Edgar Wallace

Gesammelte Krimis (69 Titel in einem Buch: Kriminalromane und Detektivgeschichten)


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die er sich jede Woche kaufte. Er stellte fest, daß nur ein geringer Teil seiner Übersetzungen im Druck erschien. Offensichtlich verfolgte Mr. Brown mit der Herausgabe dieses Skandalblattes noch andere Zwecke. Der Schleier dieses Geheimnisses wurde teilweise gelüftet, als eines Nachmittags laut an der äußeren Tür des Büros geklopft wurde. Poltavo drückte auf den Knopf unter der Schreibtischplatte,, wodurch sich die Tür öffnete, und gleich darauf wiederholte sich das Klopfen an dem inneren Eingang.

      Dann stand eine junge Dame zögernd in der Tür.

      »Wollen Sie nicht näher treten?« fragte Poltavo und erhob sich.

      »Sind Sie der Herausgeber dieser Zeitung?« fragte sie, als sie eintrat.

      Poltavo verneigte sich. Er war immer bereit, irgendwelche Ehren entgegenzunehmen, die man ihm antun wollte. Hätte sie ihn gefragt, ob er Mr. Brown selbst sei, so würde er sich auch verneigt haben. Es kam ihm gar nicht darauf an.

      »Ich habe einen Brief von Ihnen bekommen.« Sie trat an die andere Seite des Tisches, legte ihre Hand auf die Kante und sah ihn halb verächtlich, halb furchtsam an, wie ihm schien.

      Er verneigte sich wieder. Er hatte zwar außer seinem Chef niemandem geschrieben, aber er hatte ein weites Gewissen.

      »Ich schreibe viele Briefe«, erwiderte er gleichgültig, »und ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihnen geschrieben habe oder nicht. Vielleicht kann ich den Brief einmal sehen?«

      Sie öffnete ihre Handtasche, nahm einen Umschlag heraus, zog das Schreiben hervor und reichte es dem jungen Mann, der es interessiert betrachtete. »Der schlechte Ruf« stand als Briefkopf auf dem Bogen, aber die Adresse war durch einen dicken Federstrich unleserlich gemacht worden. Der Brief lautete:

      Sehr geehrte gnädige Frau,

      ich habe einige sehr wichtige Nachrichten erhalten, die Ihre Beziehungen zu Captain Brackly betreffen. Ich bin sicher, Sie können nicht dulden, daß Ihr Name mit diesem Mann in irgendeiner Weise verknüpft wird. Als Tochter und Erbin des verstorbenen Sir George Billk könnten Sie natürlich denken, daß Ihr Reichtum und Ihre Stellung in der Gesellschaft Sie von dem Gerede anderer Leute unabhängig machen, aber ich kann Ihnen versichern, daß die Mitteilungen, die mir zugegangen sind, schwerwiegende Folgen haben würden, wenn ich sie Ihrem Gatten unterbreitete.

      Damit die Sache keine weiteren Kreise zieht und um Ihre Verleumder zum Schweigen zu bringen, ist unser Nachforschungsdepartement bereit, diese Skandalgeschichte zu unterdrücken. Die Kosten hierfür belaufen sich auf zehntausend Pfund, die in Banknoten an mich bezahlt werden müssen. Wenn Sie meinen Vorschlag annehmen, setzen Sie bitte eine Annonce in die Spalte »Verloren und gefunden« des »Megaphone«. Ich werde dann eine Zusammenkunft arrangieren, bei der Sie mir das Geld zahlen können. Versuchen Sie aber unter keinen Umständen, an mein Büro zu schreiben oder mich persönlich dort sprechen zu wollen.

      Hochachtungsvoll

       J. Brown

      Poltavo las den Brief, und nun war ihm plötzlich die Aufgabe dieser Zeitung klar. Er faltete den Brief wieder zusammen und händigte ihn der jungen Dame aus.

      »Vielleicht ist es nicht sehr klug von mir gehandelt«, sagte sie, »aber ich weiß, was Erpressung ist und wie Erpressung bestraft wird.«

      Poltavo befand sich in einer gewissen Verlegenheit, aber nur einen Augenblick.

      »Ich habe diesen Brief nicht geschrieben«, erwiderte er freundlich, »er wurde ohne mein Wissen abgesandt. Wenn ich vorhin sagte, ich sei der Herausgeber der Zeitung, so wollte ich damit nur andeuten, daß ich der stellvertretende Redakteur bin. Mr. Brown führt seine Geschäfte ganz unabhängig von mir. Ich weiß natürlich alles, was in der Redaktion vorgeht«, fügte er eilig hinzu, denn er war sehr begierig auf weitere Informationen, die ihm die junge Dame sicher nicht verweigerte, wenn sie ihn für einen maßgebenden Redakteur hielt. »Und ich kann Ihnen nachfühlen, daß Sie durch diesen Brief sehr beunruhigt worden sind.«

      Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Poltavo war ein scharfer Beobachter von Frauen und wußte sofort, daß sie nicht nachgiebig und furchtsam war, sich auch nicht aus Angst vor Bloßstellung einschüchtern ließ.

      »Ich kann diese Sache Captain Brackly und meinem Mann zur Regelung überlassen. Diesen Brief werde ich meinen Rechtsanwälten zeigen und ebenso den beiden Herren, die er angeht.«

      Poltavo hatte gesehen, daß der Brief vor vier Tagen geschrieben war, und er sagte sich, daß »die beiden Herren, die er anging«, ihn niemals zu sehen bekommen würden, wenn er ihnen nicht schon in der ersten Erregung und im ersten Ärger gezeigt worden war.

      »Ich glaube, Sie sind sehr klug«, erwiderte er beschwichtigend. »Was bedeutet überhaupt eine so kleine Unannehmlichkeit? Wer kümmert sich denn um die Veröffentlichung von ein paar Briefen?«

      »Hat er tatsächlich Briefe?« fragte sie schnell mit verändertem Ton.

      Poltavo verneigte sich wieder.

      »Werden sie bestimmt zurückgegeben, wenn die Summe bezahlt wird?«

      Poltavo nickte, und sie biß sich nachdenklich auf die Lippen.

      »Ich verstehe.«

      Sie schaute wieder auf den Brief, und ohne ein weiteres Wort verließ sie den Raum.

      Poltavo begleitete sie bis zur äußeren Tür.

      »Das ist die gerissenste Art der Erpressung«, sagte sie, als sie fortging, aber sie sprach ohne Erregung. »Ich habe jetzt nur noch zu überlegen, wobei ich am besten fahre.«

      Poltavo ging in das innere Büro zurück. Als er die Tür öffnete, blieb er erstaunt stehen, denn in dem Stuhl, den er eben verlassen hatte, saß der verschleierte Mann.

      Er lachte über die Verwunderung, die er in Poltavos Zügen las, aber er schien sich auch noch über einen anderen Gedanken zu amüsieren.

      »Das haben Sie gut gemacht, Poltavo. Sie haben sich glänzend aus der Affäre gezogen.«

      »Haben Sie denn die Unterredung belauscht?« fragte der Pole, der wirklich sehr überrascht war.

      »Jedes Wort. Nun, was halten Sie davon?«

      Poltavo zog einen Stuhl heran und setzte sich seinem Chef gegenüber.

      »Ich halte die ganze Sache für sehr klug und schlau angelegt«, sagte er bewundernd. »Aber auf der anderen Seite glaube ich, daß ich zuwenig Gehalt bekomme.«

      Mr. Brown nickte.

      »Ich denke, Sie haben recht«, stimmte er zu. »Ich will sehen, daß Ihr Einkommen erhöht wird. Wie töricht war es doch von der Frau, hierherzukommen!«

      »Entweder war sie eine dumme Person oder eine schlechte Schauspielerin!«

      »Wie meinen Sie das?« fragte Mr. Brown schnell.

      Poltavo zuckte die Schultern.

      »Ich zweifle nicht daran, daß alles, was ich eben erlebt habe, eine abgekartete Komödie war. Die Sache hat auch ihren Zweck erfüllt, denn es ist alles erreicht worden, was beabsichtigt wurde.«

      »Und was wurde beabsichtigt?« fragte Mr. Brown neugierig.

      »Sie wollten mir den wahren Charakter Ihres, Geschäfts enthüllen. Ich schließe das aus folgenden Anhaltspunkten.« Er zählte sie der Reihe nach an seinen langen weißen Fingern ab. »Nach der Adresse auf dem Briefumschlag hieß die Dame Lady Cruxbury, aber ihr wirklicher Name begann mit einem W, wie ich deutlich auf dem Silberbeschlag ihrer Handtasche lesen konnte. Denselben Buchstaben habe ich auch auf ihrem Taschentuch gesehen, das sie aus der kleinen Handtasche herauszog. Deshalb konnte sie nicht die Frau sein, an die der Brief gerichtet war, oder wenn sie es war, so war der Brief nur ein Bluff. In einer so wichtigen Angelegenheit wäre Lady Cruxbury in eigener Person gekommen. Ich glaube, daß es überhaupt keine Lady Cruxbury gibt und daß das Schreiben nur erfunden und mir überreicht wurde, um meine Verschwiegenheit zu prüfen. Sie beobachteten mich währenddessen von einem Versteck aus.