seinen Kriegstanz. So hatten wir immer einen Hut voll Kupferstücke nach jeder Tagesarbeit. Was sich unterdessen in Pondicherry-Lodge zutrug, wurde mir getreulich berichtet. Ein paar Jahre lang geschah nichts Neues, außer, daß überall nach dem Schatz gesucht wurde. Endlich aber kam die Nachricht, auf die ich so lange gewartet hatte. Der Schatz war gefunden. Er war im Giebel des Hauses, im chemischen Laboratorium des Herrn Bartholomäus Scholto. Aber wie sollte ich mit meinem hölzernen Bein da hinaufkommen? Es schien unmöglich, bis ich von einer Fallthür im Dach hörte und zugleich erfuhr, um welche Stunde Bartholomäus Scholto zur Nacht speiste. Na konnte mir Tonga behülflich sein. Er mußte sich einen langen Strick um den Leib winden und da er klettern konnte wie eine Katze, war für ihn der Weg über das Dach eine Leichtigkeit. Herr Scholto war aber leider noch in dem Zimmer – zu seinem Unheil. Tonga dachte, er hätte etwas Kluges gethan, daß er seinen Bolzen auf ihn abschoß; denn als ich am Seil emporkam, fand ich ihn wie einen Pfau umherstolzieren. Er war auch höchlich verwundert, als ich mit dem Tauende über ihn herfiel und grimmig auf den kleinen, blutdürstigen Kobold fluchte. Ich ließ nun zuerst den Juwelenkasten am Seil hinunter und glitt dann selbst hinab, nachdem ich das Zeichen der Vier auf den Tisch gelegt zum Beweis, daß die Juwelen endlich in die Hände ihrer rechtmäßigen Besitzer zurückgelangt seien. Tonga zog den Strick wieder in die Höhe, verschloß das Fenster und machte sich auf demselben Wege davon, den er gekommen war.
»Wie es uns weiter erging, wissen Sie bereits. Ich hatte die Bootsleute über die Geschwindigkeit von Smiths Dampfboot ›Aurora‹ sprechen hören und dachte, dies Fahrzeug bei unserer Flucht zu benützen. Dem alten Smith versprach ich eine ansehnliche Summe, wenn er uns sicher zu unserem Schiff brachte; von dem Geheimnis erfuhr er jedoch nichts. Ich erzähle Ihnen das alles, meine Herren, nicht zu Ihrer Kurzweil – denn Sie verdienen meinen Dank nicht – sondern damit die ganze Welt erfährt, wie schlecht Major Scholto uns mitgespielt hat und wie unschuldig ich an dem Tode seines Sohnes bin.«
»Ein sehr merkwürdiger Bericht,« sagte Sherlock Holmes. »Also ihr hattet ein eigenes Seil mitgebracht? Das wußte ich nicht. – Sagt mir nur, wie es kam, daß Tonga noch einen Bolzen aus dem Boot nach uns hat schießen können; ich hoffte doch, er hätte sie alle verloren.«
»Freilich, Herr, alle bis auf einen, der gerade in seinem Blasrohr steckte.«
»Aha, natürlich,« rief mein Gefährte, »daran hatte ich nicht gedacht.« Jetzt wurde Athelney Jones ungeduldig. »Ich habe Ihnen den Willen gethan, Holmes,« sagte er, »es ist aber hohe Zeit, daß wir unsern Erzähler in sicheres Gewahrsam bringen. Die Droschke wartet noch, und unten sind zwei Polizisten. Vielen Dank für Ihren Beistand. Natürlich werden Sie beide im Verhör zugegen sein müssen. Einstweilen gute Nacht.«
»Gute Nacht, meine Herren,« sagte Jonathan Small.
»Geht nur voraus, Small, daß ich Euch im Auge behalten kann.« Das waren die letzten Worte des vorsichtigen Jones, als sie das Zimmer verließen.
Schluß.
»Also das ist nun das Ende unseres kleinen Dramas,« bemerkte ich, nachdem wir einige Zeit schweigend unsere Zigarren geraucht hatten. »Ich fürchte, es wird die letzte Untersuchung sein, bei der ich Gelegenheit habe, Ihre Methoden zu studieren. Fräulein Morstan hat mir die Ehre erwiesen, mich als künftigen Gatten anzunehmen.«
Holmes ächzte kläglich auf.
»Das habe ich gefürchtet,« sagte er, »ich kann Ihnen wirklich nicht gratulieren.«
Ich war ein wenig verletzt. »Haben Sie irgend eine Ursache mit meiner Wahl unzufrieden zu sein?«
»Durchaus nicht, im Gegenteil. Ich denke sie ist eine der liebenswürdigsten jungen Damen, die ich jemals getroffen habe; auch wäre sie bei der Art von Arbeit, wie wir sie eben durchgemacht haben, vortrefflich zu gebrauchen. Sie besitzt ein entschiedenes Talent in der Richtung. Hätte sie sonst wohl den Agra-Plan vor allen andern Papieren ihres Vaters sorgfältig aufbewahrt? Aber die Liebe ist ein Ding voll Gemütsbewegungen und alles was gefühlvoll ist, steht der ruhigen, gesunden Vernunft entgegen, die ich über alles schätze. Ich selbst würde niemals heiraten, aus Furcht, mein klares Urteil zu beeinträchtigen.«
»Ich hoffe,« sagte ich lachend, »daß mein Urteilsvermögen die Probe überleben wird. Aber Sie sehen angegriffen aus, Holmes!«
»Ja, die Reaktion hat sich schon eingestellt; ich werde die nächste Woche hindurch so schlaff sein, wie ein Waschlappen.«
»Sonderbar,« sagte ich, »wie bei Ihnen die Zustände wechseln. Auf Perioden von beispielloser Thatkraft und Ausdauer folgen Anfälle, die man bei einem andern Menschen Trägheit nennen würde.«
»Ganz recht,« versetzte er, »in mir steckt eben das Material zu einem faulen Nichtsnutz und zugleich zu einem ganz aufgeweckten, tüchtigen Kerl. Ich denke oft an die Worte des alten Goethe:
›Schade daß die Natur nur einen Menschen aus dir schuf.
Denn zum würdigen Mann war, und zum Schelmen der Stoff.‹
»Aber um noch einmal auf die Norwood-Angelegenheit zurückzukommen: Sie sehen, daß Small, wie ich vorausschaute, einen Verbündeten im Hause gehabt hat. Das kann niemand anderes sein, als Lal Rao der Hausmeister; so hat denn wirklich Jones die unbestrittene Ehre, einen Fisch bei seinem großen Fischzug ganz allein gefangen zu haben.«
»Der Lohn ist sehr ungerecht verteilt,« bemerkte ich. »Sie haben alle Arbeit bei dem Geschäft gethan. Ich bekomme eine liebe Frau, Jones trägt den Ruhm davon – was bleibt für Sie?«
»Für mich?« sagte Sherlock Holmes – »für mich bleibt noch die Cocaïn-Flasche.« Und er streckte seine schmale, weiße Hand darnach aus.
Das Tal des Grauens
(The Valley of Fear)
1915
1. Kapitel. Die Warnung.
2. Kapitel. Sherlock Holmes tritt in Tätigkeit.
3. Kapitel. Das Drama von Birlstone.
4. Kapitel. In der Dunkelheit.
5. Kapitel. Die Hauptpersonen des Dramas.
6. Kapitel. Die ersten Lichtstrahlen.
1. Kapitel. Der Fremde.