da gesessen hatte, ohne zu bemerken, daß ein unerwarteter Gast in's Zimmer getreten war. Plötzlich fühlte sie, daß etwas ihre Fußknöchel kitzele und meinte, es sei die Katze, als sie aber die Augen an den Boden heftete, sah sie einen zierlichen Zwerg zu ihren Füßen. »Ach!« rief sie erschreckt und wollte aufspringen und fliehen, aber des Zwergleins Hände hielten sie fest wie mit eisernen Zangen, so daß sie nicht von der Stelle konnte. »Erschrick nicht, liebes junges Weib!« sagte der Zwerg freundlich — »daß ich ungerufen kam deinen Sinn zu erheitern und deinen Gram zu stillen; du bist allein, der lange Abend schleicht dem Menschen so träge hin, dein Mann ist verreist und kommt erst nach einigen Tagen zurück. Liebes junges Weib.« — Die Frau unterbrach ihn unwillig: »Spotte nur nicht, die Haube, welche ich bei der Hochzeit trug, schimmelt schon über zehn Jahre in der Truhe und beweint, verwaist, die frühere bessere Zeit.«[14] »Was thut's,« erwiederte der Zwerg, »Wenn die Frau noch keinen Schweif hinter sich hat, und noch jugendlich und frisch ist wie du, dann ist sie immer noch »junges Weib«, und du hast ja bis jetzt keine Kinder gehabt, darfst dich also auch so nennen lassen.« »Ja,« sagte die Frau, »das ist es eben, was mich oft so bekümmert, daß mein Mann mich schon längst gering achtet, da er mich fruchtlos umarmt wie einen dürren Stamm, der keine Zweige mehr treibt.« Der Zwerg aber sagte tröstend: »Sorge nicht, du stehst noch nicht am Abend deiner Tage, und ehe du ein Jahr älter geworden bist, werden deinem Stamm, den du für vertrocknet hältst, drei Zweige entsprießen und den Eltern zur Freude aufwachsen. Du mußt nun aber Alles so machen, wie ich dir jetzt anzeigen werde. Wenn dein Mann wieder nach Hause kommt, so mußt du ihm drei Eier von einer schwarzen Henne sieden und Abends zu essen geben. Wenn er dann schlafen geht, so mache dir etwas auf dem Hofe zu schaffen und verweile dort einige Zeit, bevor du an die Seite deines Mannes ins Bette schlüpfst. Wenn die Zeit da ist, daß meine Worte in Erfüllung gehen, so komme ich wieder. Bis dahin bleibe mein heutiger Besuch Allen ein Geheimniß. Leb' wohl, liebes junges Weib, bis ich wiederkehre und: Mutter! sage.« Darauf entschwand der Zwerg den Blicken der Frau, als wäre er in die Erde gesunken. Das junge Weib — ihr war der Name kränkend — rieb sich lange die Augen, als ob sie hinter die Wahrheit kommen und sehen wollte, ob es Wirklichkeit oder Traum gewesen sei. Wonach der Mensch sich sehnt, das hält er meist für wahr, und so war es auch mit der Frau. Der seltsame Vorfall mit dem Zwerge kam ihr nicht mehr aus dem Sinn, und als der Mann nach einigen Tagen heimkehrte, sott die Frau drei Eier von einer schwarzen Henne gab sie ihm am Abend zu essen und that sonst, wie ihr vorgeschrieben war.
Nach einigen Wochen traf ein, was der Zwerg vorausgesagt hatte. Mann und Frau waren froh und konnten zuletzt kaum die lange Frist abwarten, binnen welcher sich ihr Verlangen erfüllen sollte. Zur rechten Zeit kam die Frau in die Wochen und brachte Drillinge zur Welt, lauter Knaben, schön und gesund. Als die Wöchnerin schon wieder in der Genesung und der Mann eines Tages von Hause gegangen war, um Taufgäste und Gevattern zusammen zu bitten, kam der glückbringende Zwerg, die Wöchnerin zu besuchen. »Guten Tag, Goldmutter!« rief der Zwerg in's Zimmer tretend. »Siehst du jetzt, wie Gott deinen Herzenswunsch mit einem Male erfüllt hat? Du bist Mutter dreier Knaben geworden. Da siehst du, daß meine Prophezeiung keine leere war, und du kannst jetzt um so leichter glauben, was ich dir heute sagen werde. Deine Söhne werden weltberühmte Männer werden und werden dir noch viele Freude machen vor deinem Tode. Zeige mir doch deine Bübchen!« Mit diesen Worten war er wie eine Katze auf den Rand der Wiege geklettert, nahm ein Knäulchen rothen Garns aus der Tasche und band dem einen Knaben einen Faden um beide Fußknöchel, dem andern wieder um die Handgelenke und dem dritten über die Augenlieder um die Schläfen herum. »Diese Fäden,« so lautete des Zwerges Vorschrift, mußt du so lange an ihrer Stelle belassen, bis die Kinder zur Taufe geführt werden; dann verbrenne die Fäden, sammle die Asche in einem kleinen Löffel und netze sie, wenn die Kinder nach Hause gebracht werden, mit etwas Milch aus deiner Brust. Von dieser stärkenden Aschenmilch mußt du jedem Knaben ein Paar Tropfen auf die Zunge gießen, ehe du ihm die Brust reichst. Dadurch wird jeder von ihnen da stark werden, wo der Faden haftete, der eine an den Füßen, der andere an den Händen und der dritte an den Augen, so daß ihres Gleichen nicht sein wird auf der Welt. Jeder wird schon mit seiner eigenen Glücksgabe Ehre und Reichthum finden, wenn sie aber selbdritt etwas unternehmen, so können sie Dinge ausrichten, die man nicht für möglich halten würde, wenn man sie nicht vor Augen sähe. Mich wirst du nicht mehr wiedersehen, aber du wirst dich wohl noch manches Mal dankbar meiner erinnern, wenn deine Knäblein zu Männern herangewachsen sind und dir Freude machen werden. Und jetzt sage ich dir zum letzten Male Lebewohl, liebe junge Mutter! — Mit diesen Worten war der Zwerg wieder, wie das erste Mal, plötzlich verschwunden.
Die Wöchnerin that sorgfältig Alles, was ihr in Betreff der Kinder vorgeschrieben war. Sie verbrannte am Tauftage die rothen Fäden zu Asche, ließ, als die Kinder aus der Kirche nach Hause gebracht wurden, Milch aus ihrer Brust auf die Asche fließen und goß von dieser Kraftmilch jedem Kinde ein Paar Tropfen auf die Zunge, ehe sie ihm die Brust reichte. Doch sagte sie Anfangs weder ihrem Manne noch sonst jemanden ein Wort von den wunderbaren Dingen, die ihr mit dem Zwerge begegnet waren.
Die Kinder wuchsen alle drei blühend heran und gaben, als sie fest auf ihren Füßen standen, Proben großer Klugheit. Doch zeigte sich schon von früh auf, daß bei jedem die durch den Wunderfaden gekräftigten Glieder am tüchtigsten waren: bei dem einen die Augen, bei dem andern die Hände und bei'm dritten die Füße. Deßhalb nannten die Eltern sie später je nach ihrer Hauptstärke, den ersten Scharfauge, den zweiten Flinkhand und den dritten Schnellfuß. Als nach einigen Jahren die Brüder in's Jünglingsalter getreten waren, beschlossen sie, im Einvernehmen mit ihren Eltern, in die Fremde zu ziehen, wo jeder durch seine Stärke und Geschicklichkeit Dienste und Lohn zu finden hoffte. Und zwar wollte jeder der Brüder für sich allein den Weg zum Glücke antreten, der eine gen Morgen, der andere gen Mittag und der dritte gen Abend; nach drei Jahren aber wollten sie alle drei wieder zu den Eltern zurückkommen und melden, wie es ihnen in fremden Landen ergangen sei.
Schnellfuß nahm den Weg gen Morgen, von ihm müssen wir nun zuerst erzählen. Daß er mit seinen mächtigen Schritten viel rascher vorwärts kam als seine Brüder, das kann Jeder leicht ermessen, denn wo die Meilen einem Manne unter den Füßen schwinden, ohne daß diese ermüden, da wird ihm das Wandern nicht beschwerlich. Gleichwohl sollte er die Erfahrung machen, daß flinke Beine wohl überall einen Menschen aus einer Gefahr befreien können, aber nicht so leicht zu Amt und Brod verhelfen: denn Hände sind aller Orten nöthiger als Füße. Schnellfuß fand erst nach geraumer Zeit bei einem Könige in Ostland einen festen Dienst. Der König besaß große Roßherden, unter denen viele stätische Renner waren, die kein Mensch fangen konnte, auch nicht einmal zu Roß. Aber mit Schnellfuß konnte kein Pferd Schritt halten, der Mann war immer schneller als das Roß. Was früher funfzig Pferdehirten zusammen nicht ausrichten konnten, das besorgte er ganz allein und ließ nie ein Pferd von der Herde wegkommen. Darum zahlte ihm der König unweigerlich den Lohn von funfzig Hirten, und machte ihm außerdem noch Geschenke. Die flüchtigen Schritte des neuen Roßhirten hatten Windesschnelle, und wenn er vom Abend bis zum Morgen die ganze Nacht durch oder vom Morgen bis zum Abend den Tag über gelaufen war, ohne auszuruhen, so war er doch nicht müde, sondern konnte am andern und am dritten Tage wieder eben so viel laufen. Es geschah oft, daß die Rosse, bei heißem Wetter von Bremsen gestochen, nach allen Seiten hin auseinander fuhren und viele Meilen weit rannten: aber dennoch war am Abend die ganze Herde wieder beisammen. Da gab einst der König ein großes Gastmahl, zu welchem viele vornehme Herren und Fürsten geladen waren. Während des Festes hatte der König seinen Gästen viel von seinem schnellfüßigen Roßhirten erzählt, so daß alle den Wundermann zu sehen begehrten. Manche meinten, es dürfe wohl nicht Wunder nehmen, wenn die in der Herde aufgezogenen und an den Hirten gewöhnten Rosse sich einfangen ließen; das allerstörrigste Pferd höre auf des Herrn Wort und komme auf dessen Ruf. Aber gebt ihm einmal ein Pferd aus einem fremden Stalle, das ihn nicht kennt, dann werden wir sehen, wie weit die Schnelligkeit des Mannes gegen die des Rosses kommt. Da ließen einige fremde Herren die bestgefütterten und feurigsten Rosse aus ihren Ställen herführen und dann ins Freie treiben, auf daß Schnellfuß sie einfange. Das war dem Hirten mit den beflügelten Füßen eine Kleinigkeit, denn auch ein gestandennes, wohlgenährtes Pferd kann doch nicht mit Einem um die Wette laufen, der wie ein Vogel des Waldes gewohnt ist, Nacht und Tag sich zu rühren. Die fremden Herrschaften priesen die Schnellfüßigkeit des Mannes und schenkten