»Nein«, brummte der alte Mann. »Ich bade, ich bin auf Tiefseefischfang, ich fliege! Sehen Sie denn nicht, was ich tue? Ich sitze hier und muß alle albernen Fragen dummer Leute über mich ergehen lassen, die des Weges kommen.«
Horace lachte. Er ließ sich durch den bissigen Humor des Lords nicht abschrecken. Ohne sich weiter mit ihm einzulassen, wandte er sich an Mary.
»Ich freue mich, Sie hier zu treffen.«
»Was macht Ihr schöner Rappe?« fragte sie.
Horace warf einen lächelnden Blick auf Tramber.
»Oh, er wird beim Rennen schon seinen Mann stehen. Jedenfalls wird er ›Timbolino‹ hart zusetzen.«
»Mein Pferd wird dem Ihren turmhoch überlegen sein, wo sie sich auch immer im Rennen begegnen«, sagte Sir Isaac ärgerlich. »Ich wette tausend Pfund darauf.«
»Ich habe nicht die Absicht, Ihnen dieses Geld abzunehmen«, entgegnete Gresham. »Ich halte so sicher gewonnene Wetten Ihnen und – Ihrem Freund gegenüber für unfair.«
Die letzten Worte waren ganz gleichgültig gesprochen, aber Sir Isaac Tramber hatte doch einen gewissen Unterton herausgehört. Die kleine Pause, die Horace beim Sprechen gemacht hatte, sagte ihm, daß dieser liebenswürdige junge Mann mehr von seinen persönlichen Verhältnissen wußte, als ihm im Augenblick lieb war.
»Wenn ich wette, so geht das meinen Geschäftsfreund gar nichts an«, fuhr er zornig auf. »Ich habe Ihnen eben eine faire und offene Sportwette angetragen. Wenn Sie nicht annehmen wollen – nun ja …«
Er zuckte die Schultern.
»Oh, wenn Sie wollen, nehme ich die Wette auch an«, erwiderte Horace, wandte sich dann aber wieder an Mary.
»Was will denn Gresham?« fragte Verlond hämisch, als er den Verdruß des Baronets sah.
»Ich wußte nicht, daß Sie Freunde sind«, sagte Sir Isaac. »Wo haben Sie ihn denn kennengelernt?«
»Wo man die meisten unliebsamen Bekanntschaften macht – im Rennclub. Aber der ganze Rennbetrieb wird jetzt so verdammt vornehm, Ikey, daß ein wirklicher Rennwetter von altem Schrot und Korn kaum noch zu treffen ist. Als ich das letztemal zum Rennen ging, war ich sehr enttäuscht. Der Teesalon war gesteckt voll, so daß man kaum die Türen öffnen konnte. Aber draußen war es trostlos leer. Pferderennen gehen in England vor die Hunde, Ikey.«
Er war nun bei seinem Lieblingsthema angekommen. Sir Isaac fühlte sich wenig behaglich, denn man konnte den Lord schwer ablenken, wenn er in Erinnerungen schwelgte.
»Heutzutage kann man überhaupt nicht mehr wetten wie früher«, fuhr der Lord fort. »Einmal habe ich fünftausend Pfund auf ein Pferd gesetzt, bei zwanzig zu eins, ohne daß sich nachher die Quote auch nur im geringsten änderte. Wo kann man das heute noch machen?«
»Wir wollen ein wenig Spazierengehen«, sagte Mary. Lord Verlond war so in seine Anklagen gegen den modernen Rennbetrieb vertieft, daß er gar nicht merkte, wie sich die beiden jungen Leute erhoben und fortgingen.
Sir Isaac sah es wohl und hätte den Redefluß des Lords gern unterbrochen; aber er unterließ es, weil er die schlechte Stimmung und die bissigen Worte des alten Mannes fürchtete.
*
»Es ist mir unbegreiflich, daß sich Ihr Onkel mit einem solchen Menschen überhaupt abgeben mag«, sagte Horace.
Mary lächelte.
»Ich bin nicht besonders erstaunt darüber, daß er zu ihm hält«, erwiderte sie trocken. »Onkels Geduld mit zweifelhaften Leuten ist sprichwörtlich.«
»Mir gegenüber ist er nicht sehr zuvorkommend.«
»Sie haben sich eben in der Gesellschaft noch nicht genügend unbeliebt gemacht«, meinte sie lachend. »Sie müssen sich erst mit allen anderen Menschen überworfen und verfeindet haben, bevor er sie schätzt.«
»Das ist aber doch nicht meine Art, nicht wahr?«
Sie wurde ein wenig rot.
»Nein, ich glaube, nicht«, sagte sie und sah ihn unter halbgeschlossenen Lidern hervor von der Seite an. »Ich bin überzeugt, daß Sie ein sehr netter und liebenswürdiger junger Mann sind. Sie müssen viele gute Freunde haben. Ikey dagegen hat sehr seltsame Bekanntschaften. Er speiste neulich in einem Lokal mit einem ganz unmöglichen Menschen – kennen Sie ihn vielleicht?«
»Es tut mir leid, ganz unmögliche Menschen kenne ich überhaupt nicht«, entgegnete er prompt.
»Es war ein gewisser Oberst Black.«
Er nickte. »Ich habe von ihm gehört.«
»Wer ist denn das eigentlich?«
»Ein Oberst.«
»Von der Armee?«
»Nicht von der englischen«, erwiderte Horace lächelnd. »In Amerika gibt es viele Höflichkeitstitel, und er ist – nun ja, er ist mit Sir Isaac befreundet …«
»Daraus kann ich nur entnehmen, daß er keinen besonders guten Charakter haben wird.«
Er sah sie dankbar an.
»Ich bin so froh, daß Sie das gesagt haben. Ich fürchtete schon –« Wieder machte er eine Pause.
»Was fürchteten Sie?«
Sie hatte den sonst so selbstsicheren Horace Gresham noch nie in solcher Verlegenheit gesehen.
»Nun ja – ich meine«, fuhr er ein wenig zusammenhanglos fort, »man hört allerhand Gerüchte. Ich weiß, daß er ein häßlicher Mensch ist, und ich weiß, wie gut und lieb Sie sind – Mary, ich liebe Sie mehr als alles andere auf der Welt!«
Sie wurde blaß, und ihre Hand zitterte. Sie hatte niemals gedacht, daß ihr jemand inmitten einer großen Menschenmenge eine Liebeserklärung machen könne. Die unerwartete Situation machte sie sprachlos und verwirrt. Sie schaute ihn an. Auch er war bleich geworden.
»Das hätten Sie nicht tun sollen«, sagte sie dann leise, »so am frühen Morgen …«
7
Oben auf dem Dachboden bearbeitete Frank Fellowe seinen Punchingball und ließ an ihm all seinen Ärger über die Unannehmlichkeiten des Lebens aus.
Sergeant Gurden machte ihm in jeder Weise das Dasein schwer. Er gab ihm den unangenehmsten Dienst und ermüdende, langweilige Arbeit, auch packte er ihm außergewöhnliche Pflichten auf, wo er nur konnte. Und außerdem hatte sich Frank doch selbst die Aufgabe gestellt, die Tätigkeit Oberst Blacks und seiner Leute zu beobachten. Wenn er gewollt hätte, wäre es ihm ein leichtes gewesen, alle Hemmnisse mit einem Schlag zu beseitigen, aber das war nicht seine Art. Frank wollte unter allen Umständen Blacks Pläne durchkreuzen und zunichte machen. Andere Interessen, die ihn ebensosehr hätten in Anspruch nehmen können, stellte er zurück – wenigstens für eine Weile.
*
Die Tochter des Millionärs Sandford, die Frank Fellowe zufällig bei der Verhütung eines Unfalls kennengelernt hatte, traf ihn nach einiger Zeit wieder. Klopfenden Herzens hatte sie der Begegnung entgegengesehen. Als er damals beim Versagen der Bremsen auf den Wagen gesprungen war, hatte sie Dankbarkeit und Bewunderung für ihn gefühlt. Und dieser Eindruck vertiefte sich, als sie mit ihm zusammen im Zoo spazierenging. Sie hatte ihn nämlich zu einem gemeinsamen Zoobesuch eingeladen, weil sie gern genauer wissen wollte, wer eigentlich ihr Retter war.
Sie hatte gefürchtet, daß sie sehr enttäuscht sein würde. Denn ein stattlicher Polizist in Uniform konnte in Zivilkleidung recht kläglich aussehen. Wer wußte denn, was für einen vulgären Geschmack er vielleicht bei der Wahl seines Anzugs zeigen würde, ganz zu