Sie den Wagen warten«, sagte Gordon. Er war nicht ganz sicher, ob er ohne fremde Hilfe fähig war, sich ein anderes Auto zu besorgen.
Er erhielt seinen Schlüssel wieder, ging in sein Zimmer und klingelte nach dem Hausdiener. An seiner Stelle kam der Portier.
»Ach, Sie wollten den Hausdiener sprechen? Der ist nicht mehr im Dienst, er geht am Sonnabend schon um elf.«
»Wann wird er denn wieder dasein?«
»Erst am Montag, mein Herr. Wir haben jede zweite Woche einen ganzen Tag frei. Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
Gordon schüttelte den Kopf. Er wollte nur den anderen Koffer und sein verlorenes, achtbares Aussehen wieder haben. Er legte seinen Überzieher ab und schaute in den Spiegel.
»Das bin ich nicht mehr«, sagte er gebrochen.
Sein Aussehen hatte sich vollkommen verändert, seitdem er sich zum letztenmal im Spiegel betrachtet hatte. Die Type, die er da vor sich sah, kam ihm bekannt vor – er hatte sie irgendwo in einem Film gesehen, wo jedermann hinter jedem herlief.
Es gab nun zwei Möglichkeiten für ihn. Er konnte hierbleiben und sich so lange als Gefangener in diesem Raum aufhalten, bis der Diener zurückkam, oder er konnte unbeobachtet nach Hause gehen und sich umziehen. Er hatte sehr viele schwarze Cuts, ganze Batterien von Zylindern und Wälder von gestreiften Beinkleidern. Dieser Gedanke hatte etwas Anziehendes. Diana würde um ein Uhr zu Mittag essen. Das Eßzimmer lag seinem Studierzimmer gegenüber auf der anderen Seite der Diele. Es wäre eine einfache Sache, nach oben zu gehen, sich umzukleiden und sich dann einer erstaunten Diana vorzustellen. Wie verwundert würde sie sein, und wie interessant und unterhaltsam wäre das für ihn selbst!
»Du hast wohl nicht erwartet, mich schon wieder hier zu sehen? Nun, ich erhielt im letzten Augenblick vor Abgang des Zuges ein dringendes Telegramm. Beinahe wäre der Zug auf und davon gewesen. Mein Backenbart? Ach, den habe ich abrasiert, um dir eine kleine Überraschung zu bereiten. Du findest auch, daß ich so besser aussehe?«
Er begeisterte sich für diesen Plan.
Er freute sich auch, daß er heute abend wieder in seinem eigenen Bett schlafen konnte. Und er würde wieder bei Diana sein. Bis jetzt hatte er viel zuwenig auf ihre Gesellschaft geachtet. Ihre Bedeutung für ihn wuchs, das gestand er sich selbst ein. Wenn Heloise nach Ostende fahren würde, dann wäre das allerdings sehr peinlich. Der Gedanke, daß sie seinetwegen umsonst reiste, war ihm unsympathisch, aber sie würde ja erst in ein oder zwei Tagen fahren, und er konnte inzwischen Mittel und Wege finden, sich mit ihr in Verbindung zu setzen.
Er schauderte, denn im Hintergrund tauchte wieder der rachsüchtige Ehemann auf, dieser große, brutale Mensch, der verrückt war, verrückt, wahnsinnig!
Gordon mußte noch zwei Stunden warten, bevor er seinen Plan ausführen konnte.
Er zog dann seinen Mantel an und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter. Sein Wagen wartete noch, der Taxameter war allerdings inzwischen zu einer ziemlichen Höhe emporgeklettert. Er hatte überhaupt nicht mehr an das Auto gedacht. An seiner Straßenecke zahlte er den Chauffeur und ging schnell auf sein Haus zu. Er hatte den Mantelkragen hochgeschlagen. Glücklicherweise war die Straße vollkommen leer. Er rannte beinahe bis in die kleine Seitenstraße und schloß mit zitternder Hand das rückwärtige Tor auf. Wenn die Riegel nun vorgeschoben waren! Aber die Tür bewegte sich nach innen, und er sah darauf die wohlbekannten Fenster seines Studierzimmers. Er schlich sich auf Zehen zu dem kleinen hinteren Eingang und lauschte. Er konnte kein Geräusch hören. Mit größter Vorsicht schloß er auf und öffnete die Tür zuerst einen Spalt, dann ein wenig weiter, schlüpfte hinter den Vorhang, der die Tür verbarg und zog sie hinter sich zu.
Das Zimmer war leer, die beiden Türen zur Diele waren angelehnt. Er konnte das feierliche Ticken der Großvateruhr im Treppenhaus hören.
Er hatte sich überlegt, daß er sich zuerst mit Bobby in Verbindung setzen mußte. Er lauschte in die Diele hinaus und hörte ein schwaches Geklirr von Tellern. Diana war also, wie er erwartet hatte, beim Mittagessen. Er schloß leise die Stofftür, dann die Holztür, schob einen Riegel vor und ging auf Zehenspitzen durch das Zimmer. Jetzt war er Diana dankbar, daß sie das Telefon in sein Studierzimmer hatte legen lassen.
Bobbys Büro meldete sich. Ein Angestellter, der sich verspätet hatte, bediente das Telefon noch.
»Nein, Sir, Mr. Selsbury ist heute nicht im Geschäft.«
Gordon hängte den Hörer wieder ein, ohne seinen Namen zu nennen. Dann rief er Bobbys Wohnung an, hatte aber keinen besseren Erfolg. Er verschwendete wertvolle Zeit – Bobby konnte ja noch warten. Mit einem glücklichen Lächeln richtete er sich auf. Er war wieder zu Hause! Diana würde natürlich sehr erstaunt sein, wenn sie ihn sähe!
Er ging quer durch den Raum zur Diele. Seine Hand lag schon auf der Türklinke, als er sich noch einmal umschaute und plötzlich bemerkte, daß sich der Vorhang bauschte, der die Geheimtür verbarg. Er dachte daran, daß er die Tür offengelassen hatte und wollte gerade zurückkehren, um sie zu schließen, als eine Hand den Rand des Vorhangs faßte. Gordon blieb wie angewurzelt stehen. Wieder bewegte sich der Vorhang, und nun wurde eine Frau sichtbar. Es war Heloise!
Gordon traute seinen Augen nicht. Sicher war das eine Halluzination seiner überhitzten Phantasie und ein Symptom dafür, daß seine Nerven nicht mehr in Ordnung waren.
»Sie sind es doch nicht wirklich?« fragte er ganz verwirrt.
»Gordon!« Er sah ihre ausgestreckten Hände und den unendlich traurigen Blick ihrer Augen.
»Wie sind Sie denn hierhergekommen?« fragte er verzweifelt.
»Auf demselben Weg, den auch Sie genommen haben. Ich folgte Ihnen, Gordon. Er ist so fürchterlich, Sie müssen mich beschützen!«
Er starrte sie entsetzt an.
»Ach, Sie meinen – Peter?« Er nickte.
»Peter? Nein, ich meine Claude, meinen Mann… Er weiß alles!«
Heloise kam jetzt auf ihn zu und legte ihre beiden Hände auf seinen Arm.
»Ich kann doch hier in Ihrem Haus bleiben – Sie werden mich doch nicht auf die Straße werfen? Er war hinter mir her, aber ich bin seinen Verfolgungen glücklich entgangen!«
»Was, Sie wollen hier bleiben?« Gordon erkannte kaum seine eigene Stimme wieder. »Sind Sie verrückt – sind Sie wahnsinnig?«
Sie schaute ihn argwöhnisch an.
»Sind Sie etwa verheiratet?«
»Nein!« Aber plötzlich kam ihm eine Erleuchtung. »Ja!«
»Ja – nein«, sagte sie ungeduldig. »Was sind Sie denn – geschieden?«
»Nein. Sie müssen doch einsehen, daß das nicht geht, Heloise!«
»Sie sind mit Diana verheiratet!« rief sie anklagend.
Gordon nickte ganz verwirrt.
»Sie müssen wirklich gehen, sonst bin ich ruiniert!«
Sie trat einen Schritt zurück und stemmte die Arme in die Hüften.
»Und was erbe ich bei diesem Ruin?« fragte sie.
»Sie müssen zu Ihrem Mann zurückgehen!« Seine Gedanken begannen sich wieder zu sammeln. »Sie müssen ihm sagen, daß Sie einen Irrtum begangen haben!«
»Das vermutet er schon so«, klagte sie. Langsam legte sie ihren Mantel ab. Gordon eilte zu ihr hin und wollte sie daran hindern.
»Ziehen Sie ihn schnell wieder an!« sagte er, aber sie machte sich von ihm frei.
»Ich gehe nicht – unter keinen Umständen gehe ich fort! Gordon, Sie können mich doch nicht auf die Straße werfen, nach allem, was wir einander waren!«
Er schob sie nach der Hoftür zu. Er war außer sich vor Furcht und hoffte kaum noch auf eine