ja nur durch die Sorge um das Wohlergehen der beiden bedingt gewesen …«
»Aber wäre es nicht doch ratsam«, unterbrach ihn Jackson, »zunächst einmal bei unserem Korrespondenten in Luzern anzufragen, ob die Bells tatsächlich dort im Hotel gewohnt haben?«
Der Chefredakteur wurde um noch einige Grade böser.
»Ich wüßte nicht, warum wir noch mehr Zeit und Kraft auf diese Sache verschwenden sollen«, sagte er energisch. »Wenn die Bells herausbekommen, daß wir hinter ihnen herspionieren, können sie recht unbequem werden. Außerdem ist es jetzt acht Uhr, nach Schweizer Zeit also neun Uhr. Ich fürchte, die Antwort würde sowieso nicht mehr rechtzeitig für unsere Abendausgabe da sein.«
»Trotzdem können wir es versuchen.«
Um elf Uhr dreißig kam der zweite Redakteur in das Büro seines Vorgesetzten.
»Es ist wirklich bedauerlich, daß die Geschichte von dem geheimnisvollen Verschwinden Comstock Bells jetzt aufgeklärt ist«, sagte er und setzt sich seinem Chef gegenüber. »Wir haben heute auch nicht eine einzige interessante Nachricht, die eine effektvolle Schlagzeile abgeben könnte.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Ist denn bei Gericht in Old Bailey nichts los?«
»Nur ein oder zwei Fälle«, entgegnete der andere gelangweilt. »Ein gewisser Willetts wurde wegen Fälschung einer Fünfzigpfundnote angeklagt.«
»Na, da haben wir wenigstens etwas – das ist doch auch ein außergewöhnlicher Fall! Können Sie denn daraus nichts machen?«
Der zweite Redakteur schüttelte den Kopf.
»Die Sache war schon vor zehn Jahren, und der Mann hat seine Schuld glatt eingestanden. Außerdem wurde die Fälschung in Paris begangen, und es handelte sich nur um eine einzige Banknote.«
»Wie lautete das Urteil?«
»Ein Jahr Gefängnis.«
»Warten Sie mal«, meinte der Chefredakteur und rieb sich nachdenklich die Stirn. »War das nicht zu der Zeit, als eine Anzahl junger Leute den ›Klub der Verbrecher‹ gründete?«
Der andere nickte.
»Stimmt. Bei der Gerichtsverhandlung ist aber nichts davon erwähnt worden. – Am besten wird es sein, wenn wir die Vorgänge in der heutigen Parlamentssitzung zu einer guten Geschichte verarbeiten.«
In diesem Augenblick wurde ihm ein Telegramm gebracht. Er las es aufmerksam durch und reichte es dann schweigend seinem Vorgesetzten.
»Hm!« machte der Chefredakteur. »Das ist allerdings äußerst merkwürdig!«
Das Telegramm hatte folgenden Wortlaut:
»Weder Mr. noch Mrs. Comstock haben im Hotel ›Swizerhof‹ gewohnt. Sie sind in Luzern auch nicht gesehen worden.«
»Wer hat uns das geschickt?« fragte der Chefredakteur.
»Einer unserer Mitarbeiter, der gerade seinen Urlaub in Luzern verbringt.«
Der Chefredakteur klingelte.
»Das ist ein ausgezeichnete Geschichte. – Rufen Sie Mr. Jackson – ich möchte ihn gleich sprechen« – dies galt seiner Sekretärin, die inzwischen eingetreten war. »Jackson soll diese Sache ausarbeiten. Also liefert uns das Verschwinden von Mr. Bell doch wieder glänzendes Material.«
Jackson kam herein, und der Chefredakteur gab ihm das Telegramm.
»Machen Sie einen guten Artikel daraus; aber schnell!«
14
Wentworth Gold kehrte Ende Mai nach England zurück. Er hatte seine Angelegenheiten aufs beste geordnet; seine Vorgesetzten sahen jetzt endlich ein, wie schwierig seine Aufgabe war, und behandelten ihn äußerst zuvorkommend.
Helder war ihm während seines Aufenthalts in Washington nicht begegnet. Er wußte auch nicht, daß Helders Besuch einen sehr dringenden Grund hatte. Die große Falschmünzerorganisation war durcheinandergeraten. Nachrichten, nach denen die dringende Gefahr der Entdeckung bestand, hatten alarmierend gewirkt, und es wurde jetzt versucht, die Arbeitsmethoden von Grund auf zu ändern.
Helder fuhr einige Tage früher als Gold zurück.
Auf der Rückreise nach England hatte Gold genügend Zeit, über Comstock Bell und dessen Frau nachzudenken. Die amerikanischen Zeitungen, die sich in großer Aufmachung mit dem Fall beschäftigt hatten, waren nicht zuletzt die Ursache gewesen, daß er jeden Tag an seinen merkwürdigen Freund erinnert wurde.
Vor allem war es der Fund, den Gold in Comstocks Haus am Cadogan Square gemacht hatte, an dem er herumrätselte. Es handelte sich um die Papphülle des Cookschen Reisebüros. Zwei Fahrkartenhefte waren darin gewesen, auf denen jeweils nur die Billetts von London nach Dover und von Dover nach Calais fehlten. Für die übrige Reise bis nach Wien waren noch alle Fahrkarten vorhanden. Nun wäre es ja möglich gewesen, daß Bell die Fahrkarte nach Dover und die Schiffskarte nach Calais vorher herausgenommen und die übrigen Fahrkarten zu Hause liegengelassen hätte. Seltsamerweise aber war die Karte von Calais nach Amiens gelocht, und das wiederum stand im Gegensatz zu der Vermutung, daß Bell die Fahrkarten bei seiner Abreise vergessen hatte.
Gold erwartete mit Sicherheit, bei seiner Ankunft in London zu erfahren, daß Comstock Bell von seiner Hochzeitsreise zurückgekehrt sei – sehr erstaunt war er, statt dessen einige Briefe von ihm vorzufinden. Einer war in Paris am Tag nach der Ankunft des Brautpaares aufgegeben worden, ein anderer, auf das Briefpapier des Swizerhof-Hotels geschrieben, kam aus Luzern. In beiden Briefen berichtete Bell von der Reise, erzählte von kleinen Erlebnissen, beschrieb das Wetter, und drückte die Hoffnung aus, daß es in London besser sei. Der dritte Brief stammte aus Wien und machte das Geheimnis nur noch undurchsichtiger. Vor allem stand in keinem der Schreiben ein Wort über den Verlust der Fahrkarten – und gerade über solche kleinen Unannehmlichkeiten ärgern sich Reisende für gewöhnlich, selbst wenn sie noch so reich sind.
Gold mußte sich eingestehen, daß er die Zusammenhänge in keiner Weise verstand. Er wußte nicht mehr ein noch aus. War es möglich, daß diesmal sein kriminalistischer Spürsinn so versagt hatte? Er mußte Licht in diese dunkle Angelegenheit bringen! Und es war ihm dabei ganz gleichgültig, daß er mit Comstock Bell befreundet war – er wäre der Sache jetzt nachgegangen, auch wenn es sich um seinen eigenen Bruder gehandelt hätte.
Am Tag nach seiner Ankunft erhielt Gold einen Brief von Scotland Yard, in dem er aufgefordert wurde, zu Chefinspektor Symons zu kommen.
Dieser Beamte galt als äußerst tüchtig. Er war ein hagerer, großer Mann mit einer beginnenden Glatze. Seine blauen Augen konnten so durchdringend blicken, daß schon mancher Verbrecher vor ihnen kapituliert hatte.
Als Gold das Büro des Chefinspektors betrat, begrüßte ihn der Beamte freundlich und schob ihm einen Stuhl hin.
»Setzen Sie sich bitte Mr. Gold«, sagte er. »Ich habe nach Ihnen geschickt, weil ich Sie bitten möchte, uns bei dieser Comstock-Bell-Affäre zu helfen. Die Zeitungen können sich ja nicht beruhigen – und sie würden noch sensationellere Überschriften drucken, wenn sie das wüßten, was wir wissen.«
Gold trat ans Fenster und schaute auf das Themseufer.
»Ich kann eigentlich nicht ganz einsehen«, sagte er dann ein wenig ärgerlich, »warum man so viel Wesens um die Sache macht.«
Der Beamte lächelte ironisch.
»Kommt Ihnen denn an der Geschichte nichts seltsam vor?«
»Natürlich, sie ist recht merkwürdig – aber auf was wollen Sie hinaus?«
»Bringen Sie Bells Verschwinden nicht auch noch mit anderen Dingen in Zusammenhang, die gerade Sie sehr viel angehen?«
»Sie