Augenblick verstand Mercant nicht, dann entdeckte er das schmale Nachrichtenband am unteren Rand der Scheibe auf der Fahrerseite. »Ein Newsticker«, sagte er verblüfft.
»Ich zeige dir, worauf ich hinauswill.« Sie betätigte eine Sensortaste auf dem Lenkrad, und das Nachrichtenband fuhr in rascher Geschwindigkeit zurück, bis ein Bild am linken Rand auftauchte. Es wanderte langsam weiter zur Mitte, schuf Platz für einen begleitenden Text.
Das Bild zeigte ihn selbst; der Text nannte seinen Namen, Allan Mercant, und bezeichnete ihn als gesuchten, gefährlichen Terroristen, Vorsicht, bewaffnet.
»Wenn ich ehrlich bin, wundere ich mich, warum du jetzt nicht wieder deine Waffe ziehst«, sagte er.
»Weil ich nicht will, dass du den Autopiloten ausschaltest und uns beide umbringst.« Die Truckerin sah stur auf die Straße und vermied es, ihn anzuschauen. »Ist doch logisch. Ich hänge an meinem Leben. Außerdem habe ich eine Ladung abzuliefern, sonst wird der Kunde sauer. Altes Truckergesetz: Verärgere nie diejenigen, die dich bezahlen. Und die Truckergesetze sind mir heilig.«
»Klingt sinnvoll.«
»Weißt du«, fuhr Iga im Plauderton fort, »wenn ich weiter zurückblättere, würdest du lesen, dass eine hohe Belohnung auf deinen Kopf ausgesetzt ist. Das Geld könnte ich gut gebrauchen, denn Steph ist noch lange nicht abbezahlt. Der Truck, du erinnerst dich?«
»Aber?«
»Aber dort steht auch, wer dich sucht.«
»Lass mich raten: Homeland Security.«
»Exakt.«
»Und?«
»Was und?«, fragte sie.
»Es fehlt noch die Pointe deiner Geschichte.«
»Ich hasse Homeland Security. Ein Haufen verlogener Mistkerle, die vorgeben, Amerika zu beschützen. Dabei scheißen sie auf alles, wofür unser Land steht, wenn es ihnen nicht passt.«
Radikale Beschreibung, dachte Allan, aber nach seinen jüngsten Erfahrungen war an dieser Ansicht durchaus etwas dran. »Also magst du Terroristen.«
Sie grinste breit. Nicht nur ihr Gesicht war schön. Allans Blick wanderte über den Hals zu den Haaren. Sie glänzten, so kurz sie waren.
»In diesem Fall muss ich dich leider enttäuschen«, behauptete Mercant. »Sie halten mich zwar für einen Terroristen, wenn ich den Nachrichten glauben darf, aber ich bin es nicht.«
»Was dich wiederum nicht automatisch zu einem schlechten Menschen macht, mein Kleiner.«
Wieder störte er sich an der despektierlichen Anrede nicht. Im Gegenteil, er fühlte sich mehr und mehr zu Wonderbra hingezogen. »Wie kommst du zu deiner Einschätzung von Homeland Security?«
»Mein Bruder ist zu Unrecht in die Maschinerie dieser Behörde geraten. Die Mistkerle haben ihn aus dem Verkehr gezogen und halten ihn seitdem irgendwo gefangen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo.«
»Klingt gar nicht gut.« Mercant wusste sehr wohl, dass es Fälle wie diesen weit öfter gab, als der Öffentlichkeit bekannt war.
Iga bremste. »Hör zu, Terrorist.« Sie lenkte den Giga-Truck an den Straßenrand in eine Nothaltebucht, die gerade genug Raum bot. Direkt neben Mercants Sichtscheibe ragte nun ein spärlich bewachsener Hügel auf. In den dünnen Sträuchern glänzte eine Unzahl roter Beeren. »Ich werde dich nicht ausliefern, aber ich will endlich die Wahrheit hören.«
»In Ordnung«, sagte er. »Das hast du dir verdient. Du solltest dich allerdings darauf gefasst machen, dass es dich umhaut.«
»Ich bin eine Truckerin. Mich haut so schnell nichts um.«
Und Allan begann zu erzählen.
Mindestens zehn Minuten lang schwieg sie und hörte nur zu. Die ersten Worte, die danach über ihre Lippen kamen, waren: »Das haut mich wirklich um.«
Mercant sagte ihr die Wahrheit, und je mehr er berichtete, umso besser fühlte es sich an. Überraschenderweise empfand er ein eigenartiges Vertrauen zu Iga, die für ihn eigentlich eine Wildfremde war. »Ich bin noch nicht fertig«, meinte er. »Die STARDUST trug eine Atombombe an Bord, mit der ein außerirdisches Raumschiff auf dem Mond zerstört werden sollte. Ich habe das verhindert, indem ich den Flight Director der NASA kontaktierte und ihm ...«
Ihr Gesicht sah aus wie eine Maske. »Aliens? Ist das dein Ernst?«
Er nickte. »Und ich glaube nicht, dass man das noch lange geheim halten kann. Es werden wohl bald alle wissen. Aber herzlichen Glückwunsch, Iga, du gehörst zu den Ersten.«
Die nächsten Minuten hörte sie seinem Bericht wortlos zu. »Bist du vielleicht auch einer?«, fragte sie schließlich.
Er sah sie verwirrt an.
»Ein Alien«, ergänzte sie.
»Nein, ich bin nur ein Mensch. Nicht mal ein Terrorist.« Er zuckte die Achseln. »Leider.«
Auf der Straße donnerte ein anderer Giga-Truck vorüber und hupte. Iga kümmerte sich nicht darum. »Du bist also ein Mensch?«
»Ganz sicher.«
»Das prüfe ich besser nach.«
Sie beugte sich zu ihm, legte ihm die Hand in den Nacken und küsste ihn.
Der Kuss war erstaunlich weich und sanft, ganz anders, als es ihr sonstiges Auftreten vermuten ließ.
Als sie sich wieder zurückziehen wollte, hielt Allan sie fest.
»Weißt du, für ... Romantik bleibt mir keine Zeit«, sagte sie. »Ich habe eine Ladung zu transportieren.«
Er nickte. »Ich weiß, was Pflichten sind. Nimm mich bitte noch ein Stück mit.«
»Nein.«
»Nein?«
»Ich habe nur von Romantik gesprochen.« Sie griff am Lenkrad vorbei und drückte an der Mittelkonsole einen Knopf, dem Mercant keine Funktion zuordnen konnte. Ein leises Surren ertönte hinter ihnen. »Wenn du also darauf verzichten kannst?«
Er drehte sich um. Zwischen den Sitzen öffnete sich eine Klappe, gerade groß genug, um sich hindurchzuzwängen. Da erst verstand er, worauf Iga hinauswollte. »Kann ich«, sagte er.
Iga ging zuerst.
Iga schlief, und ihre Hand lag auf seiner Wange. Er roch das alte Schmieröl unter ihren Fingernägeln.
Die Schlafkabine zwischen Fahrer- und Laderaum war bedrückend eng, aber – das musste Mercant zugeben – außerordentlich bequem. Eine Matratze, ein Kissen, eine Decke, ein Fach, um alle Kleider darin zu verstauen. Im Grunde genügte das ja, zumal es ihnen beiden nicht auf Romantik angekommen war.
Er dachte nach.
Ob die Agenten der Homeland Security inzwischen wohl auf das schäbige Motel aufmerksam geworden waren? Der Fluchtwagen stand dort nach wie vor auf dem Parkplatz. Bei der Ausfahrt aus dem Raumhafen war Mercant mit dem Wagen zweifellos gefilmt worden. Recht wahrscheinlich also, dass Mr. Speck-Hemd im Hotel gerade durch die Mangel gedreht wurde.
Ihm konnte es gleichgültig sein; dank Iga befand er sich weit genug entfernt, und momentan gab es wohl keine Spur, die zu ihm führte.
Sein nächstes Ziel stand fest, denn es gab einen Ort, an dem er alles für jenen Moment vorbereitet hatte, der früher oder später hatte kommen müssen. Für den Tag, an dem sich seine Wege und die von Homeland Security trennten. Allerdings lag dieser Ort verflixt weit entfernt, und als Allan D. Mercant, gesuchter und gefährlicher Terrorist, würde er die 3000 Meilen dorthin nicht schaffen.
Also war er gezwungen, zunächst sein Äußeres dem Bild anzupassen, das der falsche Pass zeigte, den Flight Director Pounder ihm überreicht hatte. Vorübergehend musste er in diese Tarn-Identität schlüpfen. Erst in New Orleans konnte er endgültig alle Zelte hinter sich abbrechen. Dann würde selbst Lesley Pounder nicht mehr wissen, unter welchem Namen und welchem