Henryk Sienkiewicz

Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz


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der Böhme war tief bewegt, denn er begriff nur zu wohl, wie schwer ihr eine Entscheidung darüber fallen müsse, ob sie nach Zgorzelic heimkehren, in dessen Nähe ja die wilden Gesellen Cztan und Wilk hausten, oder ob sie in Spychow bleiben solle, wohin früher oder später Zbyszko mit Danusia kommen würde. Hlawa hatte ein tiefes Verständnis für all das, was in dem Herzen des Mägdleins vorging, allein er wußte keinen Rat, wie ihr zu helfen sei. Abermals umfaßte er ihre Füße und wiederholte immer und immer wieder: »Hei! Sterben möchte ich für Euch, sterben möchte ich für Euch!«

      Jagienka aber sagte: »Steh auf! Die Tochter der Sieciechowa möge Dich zum Kriege gürten oder Dir ein Angedenken verleihen, denn Glück leuchtet ihr schon lange aus den Augen, wenn sie Dich anschaut.«

      Auf ihr Rufen erschien Anielka sofort aus dem anstoßenden Gemache. Sie hatte längst an der Thüre gelauscht, und nur durch ihre Schüchternheit war sie davon abgehalten worden, Abschied von dem schönen Knappen zu nehmen, trotzdem sie sich mit ganzer Seele darnach sehnte. Verwirrt, scheu, klopfenden Herzens trat sie jetzt wie traumbefangen ein. Thränen schimmerten in ihren Augen, als sie, einer Apfelblüte gleich, mit niedergeschlagenem Blicke, stumm und wortlos vor ihm stand. Für Jagienka empfand Hlawa bei der Ergebenheit und der Verehrung, die er ihr zollte, die größte Ehrfurcht. Niemals hätte er es gewagt, auch nur in Gedanken sich zu ihr zu erheben, der Tochter der Sieciechowa fühlte er sich jedoch ebenbürtig, und da ihm heißes Blut durch die Adern rollte, konnte er sich dem Zauber nicht entziehen, der von ihr ausging. Und ihre Schönheit ergriff ihn jetzt umsomehr, als durch ihre Verwirrung, ihre Thränen die Liebe durchschimmerte, wie durch das klare Wasser des Baches der goldene Grund durchschimmert. So wandte er sich denn nun zu ihr und sagte: »Wißt, ich ziehe in den Krieg. Möglicherweise falle ich. Werdet Ihr dann um mich klagen?«

      »Ich werde um Euch klagen,« antwortete die Maid mit ihrem dünnen Stimmchen.

      Und unverweilt flossen ihre Thränen, die ja bei ihr stets in Bereitschaft waren. Aufs tiefste bewegt, küßte ihr Hlawa die Hände, indem er Jagienkas wegen den heißen Wunsch nach zärtlicherer Liebkosung unterdrückte.

      »Gürte ihn oder gieb ihm ein Angedenken auf die Fahrt mit,« ließ sich nun Jagienka vernehmen, »damit er unter Deinem Zeichen kämpfen kann.«

      Wahrlich, es fiel der Tochter der Sieciechowa nicht leicht, ihm etwas zu geben, ging sie doch in Männerkleidern umher. Umsonst sann und sann sie! Weder ein Band noch eine Schleife trug sie bei sich. Die Laden aber, in denen die Gewandungen der Mägdlein mitgeführt wurden, waren noch nicht geöffnet worden, seitdem diese Zgorzelic verlassen hatten. Anielka wußte nicht, was beginnen. Da kam ihr Jagienka zu Hilfe, indem sie ihr riet, das Netz von dem Haupte zu nehmen und es ihm zu geben.

      »Bei Gott, gebt mir das Netz!« rief Hlawa, nicht wenig erfreut. »An meinem Helme will ich es tragen, und wehe der Mutter des Deutschen, der es mir zu entreißen sucht.«

      Mit beiden Händen fuhr sich Anielka an das Haupt, und gleich darauf fielen ihr die hellen, glänzenden Haare über Schultern und Nacken. Als sie Hlawa so vor sich stehen sah, die schöne Maid mit aufgelösten Haaren, da veränderte sich mit einem Schlage sein Gesicht, auf dem Röte und Blässe wechselte. Rasch das Netz ergreifend, führte er es an die Lippen, barg es dann an seiner Brust, warf sich nochmals vor Jagienka nieder, umfaßte hierauf fast leidenschaftlich die Knie Anielkas, erhob sich schnell und verließ mit den Worten die Stube: »Damit muß ich mich zufrieden geben.«

      Trotzdem nun der Böhme wegmüde und wenig erfrischt war, legte er sich doch nicht zur Ruhe nieder; die ganze Nacht zechte er mit den beiden jungen Edelleuten aus Lekawica, welche mit ihm nach Samogitien ziehen wollten. Allein er betrank sich dabei nicht, nein, mit dem ersten Morgengrauen trat er in den Vorhof der stark befestigten Burg, wo die Pferde, schon gesattelt, feiner harrten.

      Da ward in der Mauer über dem Wagenschuppen ein Fenster aus Ochsenblase sachte ein wenig aufgethan, und durch die Spalte schaute ein blaues Augenpaar in den Vorhof. Der Böhme bemerkte dies sofort. Schon that er einige Schritte auf die Mauer zu, um das an seinem Helme befestigte Netz zu zeigen und nochmals Abschied zu nehmen, da hinderten ihn Pater Kaleb und der alte Tolima daran, die in den Vorhof kamen, weil sie ihm noch Ratschläge für die Fahrt erteilen wollten.

      »Begieb Dich an den Hof des Fürsten Janusz,« sprach Pater Kaleb. »Möglicherweise triffst Du dort mit dem Ritter Macko zusammen, jedenfalls aber wird Dir über alles genaue Kunde werden, denn Du bist ja daselbst kein Fremder. Die Wege von dort nach Litauen sind bekannt, gar leicht wirst Du deshalb einen Führer durch die Wildnis finden. Ist es daher Dein fester Vorsatz, den Herrn Zbyszko aufzusuchen, so ziehe durch Litauen, nicht aber geradewegs nach Samogitien, in die Hände der Preußen. Bedenke auch dies: die Samogitier könnten Dich leicht töten, bevor Du zu sagen vermagst, wer Du bist, kommst Du jedoch von Fürst Witold, dann liegt die Sache ganz anders. Der Segen Gottes ruhe indessen über Dir und über den beiden andern Rittern. Kehre gesund zurück und bringe das Jungfräulein mit Dir, ich aber werde Tag für Tag von der Vesper an bis zum Erscheinen des ersten Sternes mit ausgebreiteten Armen, in Kreuzesgestalt, auf der Erde liegen und für Dich beten.«

      »Ich danke Euch, Vater, für Eueren priesterlichen Segen,« ergriff nun Hlawa das Wort. »Schwer wird es zwar fallen, das Opfer lebend den Händen der Teufel zu entreißen, allein der Herr Jesus herrscht über Leben und Tod, deshalb wollen wir hoffnungsvoll, nicht aber traurig, in die Zukunft schauen.«

      »Das ist das beste! Auch ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ja, ja. Hoffnung ist Leben, doch unsere Herzensangst ist wohl berechtigt. Das Schlimmste ist, daß Jurand selbst, sobald der Name seines Töchterleins genannt wird, gen Himmel zeigt, als ob es dort zu schauen wäre.«

      »Wie vermag er denn, es zu erschauen? Längst hat er ja die Augen eingebüßt!«

      Da sagte Pater Kaleb wie zu sich selbst und doch auch wieder zu dem Böhmen gewendet: »Nicht selten pflegt es zu geschehen, daß gerade der Mensch, dessen irdisches Augenlicht erloschen ist, manches zu sehen vermag, was kein anderer erblicken kann. Häufig, gar häufig kommt dies vor. Ist es indessen denkbar, daß Gott der Herr diesem Lämmlein eine Kränkung zufügen ließ? Hat denn die Jungfrau den Kreuzrittern jemals Schlimmes gethan? Niemals! So voll Unschuld ist sie gewesen, wie eine Gotteslilie, gütig war sie gegen die Menschen, einem fröhlich singenden Waldvögelein glich sie! Gott der Herr liebt die Kindlein, er fühlt Erbarmen mit menschlichen Leiden … Traun! wenn sie den Tod erlitten hat, wird er sie vielleicht wieder erwecken, wie Pietrowin erweckt ward, der aus dem Grabe auferstehend, noch lange Zeit weiter wirtschaftete. Bleibe gesund und möge Gott der Herr seine Hand schützend über Euch und über das Mägdlein halten.«

      Nach diesen Worten kehrte Pater Kaleb in die Kapelle zurück, um die Frühmesse zu lesen, der Böhme aber bestieg sein Roß, neigte sich nochmals vor dem nunmehr geschlossenen Fenster und machte sich auf den Weg; war es doch nun völlig Tag geworden.

      Zweites Kapitel.

      Inhaltsverzeichnis

      Bald nach Beginn des Frühlings hatten sich Fürst Janusz und Fürstin Anna Danuta mit einem Teile ihres Hofstaates zum Fischfang nach Chersk begeben, ein Vergnügen, dem sie gar gerne huldigten, ja, das sie zu ihrem liebsten Zeitvertreib rechneten. Durch Mikolaj aus Dlugolas hörte der Böhme gar vielerlei neue Kunde, die teils seine eigenen Angelegenheiten, teils den Krieg berührte. Zuvörderst erfuhr er, daß der Ritter Macko augenscheinlich seine Absicht aufgegeben habe, geradewegs zwischen den »Preußischen Bollwerken« hindurch nach Samogitien zu ziehen, war er doch vor wenigen Tagen in Warschau gewesen und dort mit dem Fürstenpaare zusammengetroffen. Der alte Mikolaj bestätigte auch all das, was Hlawa bis jetzt über den Krieg vernommen hatte. Wie ein Mann hatte sich ganz Samogitien gegen die Deutschen erhoben, während Fürst Witold, weit davon entfernt, dem Orden noch länger gegen die unglücklichen Samogitier beizustehen, aber auch ohne ihm den Krieg zu erklären, die Kreuzritter mittelst allerlei Verhandlungen hinhielt und inzwischen deren Feinde nicht nur mit Geld und Korn unterstützte, sondern diesen auch Mannen und Pferde zuführte. Unverweilt schickte sowohl Witold, wie der Orden Gesandte an den Papst, an den Kaiser und an andere christliche Großen und klagten sich