Edgar Wallace

Gesammelte Krimis (69 Titel in einem Buch: Kriminalromane und Detektivgeschichten)


Скачать книгу

ganz in unserer Nähe in Santa Barbara verübt, aber mein verstorbener Mann, der Senator, wollte mir nichts darüber erzählen, um mich nicht zu beunruhigen. Er war der Senator Crafton-Bonsor. Vielleicht haben Sie schon einmal von ihm gehört? Sein Name war häufig in den Zeitungen. Er hat sich allerdings nicht viel darum gekümmert, was sie schrieben.«

      Scottie schloß daraus, daß die Zeitungen den Mann wahrscheinlich recht unfreundlich behandelt hatten, aber ein Senator der Vereinigten Staaten! Darüber kam er nicht so leicht hinweg. Er wußte zwar nicht viel von den Amerikanern, deren Namen in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen, seine Kenntnisse beschränkten sich auf einige Staatsanwälte. Aber er hatte die Vorstellung, daß amerikanische Senatoren hochgestellte Leute seien.

      »Nun, ich muß jetzt weiterfahren. Es wäre mir entsetzlich, an einem Ort leben zu müssen, an dem ein Mord verübt wurde. Ich könnte nachts nicht mehr schlafen, Mr. –«

      »Bellingham ist mein Name – Professor Bellingham.«

      Seine Worte schienen großen Eindruck auf sie zu machen.

      »Ach, wie interessant! Wissen Sie, ein Professor kam auch einmal zu uns in Santa Barbara. Die Rasenflächen in meinem Park sind so groß wie der ganze Ort hier. Ach ja, der Professor, der mich besuchte, war einfach wunderbar. Er holte lebendige Kaninchen aus seinem Zylinder, und vorher hatte er mir doch gezeigt, daß er nichts darin hatte. Nun muß ich aber wirklich weiterfahren, Herr Professor. Ich wohne im Great Metropolitan-Hotel. Mein Gott, die können einem aber Rechnungen schreiben! Und als ich nach einer Beutelmelone fragte, wußte kein Mensch, was ich meinte. Also, dann auf Wiedersehen.«

      Der Wagen fuhr an und war bald außer Sicht. Scottie wurde nachdenklich.

      »Haben Sie den Wagen gesehen?« war die erste Frage, die er an Andy richtete.

      »Nein, gesehen nicht, aber gehört – ich dachte, es wäre ein Lastauto gewesen.«

      »Ja, so könnte man es nennen«, gab Scottie zu. »Sie hätten nur die Fracht sehen sollen! Ungefähr – aber ich will Sie nicht langweilen. Es war einfach großartig – und was für eine Dame!«

      Andy hatte etwas anderes zu tun, als sich um gelegentliche Besucher von Beverley Green zu kümmern.

      »Wie geht es Miss Nelson?«

      »Ausgezeichnet, sie macht heute nachmittag einen langen Spaziergang.«

      Andy wurde rot.

      »Wer hat Ihnen denn das verraten?«

      »Sie selbst«, antwortete Scottie kühl. »Sie hat mir sogar aufgetragen, es Ihnen zu sagen. Dieses Mädchen ist recht intelligent.«

      »Ich habe nicht die Absicht, mich mit Ihnen über die Intelligenz Miss Nelsons zu unterhalten«, entgegnete Andy ein wenig von oben herab. »Und ich weiß auch nicht, warum Sie irgendwelche Schlußfolgerungen aus ihren Worten ziehen. Wahrscheinlich hat sie gemeint, Sie möchten mir bestellen, daß sie sich wohl genug fühlt, allein einen längeren Spaziergang zu machen.«

      »Vielleicht. Sie sagte nur, daß sie um drei Uhr am zweiten Golfloch sei und dort auf Sie warten werde.«

      Andy wußte darauf nichts zu erwidern.

      »Und da wir gerade von Liebe sprechen«, fuhr Scottie fort, »so möchte ich Sie doch bitten, einmal nachzusehen, was der Berichterstatter des ›Post Herald‹ über die Verhaftung eines gefährlichen Verbrechers schreibt – damit meint er nämlich mich. Er zieht allerhand Schlüsse aus der Tatsache, daß sich die Verhaftung kurz vor dem Mord ereignete.«

      *

      Andy hatte schon zehn Minuten am Golfloch gewartet, ehe Stella kam.

      »Ich fürchtete schon, Sie könnten nicht abkommen«, sagte sie. »Hat Ihnen der Professor meinen Auftrag ausgerichtet?«

      »O ja, er hat es mir bestellt«, entgegnete Andy trocken.

      »Hat er Ihnen auch von der merkwürdigen Dame erzählt?« fragte sie ihn interessiert. »Scottie hatte eine lange Unterredung mit ihr. Ihr Auto hat zwei Fliederbüsche vollständig umgefahren. Der große Wagen wollte in der engen Straße wenden!«

      »Was war denn das für eine merkwürdige Dame? Hat sie Beverley Green besucht?«

      Stella nickte.

      »Ich sah sie durchs Fenster, Es gibt nur eine Beschreibung für sie – sie glitzerte! Ich hatte leider noch keine Gelegenheit, Scottie über sie auszufragen.«

      Sie gingen langsam weiter – Andy wußte nicht, welchen Weg sie eingeschlagen hatten. Ihm wurde nur so viel klar, daß sie zu den Grenzhecken von Beverley Hall kamen. Er war in einer ganz anderen Welt unendlich glücklich. Anziehend – hübsch – schön? Er hatte sich diese Frage schon einmal beantwortet. Er betrachtete Stella von der Seite. Ihr Profil war vollkommen, ihre Haut schimmerte in dem wenig schmeichelhaften, hellen Sonnenlicht ebenso zart wie in der Abendbeleuchtung.

      »Artur Wilmot hat mich heute geschnitten«, sagte sie.

      »Aber warum denn? Ich dachte doch – ich hatte gehört –«

      Er vollendete den Satz nicht.

      »Daß ich mit ihm verlobt sei?« sagte sie leise lachend. »Die Leute von Beverley verloben einen sehr leicht. Ich war nie mit ihm verlobt. Ich trug wohl früher einen Ring, weil – nun, weil er mir gefiel. Mein Vater hat ihn mir früher einmal geschenkt.«

      Er seufzte erleichtert auf, sie hörte es und sah ihn schnell von der Seite an. Aber dann schaute sie rasch wieder fort.

      »Was ist eigentlich der Beruf Artur Wilmots?«

      »Ich weiß es nicht. Er hat immer in London zu tun. Über seine Geschäfte spricht er nie, und niemand weiß etwas davon. Das ist merkwürdig, denn die meisten jungen Leute erzählen sehr gern von ihrem Beruf – wenigstens die ich kenne. Sie sind stolz auf die eigene Tüchtigkeit und wissen eigentlich sonst nicht viel zu reden. Aber Sie habe ich noch nie über ihre Tüchtigkeit sprechen hören, Doktor Andrew.«

      »Ich glaubte, daß ich schön außerordentlich gesprächig gewesen wäre – Miss Nelson.«

      »Nun seien Sie doch nicht komisch – Sie haben mich schon Stella genannt und ein dummes Kind, als Sie neulich morgens kamen. Ist es nicht wunderschön?«

      »Ich bin damals wohl sehr kühn gewesen«, gab er kleinlaut zu.

      »Ich meinte, daß wir uns kennengelernt haben und daß ich Sie gerne mag. Im allgemeinen kann ich mich nämlich nur schwer an einen Menschen gewöhnen. Vielleicht war es auch eine Reaktion. Ich habe Sie so sehr gehaßt, weil ich mich immer schuldig fühlte, wenn Sie mich ansahen. Ich dachte immer, Sie müßten schrecklich sein, ein Bluthund, der arme, unglückliche Menschen hetzt.«

      »Wahrscheinlich haben alle Leute diese Vorstellung von Polizeibeamten. Und wir schmeicheln uns mit dem Gedanken, daß der Anblick einer Polizeiuniform jeden guten Bürger erfreut.«

      »Ich bin kein guter Bürger. Im Gegenteil, ein sehr schlechter – Sie wissen gar nicht, wie schlecht ich bin.«

      »Ich kann es vermuten.«

      Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her.

      »Stella«, sagte er dann plötzlich, »hat Merrivan bei Ihrem letzten Zusammensein mit ihm irgendwelche Andeutungen über die Zukunft gemacht – wo er leben würde?«

      »In Italien«, sagte sie. »Er erzählte mir, daß er viel Geld bekommen würde, und daß er einen herrlichen Palast am Corner See gekauft habe.«

      »Hat er Ihnen nicht mitgeteilt, ob er das Geld bereits erhalten habe?«

      »Nein, ich kann mich erinnern, daß er sagte, er werde es bekommen. Ich hatte den Eindruck, daß er es von irgendeiner Seite erhalten würde. Aber wir wollen bitte nicht mehr über diese Sache sprechen.«

      Von wem erwartete Merrivan das Geld? Doch nicht von Albert Selim? Oder hatte er vielleicht