Dieter A. Binder

Die Freimaurer


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ziehet sie bey der Kette von Abend gegen Morgen.“106

      Zum Vergleich ist nun ein „Katechismus“ freimaurerischer Herkunft anzuführen. Die scheinbare Diskrepanz ist ebenso augenscheinlich wie in den überlieferten Arbeitstafeln beider Systeme.

      „Br. Lehrling! warum wurden sie Freymaurer?

      Weil ich mich nach dem Lichte sehnte.

      Sind sie es nun auch wirklich?

      Meine BrBr. [=Brüder] erkennen mich dafür.

      Woran soll ich sie erkennen?

      An Zeichen, Griff, und Wort.

      […]

      Wo ist diese allgemeine

[=Loge]?

      Im Thale Josaphat.

      Warum eben dort?

      Weil dieses Thal zwischen Zion und Moria liegt, und weil in demselben nie ein Weib gewesen, nie ein Loewe gebruellet, nie ein Hahn gekraehet, und nie ein Hund gebellet hat.

      […]

      Worauf ist sie [die Loge] gegründet?

      Auf 3 Pfeiler: Weisheit, Schoenheit, und Staerke.

      […]

      Welche ist des Lehrlings Hauptpflicht?

      Den rohen Stein durch unermuedete Arbeit ebnen, auf dass er zum Gebaeude tauge.

      Haben sie den noethigen Unterricht dazu empfangen?

      Ja, vorzueglich auf meinen Reisen.“107

      Um die massive Diskrepanz im Selbstverständnis zwischen Freimaurerei und Mops-Orden noch weiter zu verdeutlichen, muss erneut auf das Grundgesetz der Maurerei, die „Alten Pflichten“ von 1723 verwiesen werden, in denen der Normenkatalog, das ethische Grundkonzept für einen Freimaurer festgelegt worden ist. „Im Mops-Orden“ – so BEYER – hat man „sicherlich an Ethik überhaupt nicht gedacht, sondern lediglich das Amüsement geschätzt, das den Mitgliedern durch die Aufnahme-Posse bereitet wurde.“108 Hier trifft sich wohl auch die höfische Gesellschaft um die Markgräfin FRIEDERICKE (1709-1758), der Schwester FRIEDRICHs II. von PREUSSEN und Gattin des Markgrafen FRIEDRICH von BRANDENBURG-BAYREUTH, mit jenen Studenten, die ebenfalls einem Mops-Orden anhängen.109

      Diese Bereitschaft zum Amüsement, das Beyer wegen der augenscheinlichen Nähe zur Freimaurerei nahezu tadelnd erwähnt, spiegelt sich in der breiten Aufnahme des Mops-Motivs im zeitgenössischen Kunsthandwerk.110 Andererseits zeigt die prägnante Studie von Karlheinz GOLDMANN111 die starke Verflechtung höfischer Gesellschaften mit diesem Orden. Will man den Orden nicht als einen Versuch (von mehreren) zur androgynen Freimaurerei abtun, erhebt sich die Frage, welche Bedeutung dem Ritual dieses Zusammenschlusses zukommt. Wenn man von der These ausgeht, dass das Ritual in der traditionellen Freimaurerei eben auch eine spielerische Einübung in den brüderlichen Umgang zwischen Männern unterschiedlicher Stände gewesen ist, so kann für den Mops-Orden das Ritual als Spiel an sich interpretiert werden, da innerhalb der höfischen Mops-Logen kaum gravierende Standesunterschiede geherrscht haben dürften. Diese Einschätzung scheint noch durch ein weiteres Phänomen bestätigt, das am Ende der Darstellung des Rituals der Tafelloge aufscheint. „Eine Versammlung von Mannspersonen und Frauenzimmer, so entweder annoch in schoenster Jugend oder wenigstens in den besten Jahren; eine schoene zugerichtete Mahlzeit, vortrefflicher Wein; Munterkeit, Aufrichtigkeit, Vertraulichkeit, welche man bey den Gaesten verspueret, und ueberdem die Beweisung aller erforderlichen Pflichten, um ein gemeinschaftliches Vergnügen zu erwecken. All dieses kann sich der Leser gantz sicher vorstellen, der sich von demjenigen, was bey dieser Mahlzeit vorgehet, einen Begriff machen will. Man bezeiget sich gegeneinander liebreich mit den Augen; denn eine merckliche Liebes-Erklaerung bey der Tafel wuerde fuer eine Unbescheidenheit und Grobheit gehalten werden. Jedoch fehlt es nicht an Gelegenheit sich hierueber deutlich und ungezwungen zu erklaeren.“112 Das Ritual wird zum Spiel der Geschlechter, zur höfisch verfeinerten Form eines Schäferspiels, wie es charakteristischer für das Rokoko kaum sein könnte.113

      William HOGARTH (1697-1764) hat in seinem berühmten Stich über die Heimkehr des Freimaurers mit den Mitteln der Satire das Bild einer Männergesellschaft weitab von Aufklärung und Esoterik gezeichnet. Er reduziert die Freimaurerei auf das gesellige Moment, in dem, so kann man annehmen, das Ritual den Rahmen für die Zusammenkunft bildet. Noch heute dominiert das Ritual die englischen Logen, während der intellektuelle Diskurs durch eine entsprechende Zeichnung, d.h. durch einen Vortrag innerhalb des Ablaufes einer Arbeit, d.h. eines Logenabends keine Rolle spielt. Dadurch entsteht das Gefüge eines Clubs mit besonderen Umgangsformen, die im 18. Jahrhundert die brüderliche Begegnung von Menschen unterschiedlichster Herkunft ebenso fördern wie in einer modernen Gesellschaft. Das Verbot, Streitgespräche über Politik oder Religion zu führen,114 erleichtert diese Entwicklung.

      Die strenge Form des Rituals entspricht hier durchaus den Vorstellungen des barocken Spiels, wie sie HUIZINGA exemplarisch entwickelt hat.115 Das Ritual und die philosophisch-historische Interpretation desselben auf dem Kontinent nützten der Verbreitung der Aufklärung und diente gleichzeitig als Vorlage für Geselligkeit. So gesehen besteht kein gravierender Unterschied zwischen der klassischen Freimaurerei und einer „Geheimgesellschaft“ wie dem Mops-Orden. In beiden Fällen war eines der bestimmenden Elemente die Freude am Spiel, doch die scheint angesichts der Bedeutung einer so ernsten Sache wie der Aufklärung in der Forschung marginalisiert zu werden. Letztlich ist im Mops-Orden eine nächtliche Umkehrung von Recht und Ordnung der Freimaurerei zu sehen, die sich sichtlich zunehmend über den gesellschaftlichen, geselligen Anlass erhoben hatte und zur „Institution“ geworden war. Die rigide Ausgrenzung der Frauen in der traditionellen Freimaurerei wirkte gerade innerhalb einer höfischen Gesellschaft und den dort herrschenden Freiräumen der aristokratischen Frauenwelt provokant. Sie opponierte, indem sie die „offizielle Form“ parodierte. Damit übernahmen die Frauen am Bayreuther Hof gleichsam eine soziale Kontrolle, die ansonsten in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts vielfach von den jungen Männern im Widerstreit mit der bürgerlichen Männerwelt, den Philistern, wahr genommen wurde. So ist es auch verständlich, dass der Mops-Orden nicht nur höfisches Spiel, sondern auch studentischer Zeitvertreib werden konnte.116

      Freimaurer und Gentleman

      Ein weiterer Ansatz

      Die traditionelle Interpretation des Aufschwungs zünftisch geprägter Zusammenschlüsse zu gesellschaftlich akzeptierten und begehrten Logen argumentiert mit Hinweisen auf die Aufnahme von Nichtwerkleuten von hohem gesellschaftlichen Rang, die zum einen dem handwerklichen Bund gesellschaftliche Reputation, zum anderen aber auch Mittel zur Hand gab, um seinen sozialen Verpflichtungen nachzukommen. Dieses Modell kann aber nicht den raschen gesellschaftlichen Aufschwung der englischen Logen ab 1720 erklären, da diese Praktik der Aufnahme von Nichtwerkleuten, von Spekulativen also, wesentlich älter sein dürfte. Die spezifische englische Sozialstruktur mit ihren fließenden Übergängen zwischen Aristokratie und alten Familien bzw. dem sich festigenden Bürgertum und die starke politisch bedingte Umwälzung der vorangegangenen Jahrzehnte bildeten den Rahmen für die Akzeptanz dieser neuartigen Zusammenschlüsse. Am Beginn des 18. Jahrhunderts kreuzten sich das öffentliche und das private Leben, ihre „Funktionen überschnitten sich und eröffneten so freie Zeiten und Räume“.117 Dadurch, dass Streitgespräche über Politik und Religion untersagt waren, hielt man den wirksamsten Sprengstoff der jüngeren Vergangenheit fern. In diesem Umfeld erfolgte der Aufbruch des Bürgertums „aus dem privaten Innenraum, auf den der Staat seine Untertanen beschränkt hatte“.118 Indem sie sich in der Freimaurerei ein Instrumentarium schuf, das das Private mit dem Arkanum umgab, entstand ein soziales Modell, das innerhalb der jeweiligen Formen der Herrschaftsausübung in Europa als Freiraum bestehen konnte. „Die komplexe sozialintegrative Aufgabe der Logen bestand also darin, zum einen den Funktionsverlust der aristokratischen Eliten zu kompensieren und soziokulturell zu verarbeiten und zum anderen dem Prestige- und Anerkennungsbedürfnis der aufsteigenden bürgerlichen Schichten entgegenzukommen.“119

      Nach dieser politischen und soziokulturellen Wertung des Arkanums