ein junger Mann auf uns zu, der in einem hellbraunen Anzug mit Hut und Handschuhen von gleicher Farbe, eine Rose im Knopfloch und ein Lächeln auf seinen Lippen trug, das den »Zitterstrand« selbst zu einem Lächeln hätte bringen können.
Ehe ich mich noch erheben konnte, lag er im Sande neben mir und schlang, wie sie’s im Auslande thun, den Arm um meinen Hals und drückte mich an sich, daß mir der Athem verging.
»Mein lieber alter Betteredge! Ich bin Ihnen sieben. Shilling sechs Pence schuldig, wissen Sie nun, wer ich bin?«
Bei Gott dem Allmächtigen, da war er, Herr Franklin Blake, vier gute Stunden eher, als wir ihn erwartet hatten.
Bevor ich noch ein Wort sagen konnte, bemerkte ich, wie Herr Franklin offenbar überrascht von mir zu Rosanna aufsah. Ich sah nun auch nach dem Mädchen hin. Sie erröthete noch tiefer als zuvor, wie es schien von Herrn Franklins Blick getroffen, und sie wandte sich ab und verließ uns plötzlich in einer mir völlig unerklärlichen Verwirrung, ohne einen Knix für den Herrn oder ein Wort für mich, ganz gegen ihre Gewohnheit, denn sie war sonst das wohlerzogenste und höflichste Mädchen, das man sehen konnte.
»Das ist ja ein komisches Mädchen,« sagte Franklin, »ich möchte wohl wissen, was sie an mir so überraschend findet.«
»Ich denke mir,« antwortete ich, auf die continentale Erziehung unseres jungen Herrn anspielend, »es ist der ausländische Firniß.«
Ich setze hier Herrn Franklin’s gedankenlose Frage und meine dumme Antwort als einen Trost und eine Aufmunterung für alle dummen Leute her, da es, wie ich bemerkt habe, unseren weniger begabten Mitmenschen eine große Genugthuung gewährt, zu sehen, daß die Gescheidten gelegentlich nicht klüger sind als sie. Weder Herr Franklin mit seiner ausgezeichneten ausländischen Erziehung, noch ich mit meinem Alter, meiner Erfahrung und meinem natürlichen Mutterwitz hatten eine Ahnung davon, was der wirkliche Grund von Rosanna Spearman’s unerklärlichem Benehmen sei. Das arme Ding war schon unseren Gedanken entschwunden, als noch das Flattern ihres grauen Mantels zwischen den Sandhügeln sichtbar blieb. Und was war der eigentliche Grund? wird man fragen; lies weiter, guter Freund, so geduldig wie möglich, und vielleicht wirst Du Rosanna Spearman eben so tief beklagen wie ich es that, als ich die Wahrheit herausgefunden hatte.
Fünftes Capitel
Das Erste, was ich that, als wir allein waren, war, einen dritten Versuch zu machen, mich von meinem Sitz am Strande zu erheben. Herr Franklin hielt mich aber zurück.
»Ein Gutes hat dieser schauderhafte Platz« sagte er, »man ist hier ungestört. Bleiben Sie auf, Ihrem Platz, Betteredge, ich habe Ihnen etwas zu sagen.«
Während er mit mir sprach, betrachtete ich ihn und versuchte in dem Mann, den ich vor mir hatte, Etwas von dem Knaben, der in meiner Erinnerung lebte, zu entdecken. Es wollte aber nicht gelingen. So genau ich auch zusah, so konnte ich doch so wenig mehr von seinen rosigen Wangen, wie von seiner strammen Jacke herausfinden. Sein Teint war blaß geworden, der untere Theil des Gesichts war zu meiner großen Ueberraschung und Entrüstung mit einem gelockten braunen Backen- und Schnurrbart bedeckt. Er hatte zwar noch immer ein sehr gefälliges und einnehmendes Wesen. das aber doch keinen Vergleich mit dem aushielt, was er früher gewesen war. Und was noch schlimmer war, er hatte versprochen groß zu werden und hatte dieses Versprechen nicht gehalten. Er war zierlich, schlank und wohl gebaut, aber er überragte die mittlere Mannesgröße höchstens um zwei Zoll. Die vergangenen Jahre hatten von seinem früheren Selbst nichts übrig gelassen, als seine hellen, offenen Augen. In ihnen fand ich meinen lieben Jungen wieder, und damit beschloß ich, es bei meinen Nachforschungen bewenden zu lassen.
»Seien Sie willkommen in Ihrer alten Heimath, Herr Franklin,« sagte ich. »Und um so willkommener als Sie einige Stunden früher kommen, als wir Sie erwarteten.«
»Ich habe meine Gründe, früher zu kommen, als Ihr mich erwartetet,« antwortete Franklin, »ich argwöhne Betteredge, daß man mich in den letzten drei oder vier Tagen verfolgt und beobachtet hat, und ich bin mit dem Morgen- statt mit dem Abendzug gereist, weil ich einem gewissen dunkelfarbigen Fremden gern entwischen wollte.«
Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich, sie brachten mir auf einmal wieder die Jongleurs und Penelope’s Besorgniß in Erinnerung, daß dieselben etwas Schlimmes gegen Franklin im Schilde führten.
»Wer beobachtet Sie, und warum?« fragte ich.
»Erzählen Sie mir etwas von den drei Indiern, die heute hier gewesen sind,« erwiederte Franklin, ohne auf meine Frage zu achten. »Es ist sehr möglich, Betteredge, daß mein Fremder und Eure drei Jongleurs sich als Sylben derselben Charade ausweisen.«
»Was wissen Sie von den Jonglours?« fragte ich, seine Frage mit einer andern erwiedernd, was nicht gerade fein war; wie ich bekenne, aber man wird mir Etwas, was doch so menschlich ist, zu Gute halten.
»Ich habe Penelope schon im Hause gesprochen,« antwortete Franklin, »und die hat es mir erzählt. Ihre Tochter, Betteredge, versprach immer ein hübsches Mädchen zu werden und hat ihr Versprechen gehalten. Sie hat kleine Ohren und kleine Füße. Hat sie diese unschätzbaren Vorzüge von ihrer verstorbenen Mutter geerbt?«
»Meine selige Frau hatte ihren guten Theil Fehler,« sagte ich, »einer davon war, da Sie mich doch danach fragen, daß sie nie bei einer Sache bleiben konnte. Sie glich mehr einem Schmetterling als einer Frau.«
»Da wäre sie was für mich gewesen,« entgegnete Franklin, »ich kann auch nie bei einer Sache bleiben. Sie, Betteredge, sind ja wohler auf als je, das hat mir schon Ihre Tochter gesagt, als ich sie wegen der Jongleurs befragte. »Vater wird Ihnen das Nähere erzählen, er ist merkwürdig für sein Alter und weiß sich vortrefflich auszudrücken,« waren Penelope’s eigene Worte, bei denen sie reizend erröthete. Nichts, selbst nicht mein Respekt vor Ihnen konnte mich abhalten, sie zu . . . einerlei. Ich habe sie als Kind gekannt und sie ist nicht schlechter davon geworden. Kommen Sie, sagen Sie mir ernsthaft, was wollten die Jongleurs?«
Ich war Verdrießlich über meine Tochter —— nicht weil sie sich von Herrn Franklin hatte küssen lassen, dagegen hatte ich nichts, —— aber weil sie mich zwang, ihre dumme Geschichte aus zweiter Hand zu erzählen. Indessen da half nichts, ich mußte die Details berichten. Herrn Franklins. ganze Heiterkeit ging bei meiner Erzählung verloren. Er saß da mit gerunzelter Stirn und drehte krampfhaft an seinem Schnurrbart. Als ich fertig war, sprach er mir zwei von den Fragen nach, die der Anführer der Gauklerbande an den Knaben gerichtet hatte, dem Anscheine nach zu dem Zwecke. sie sich recht fest einzuprägen.
»Kommt der Fremde heute auf dieser Straße und auf keiner andern nach diesem Hause?«« »»Hat der englische Herr ihn bei sich?«« »Ich fürchte« sagte Herr Franklin, indem er ein kleines versiegeltes Paket aus seiner Tasche zog, »daß mit »ihm« dies da gemeint ist, und dieses, «Betteredge, ist meines Onkels Herncastle berühmter Diamant.«
»Um Gotteswillen,« rief ich aus, »wie kommt der Diamant des schlimmen Obersten in Ihre Hände?«
»Der Diamant ist in dem Testament des Obersten meiner Cousine Rachel als Geburtstagsgeschenk vermacht,« erklärte Herr Franklin, »und mein Vater, als Testamentsvollstrecker des Obersten, hat ihn mir übergeben, um ihn hierher zu bringen.«
Wenn das Meer, das sich eben sachte über den »Zitterstrand« hingoß, sich vor meinen Augen plötzlich in trocknes Land verwandelt hätte, so wäre mein Erstaunen, glaube ich, nicht größer gewesen, als es bei Herrn Franklins Worten war.
»Der Diamant des Obersten Fräulein Rachel vermacht?« rief ich aus. »Und Ihr Vater der Testamentsvollstrecker des Obersten? Ich wäre jede Wette eingegangen, daß Ihr Vater den Obersten nicht mit der Feuerzange anfassen würde.«
»Das ist ein bischen stark, Betteredge! Was hat man denn dem Obersten vorzuwerfen gehabt? Sie müssen das besser wissen als ich. Erzählen Sie mir, was Sie von ihm wissen, und ich will Ihnen erzählen, wie mein Vater sein Testamentsvollstrecker geworden