Готфрид Келлер

Gesammelte Werke von Gottfried Keller


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Wachstumes ist.

      Wo nun der Fall eintritt, daß der Gegenstand eines angeborenen Glaubens und Fühlens, welches durch Jahrtausende sich im Blut überliefert, außer dieser körperlichen Welt sein soll, also gar nicht vorhanden ist, da spielt das erhabenste Trauer- und Lustspiel, wie es nur die ganze Menschheit mit allen, die je gelebt haben und leben, spielen kann und zu dessen Schauen es wirklicher Götter bedürfte, wenn nicht eben diese Menschheit aus der gleichen Gemütstiefe, aus welcher sie die große Tragikomödie dichtete, auch das volle Verständnis zum Selbstgenuß schöpfen könnte.

      Zahllos sind die Verschlingungen und Variationen des uralten Themas und erscheinen da am seltsamsten und merkwürdigsten, wo sie mit Bildung und Sinnigkeit verwebt sind.

      Weil Heinrich auf eine unberechtigte und willkürliche Weise an Gott glaubte, so machte er unter anderm auch allegorische Landschaften und geistreiche, magere Bäume; denn wo der wundertätige Spiritualismus im Blute steckt, da muß er trotz Aufklärung und Protestation irgendwo heraustreten. Der Spiritualismus ist diejenige Arbeitsscheu, welche aus Mangel an Einsicht und Gleichgewicht der Erfahrungen und Überzeugungen hervorgeht und den Fleiß des wirklichen Lebens durch Wundertätigkeit ersetzen, aus Steinen Brot machen will, anstatt zu ackern, zu säen, das Wachstum der Ähren abzuwarten, zu schneiden, dreschen, mahlen und zu backen. Das Herausspinnen einer fingierten, künstlichen, allegorischen Welt aus der Erfindungskraft, mit Umgehung der guten Natur, ist eben nichts anderes als jene Arbeitsscheu; und wenn Romantiker und Allegoristen aller Art den ganzen Tag schreiben, dichten, malen und operieren, so ist dies alles nur Trägheit gegenüber derjenigen Tätigkeit, welche nichts anderes ist als das notwendige und gesetzliche Wachstum der Dinge. Alles Schaffen aus dem Notwendigen und Wirklichen heraus ist Leben und Mühe, die sich, selbst verzehren, wie im Blühen das Vergehen schon herannaht; dies Erblühen ist die wahre Arbeit und der wahre Fleiß; sogar eine simple Rose muß vom Morgen bis zum Abend tapfer dabeisein mit ihrem ganzen Korpus und hat zum Lohne das Welken. Dafür ist sie aber eine wahrhaftige Rose gewesen.

      Es war so artig und bequem für Heinrich, daß er eine so lebendige Erfindungsgabe besaß, aus dem Nichts heraus fort und fort schaffen, zusammensetzen, binden und lösen konnte! Wie schön, lieblich und mühelos war diese Tätigkeit, wie wenig ahnte er, daß sie nur ein übertünchtes Grab sei, das eine Welt umschloß, welche nie gewesen ist, nicht ist und nicht sein wird! Wie wunderbar dünkte ihm die schöne Gottesgabe des vermeintlichen Ingeniums, und wie süß schmeckte das Wunder dem rationellen, aber dankbaren Gottgläubigen! Er wußte sich nicht recht zu erklären und ging darüber hinweg, daß sein Freund Lys, wenn er nur einige Stunden in der Woche still und aufmerksam gemalt hatte, viel zufriedener und vergnügter schien, obgleich er ein arger Atheist war, als Heinrich, wenn er die ganze Woche komponiert und mit der Kohle gedichtet. Desto bescheiden wohlgefälliger nahm er die Achtung vieler jungen Deutschen hin, welche sein tiefsinniges Bestreben lobten und ihn für einen höchst respektablen Scholaren erklärten.

      Warum Heinrich nicht auf dem kürzesten Wege, durch das gute Beispiel Ferdinands, das ihm so nahe war, zur gesunden Wahrheit zurückkehrte, fand seinen Grund eben in der Verschiedenheit ihrer religiösen Einsichten. Der Holländer hatte ohne besondere Aufregungen abgeschlossen und war ruhig; Heinrich griff ihn beständig an; aber Ferdinand setzte ihm jene Art von Überlegenheit entgegen, welche nicht sowohl aus der Wahrheit als aus der Harmonie der Grundsätze mit dem übrigen Tun und Lassen entspringt, während Heinrich die Unruhe einer einzelnen, verfrühten oder verspäteten Überzeugung äußerte und sonderbarerweise, um dem Spotte, an welchen vielleicht niemand dachte, zuvorzukommen, Scharfsinn und Phantasie aufbot, Andersdenkende durch Witze in die Enge zu treiben. Wenn er vor Ferdinands hoher Kommission, vor der gemalten Bank der Spötter, stand, so lachte er den wunderlichen Käuzen ins Gesicht und freute sich über sie; denn er hielt sich wegen seines Rationalismus, auf den er sich gutmütig viel zu gut tat, halb und halb von der Gesellschaft, bis ihn plötzlich die zornige Ahnung überkam, daß es auch auf ihn gemünzt wäre, und der gute Lys, welcher Heinrich wirklich liebte und wohl wußte, daß er nicht vor dies Tribunal gehöre, mußte dann hundert Angriffe und Sarkasmen aushalten.

      Außer diesem Umstande verursachte noch ein anderer eine Ungleichheit zwischen beiden Freunden. Lys, der wie Erikson um sechs bis sieben Jahre älter war als Heinrich, liebte das Gluck bei den Weibern und sah, wo er es fand, ohne bisher ein Gefühl für Treue und bindende Dauer empfunden zu haben. Er war höflich und aufmerksam gegen sie, ohne für sie eine allzu große Achtung in sich zu beherbergen, während Heinrich zurückhaltend, scheu und fast grob gegen sie war und doch eine herzliche Achtung für jedes weibliche Wesen hegte, das sich nur einigermaßen zu halten wußte. So seltsam vertraut und sinnlich sein Umgang mit Judith gewesen, hatte ihn doch der Instinkt der Jugend und die ganze Lage der Dinge vor dem Äußersten bewahrt, und diese Rettung, auf die er sich nun mit der Koketterie der Zwanzigjährigen viel zugute tat, betrachtete er nun als ein zu erhaltendes Glück und als eine Erleichterung, dem reinern Andenken Annas leben zu können. Denn obgleich er nun auch bereits merkte, daß jenes jugendliche Gelübde ein Traum gewesen sei, so war er doch weit entfernt, irgendeine neue Liebe zu hoffen und nahe zu sehen, und seine Sehnsucht ging mit ihren Bildern und Träumen daher immer in die Vergangenheit zurück. Dies gab seiner Denkungsart etwas Zartes und Edles, welches er wirklich fühlte und ihn über sich selbst täuschte.

      Wenn daher Ferdinand die Weiber beurteilte wie ein Kenner eine Sache, wenn er in galanten, eleganten und ausgesuchten, ja frivolen Dingen, Gerätschaften, Gesprächen und Gebräuchen sich gefiel, wenn er wirklich auf ein Abenteuer ausging oder von einem solchen erzählte, so wurde Heinrich in seiner Gesinnung betroffen und verlegen. Ferdinand besaß ein mit einem Schlosse versehenes Album, in welches er alle seine Liebesabenteuer in verschiedenen Ländern gezeichnet hatte. Man erblickte die bald empfindsamen, bald leichtfertigen Schönen in den verschiedensten Lagen, bald schmollend, zornig, weinend, bald übermütig und zärtlich in Ferdinands Armen, diesen aber immer mit der größten Sorgfalt ähnlich gemacht bis auf die Kleidungsstücke, und nicht zu seinem Nachteile, während den zornigen und schmollenden Schönen durch allerlei Schabernack, entblößte Waden oder triviale Faltenlagen in den Gewändern weniger ein Reiz als ein Anflug von Lächerlichkeit und Erniedrigung gegeben war. Dies Buch konnte Heinrich nicht ausstehen; sein Freund schien ihm darin sich selbst herabgewürdigt zu haben; aber weit entfernt, mit ihm darüber zu disputieren oder den Sittenrichter zu spielen, lächelte er vielmehr dazu. Anders als in den religiösen Fragen, wo er die Existenz seines Bewußtseins auf dem Spiele glaubte, zwang er sich hier, die Art und Weise anderer gelten zu lassen und sie sogar anzuerkennen. Es war ein Zeichen seiner gänzlichen geistigen Unschuld; denn bei mehr Erfahrung hätte das Verhältnis gerade umgekehrt sein müssen.

      Aber alles zusammengenommen bewirkte, daß Heinrich glaubte, sich seinen eigenen Weg in jeder Hinsicht freihalten zu müssen, und für Ferdinands künstlerisches Beispiel unzugänglich wurde, zumal in dessen fertiger und bewußter Tüchtigkeit etwas von der Keckheit und Erfahrungsreife, von dem Liebesglücke Ferdinands zu liegen schien.

      Sonst waren die drei, Lys, Erikson und Heinrich, die besten Freunde von der Welt, und jeder gab seinen Charakter in der unbefangensten Weise dem andern zum besten. Sie waren um so lieber und unzertrennlicher zusammen, als noch ein besonderes gemeinsames Band sie vereinigte. Jeder von ihnen stammte aus einer Heimat, wo germanisches Wesen noch in ausgeprägter und alter Feste lebte in Sitte, Sprachgebrauch und persönlichem Unabhängigkeitssinne; alle drei waren von dem Sonderleben ihrer tüchtigen Heimat abgefallen und zu dem großen Kern des beweglichen deutschen Lebens gestoßen, und alle drei hatten dasselbe, erstaunt und erschreckt über dessen Art, in der Nähe gesehen. Schon die Sprache, welche der große Haufen in Deutschland führt, war ihnen unverständlich und beklemmend; die tausend und aber tausend »Entschuldigen Sie gefälligst, Erlauben Sie gütigst, Wenn ich bitten darf, Bitt’ um Entschuldigung«, welche die Luft durchschwirrten und bei den nichtssagendsten Anlässen unaufhörlich verwendet wurden, hatten sie in ihrem Leben nie und in keiner anderen Sprache gehört, selbst das »Pardon Monsieur« der höflichen Franzosen schien ihnen zehnmal kürzer und stolzer, wie es auch nur in dem zehnten Falle gebraucht wird, wo der Deutsche jedesmal um Verzeihung bittet. Aber durch den dünnen Flor dieser Höflichkeit brachen nur zu oft die harten Ecken einer inneren Grobheit und Taktlosigkeit, welche ebenfalls ihren eigentümlichen Ausdruck hatten. Sie erinnerten sich, niemals, weder in ihrer Heimat noch