Parker deutete eine zustimmende Verbeugung an.
»Zwei Mittäter, Mister Parker«, wußte sie wieder mal im vorhinein. »Ich werde gleich ein ganzes Diebesnest ausheben.«
»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Josuah Parker ließ sich auf keine Diskussion ein und führte Agatha Simpson in den zweiten Stock. Sie schnaufte ein wenig, als sie den Korridor erreichte.
»Häuser ohne Aufzüge müßten verboten werden«, sagte sie. »Ich sollte unbedingt mal mit dem Wohnungsbauminister reden, Mister Parker. Erinnern Sie mich daran.«
Der Butler schien nichts gehört zu haben.
Er hatte erneut die Führung übernommen und steuerte eine Tür an, die am Ende des Korridors lag. Laut Erklärung sollte sich hinter ihr das Apartment des Diebes befinden.
Die beiden Besucher, von denen der Gemüsehändler gesprochen hatte, mußten sich bereits in der Wohnung von Lem Stiller befinden. Parker ging sicherheitshalber davon aus, daß man es wohl kaum mit friedlichen Bürgern zu tun hatte. Eine gewisse Vorsicht war also wohl angebracht.
Parkers Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den schmalen Briefschlitz im unteren Drittel der Tür. Er griff in eine seiner vielen Westentaschen, holte eine Art Pillendose hervor und entnahm ihr eine perforierte Plastik-Kapsel, in der sich eine kleine Glasampulle befand, die mit einer wasserklaren Flüssigkeit gefüllt war. Er zerdrückte diese Glasampulle und warf die Kapsel dann durch den Briefschlitz in das Innere des Apartments.
»Sie übertreiben Ihre Vorsicht wieder mal«, mokierte sich die ältere Dame prompt. »Sie sehen bereits überall Gespenster, Mister Parker.«
»Man sollte sich vielleicht ein wenig zurückziehen und abwarten, Mylady«, schlug der Butler vor, der genau wußte, was sich im Apartment tat. Die wasserklare Flüssigkeit reagierte ausgesprochen heftig mit dem Sauerstoff in der Luft und sorgte auf diese Weise für einen Nebelschwaden, der mit Sicherheit die Bronchien reizte.
Was geschah, wie bald darauf zu hören war.
*
Die beiden Burschen hingen in zwei geöffneten Fenstern und husteten wie erkältete Robben.
Sie hatten nicht mitbekommen, daß Parker bereits die Tür geöffnet hatte. Der Butler trug eine Nasenklemme und atmete durch eine völlig normal aussehende Zigarre, die in Wirklichkeit jedoch eine Atem-Patrone war. Ohne Schaden zu nehmen, ging Parker auf die beiden Besucher zu und blieb in Schirmstocklänge hinter ihnen stehen. Noch machte er sich nicht bemerkbar.
Er blickte zurück zur Tür und war erleichtert, daß Mylady sich an seinen Rat gehalten hatte. Er hatte ihr höflich vorgeschlagen, mit dem Nähertreten ein wenig zu warten.
Der Reizstoff verflüchtigte sich bald, zumal durch das Öffnen der Tür ein kräftiger Durchzug entstanden war. Die beiden Männer husteten bereits weniger und drückten sich endlich von den Fensterbänken ab. Als sie sich umwandten, blickten sie den Butler völlig entgeistert an.
Dann reagierten sie auf unverwechselbare Art. Sie ließen klar erkennen, daß sie nach Waffen greifen wollten, die sich in Schulterhalftern befanden. Bevor sie sie jedoch erreichen konnten, sorgte Parker für klare Verhältnisse.
Er funktionierte seinen altväterlich gebundenen Regenschirm in einen Kendo-Stock um und setzte die beiden Männer mit blitzartigen Stößen außer Gefecht. Sie verbeugten sich ungemein tief vor ihm und lagerten sich auf dem Fußboden. Für den Butler gab es keine Schwierigkeiten, ihnen daraufhin die Waffen abzunehmen.
Die beiden Männer schnappten nach Luft, massierten sich die getroffenen Stellen und blickten den Butler in einer Mischung aus Irritation und Wut an. Wahrscheinlich hatten sie solch eine Behandlung noch nie erlebt.
»Falls meine Wenigkeit ein wenig voreilig reagiert haben sollte, bittet man um Entschuldigung«, sagte Josuah Parker. »Sie warten auf Mister Lem Stiller, wenn man fragen darf?«
»Verdammt, wer sind Sie?« wollte einer der beiden Männer wissen und hüstelte.