Готфрид Келлер

Gesammelte Werke von Gottfried Keller


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herzlos verlassen. Weder mit den persönlichen Vorzügen noch mit den Reichtümern jenes Treulosen begabt, fühle ich dennoch mich unaufhaltsam getrieben und gezwungen, das Glück herauszufordern, mich an die Stelle des Verschwundenen zu drängen und mit meiner Hand der Verlassenen ein leidenschaftlich erregtes, aber dauerhaftes und treues Herz anzubieten! – Ich bin ein Silberschmied und am Rhein zu Hause; meine Eltern sind mir schon früh gestorben, so daß ich von Jugend auf allein in der Welt stand. Aber nachdem ich in Arbeit, Musik und Lustigkeit viele sorgenvolle und lustige, klangvolle Jahre zugebracht, fiel mir von weiter Verwandtschaft her das Erbe eines schönen, frommen und nährenden Heimwesens zu, durch den Schutz der gebenedeiten Jungfrau. Ich hatte nun reichlicher zu leben und durfte, einigen künstlerischen Neigungen folgend, mit denen ich versehen bin, auf einige Jahre hierherkommen, um in dieser gut katholischen Stadt mein Handwerk durch etwas gute Bildnerei verbessern zu lernen. Die vorgesetzte Zeit ist nun vorüber, ich kehre nächstens an den schönen Strom zurück, wo Kirchen, Klöster und vornehme Prälaten meine Arbeiten begehren. Mein Gut liegt zwischen zwei uralten Städtchen am sonnigen Abhang, aus dem Hause tritt man in den Garten und schaut den goldenen Rheingau hinauf und hinunter, Türme und Felsen schwimmen in bläulichem Dufte, durch welchen sich das glänzende Wasser zieht; hinter dem Hause legt sich der edle, einträgliche Wein, der mir Gut und Freude bringt, an den aufsteigenden Berg, und oben steht eine Kapelle unserer lieben Frau, die weit über die Gauen, Wälder und in die Berge hineinschaut und sich ins letzte Abendrot taucht. Dicht daneben habe ich ein kleines Lusthäuschen gebaut und unter demselben einen kleinen Keller in den Felsen gehauen, wo stets ein Dutzend Flaschen klaren Weins liegen. Wenn ich nun einen neuen kunstreichen Kelch fertig habe, so steige ich, eh ich ihn inwendig vergolde, hier hinauf, und nachdem ich der Jungfrau meinen Dank abgestattet für ihre Hilfe bei der Arbeit, probiere und weihe ich das Gefäß in dem luftigen Häuschen und leere es drei-, auch wohl viermal auf das Wohl aller Heiligen und aller unschuldigen frohen Leute. Ich fahre dies hier an, weil ich damit meine Schwäche bekenne, daß ich nämlich bis jetzt ein bißchen viel Wein getrunken habe, zwar nie so viel, daß ich nicht jenen Berg wieder allein hätte hinuntergehen können, so steil er auch ist. Meine Silberarbeit, Musik und Wein sind meine einzige Freude gewesen und meine schönsten Tage die sonnigen Kirchentage der Mutter Gottes, wenn ich zu ihrem Preise auf dem Chore der benachbarten Kirchen spielte, während unten am belaubten und bekränzten Altare meine Gefäße glänzten. Ein klingendes und singendes Weinräuschchen an heiterer Pfaffentafel, in Refektorien oder in schön gebohnten, duftenden Pfarrhäusern war dann der Gipfel des vergnügten Daseins. – Aber seit einiger Zeit sehnten sich meine Lippen auch nach einem andern Tranke, es war mir immer, als möchte ich die unsichtbare Himmelskönigin einmal küssen, und wenn ich die Bilder, die ich von ihr in Silber oder Elfenbein machte, zu küssen mich gewaltsam bekämpfen mußte, bat ich die schöne Gottesfrau schmerzlich, mir aus meiner Not zu helfen. – Da habe ich dich bei dem Feste gesehen, ärmste, schönste Agnes, und sogleich war es mir, als hätte die Jungfrau selbst deine Gestalt angenommen, mir zur Freude und meinem Silber, meinem Elfenbein zu Vorbild und Richtschnur; denn was ich bislang an zartem Gebilde in Traum und Wachen vergeblich gesucht und angestrebt, das sah ich nun plötzlich lebendig vor mir! Ich wußte nicht drängte es mich zuerst, zu Stift und Griffel zu greifen, um deine kostbare Erscheinung hastig dem edlen Metalle einzugraben, oder dich mit dem Schwure zu umschließen, daß ich dich nun und immerdar mir aneignen und auf Händen tragen wolle, das lichte Seelchen, das in deiner Gestalt wohnt, in Frömmigkeit küssend! Kommst du mit mir in meine Heimat, so soll die Zeit des Weines für mich vorüber sein und die Zeit der Liebe und Schönheit beginnen! Das Land ist schön und fromm und fröhlich, Ruhe und Heiterkeit sollen dich und deine geehrte Mutter umgeben, indessen jeder Punkt deines Daseins und deiner Erscheinung ein Gegenstand meiner immerwährenden Verehrung sein wird. Zahlreiche Kapellen und Kirchlein unserer lieben Frau, die aus allen lauschigen Winkeln, auf Bergen und im Strome glänzen, stehen bereit, deine sonstigen Wünsche und Anliegen und meine Dankgebete für die eine Gnade deines Besitzes aufzunehmen.«

      Als der Gottesmacher seine Rede in schöner und einnehmender Erregtheit geendet und, Agnesens Hand ergreifend, sie mit seinen lebhaften Äuglein, die in gemütvollem poetischem Feuer funkelten, anblickte, wollte die Mutter mit diplomatischer Gebärde das Wort ergreifen; allein ihre Tochter, welche während der Zeit ihr prächtiges Auge mit melancholischem Lächeln auf die Erde gerichtet hatte, richtete sich jetzt auf, unterbrach die Alte und erwiderte mit einem freien und vollen Blicke auf den Rheinländer, indem sie ihm die Hand ließ:

      »Ja, ich will dein sein, mein lieber Freund! Du hast mir Ehre erwiesen und Trost gebracht, und deine schöne Musik hat ein helles Licht in meinem verwirrten Gemüte verbreitet! Und indem ich überlege, wie ich es dir am besten und wahrsten danken kann, fühle ich wohl und fühle es gern, daß es am besten mit meinem verlassenen Selbst geschieht, das nun nicht mehr verlassen ist! Ohne zu forschen, ob deine Neigung fest und dauernd sei, will ich mich mit all der Sehnsucht meiner verschmähten Liebe unter den Schutz deines fröhlichen Herzens flüchten und so zugleich das Unheil einer neuen Verschmähung verhüten. Ich will nicht rückwärts schauen und nur fühlen, daß ich mit meiner einen Kraft liebe und wiedergeliebt werde. Sollte es mir geschehen, daß ich einmal den Namen des Verschwundenen statt des deinigen ausspreche, so sei mir nicht böse, ich will dich dafür zweimal ans Herz drücken! Was den Wein betrifft, so bitte ich dich, wegen meiner nicht einen Becher weniger zu trinken! Dieser goldene Schelm hat mir weh getan, und ich habe ihn schmerzlicherweise dafür liebgewonnen; ich sah, daß an seinen Quellen ehrliche Freude, Herzlichkeit und Artigkeit wohnen; jene Stunden zwischen den Myrten und Orangen, obgleich ich sie nie zurückwünsche, sind wie ein unauslöschliches Märchen in meinem Gedächtnis, wie ein schmerzlich süßer Traum, welchen ich zwischen neuen, unbekannten und doch vertrauten treuherzigen Gestalten geträumt.

      Aber noch eines muß ich sagen. In die vielen Kirchen und Kapellen am Rheine werde ich nicht eintreten! Ich habe in meiner Not um den Ungetreuen zu der fabelhaften Frau im Himmel gefleht, und sie hat mir nicht geholfen! Oder ich habe um Ungehöriges und Sündliches gefleht; dann aber dünkt es mich, daß ein wahres göttliches Wesen hiezu niemals verlocken kann. Als ich noch hoffte, den schlimmen Ferdinand mein zu nennen, wußte ich, daß er nichts glaubte und im stillen über mein Vertrauen zur Jungfrau lächelte. Ich war darüber bekümmert und gedachte in meiner Kindheit, ihn noch gut katholisch zu machen. Jetzt, wo seine Entfernung und sein selbstsüchtiger Verrat mir seine Grundsätze doppelt verdächtig und verhaßt machen sollten, fühle ich mich seltsamerweise zu denselben hingezogen, ja ich wünsche zuweilen, wie wenn ich nach seinem Beifall lüstern wäre, daß er es wissen möchte!

      Zürne nicht hierüber, liebster frommer Gottesmacher! Ich will dir kein Ärgernis geben, sondern dein gehorsames und treues Haus- und Bergfräulein sein! Ich will fromm deiner Trauben pflegen und dir jeden Becher kredenzen, den du trinkst!«

      Die Zuhörer waren höchlich verwundert über diese Reden; die Mutter bekreuzte sich dreimal, indem sie sowohl über Agnesens Beredsamkeit als über den Inhalt ihrer Worte sich entsetzte, und sie wollte ein lautes Lamentieren beginnen. Aber sie wurde wieder unterbrochen durch den Gottesmacher, welcher, nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt, erwiderte:

      »Ich hätte allerdings nicht vermutet, daß meine ehrwürdige, von frommen Meistern gesetzte Musik ein Licht dieser Art in einem jugendlichen Frauenhaupte aufstecken und eine solche anmutige Beredsamkeit erzeugen würde! Doch die Wege des Herrn sind wunderbar! möchte ich fast sagen, wenn nur dieses Sprichwort hier besser angewendet wäre!

      Ich bin in dem andächtigen Glauben an Gott und seine Heiligen erzogen, und insbesondere das Bild der Maria hat mich von Kindheit auf in seiner Milde und Schönheit angelacht. Ihr Kultus hat mich zur Kunst begeistert und mir Brot gegeben, als ich arm, verlassen und unwissend war; sie war mir Mütterchen, Geliebte, göttliche Fürbitterin, Muse in Bild und Tönen, und überdies belebte sie wie eine allgegenwärtige Göttin die Fluren meiner schönen Heimat. Aus der Bläue des Himmels, auf goldenen Wolken, im Glänzen des Gewässers, im leuchtenden Grün der Wälder, auf den Blumensternen, auf den roten Rosen lächelte mir die unsichtbare Himmelsfrau sichtbar entgegen und weckte ein süßes Sehnen in meiner Brust. Jetzt ist mir beinahe, als wäre dies Sehnen gestillt, auch weiß ich gar wohl, daß derlei katholische Dinge von aufgeklärten oder auch nur unbefangenen Leuten nicht mehr geglaubt werden; aber warum wollen wir die selige Menschgöttin unserer Jugendzeit,