Готфрид Келлер

Gesammelte Werke von Gottfried Keller


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Tannenholz; sondern man nennt diese Gegenstände schlechtweg eine Wiege, einen Tisch und einen Sarg, und erst wenn sie ihre vergängliche Bestimmung erfüllt haben, erinnert man sich wieder an das Holz, aus welchem sie gemacht, und man sagt beim Anblicke ihrer Trümmer Dies ist altes Tannenholz, lasset es uns verbrennen; alles zu seiner Zeit!

      Ihre Zeit hat auch die Rose. Wer wird, wenn sie erblüht, um sie herumspringen und rufen He! dies ist nichts als Pottasche und einige andere Stoffe, in den Boden damit, auf daß der unsterbliche Stoffwechsel nicht aufgehalten werde! Nein, man sagt Dies ist zurzeit eine Rose für uns und nichts anderes, freuen wir uns ihrer, solange sie blüht!

      Während Schiller, der idealste Dichter einer großen Nation, seine unsterblichen Werke schrieb, konnte er nicht anders arbeiten, als wenn eine Schublade seines Schreibtisches gänzlich mit faulen Apfeln angefüllt war, deren Ausdünstung er begierig einatmete, und Goethe, den großen Realisten, befiel eine halbe Ohnmacht, als er sich einst an Schillers Schreibtisch setzte. So niederschlagend dieser ausgesuchte Fall für alle verklärten und übernatürlichen Idealisten sein mag, so wird während des Genusses von Schillers Geistestaten deswegen niemand an die faulen Apfel denken oder mit besonderer Aufmerksamkeit bei ihrer Erinnerung verweilen.

      Aber der Professor konnte sich von der Vorstellung des ununterbrochenen aktiven und passiven Verhaltens des Gehirnes und der Nerven, als des hervorbringenden lebendigen Ackergrundes, niemals trennen zugunsten des Hervorgebrachten, der moralischen Frucht, als ob eine Ähre und eine Erdscholle nicht unzweifelhaft zwei Dinge, zwei Gegenstände wären.

      Das kam daher, daß er jedesmal auf diesem Punkte einer kleinen Verwirrung anheimfiel, welche seine Begeisterung für seinen materiellen Gegenstand anrichtete und in welcher er ein wenig zu jener großen Schule derer gehörte, die das Wesentliche vom Unwesentlichen nicht zu unterscheiden wissen; denn in dem Augenblicke, wo es sich um eine moralische Welt handelt, hört die Materie, so fest jene an diese geschmiedet ist, auf, das Höchste zu sein, und nach dem Edleren muß man trachten, sonst wird das, was man schon hat, blind und unedel.

      Es reizte Heinrich, auch in dieser Frage die Welt seinem Gotte, zwar immer in dessen Namen, unabhängig gegenüberzustellen und einen moralischen freien Willen des Menschen, als in dessen Gesamtorganismus begründet und als dessen höchstes Gut, aufzufinden. Sogleich sagte ihm ein guter Sinn, daß, wenn auch dieser freie Wille ursprünglich in den ersten Geschlechtern und auch jetzt noch in wilden Völkerstämmen und verwahrlosten einzelnen nicht vorhanden, derselbe sich doch einfinden und auswachsen mußte, sobald überhaupt die Frage nach ihm sich einfand, und daß, wenn Voltaires Trumpf »Wenn es keinen Gott gäbe, so müßte man einen erfinden!« viel mehr eine Blasphemie als eine »positive« Redensart war, es sich nicht also verhalte, wenn man dieselbe auf das Dasein des freien Willens anwende, und man vielmehr nach Menschenpflicht und – recht sagen müsse Wenn es bis diesen Augenblick wirklich keinen freien Willen gegeben hätte, so wäre es »des Schweißes der Edlen« wert, einen solchen zu erringen, hervorzubringen und seinem Geschlechte für alle Zeiten zu übertragen.

      Gegenüber den materialistischen sowohl als den mystischen Gegnern des freien Willens, den Leuten von der Gnadenwahl, steht die rationelle Richtung, die Vernunftgläubigkeit von Gottes Gnaden, die Bekennerin des bestimmten und unbeschränkten freien Willens, göttlichen Ursprungs, unzweifelhafter Allmacht und der untrügliche Richter seiner selbst. Aber diese Richtung hegt, bei diesem Anlasse, ebensowenig Achtung vor dem Körperlich-Organischen und dessen bedingender Kontinuität als die Materialisten von der gröbsten Sorte vor dem vermeintlichen Abstraktum, und ihr absoluter rationalistischer freier Wille ist ein kleiner Springinsfeld, dessen Leben, Meinungen und Taten eben auch nicht weiter reichen, als es gelegentlich allerlei Umstände erlauben wollen. Heinrich, welcher seinen bisherigen Meinungen nach ganz dazu angetan war, sich zu dieser Fahne zu schlagen, hatte jetzt schon zuviel Aufmerksamkeit und Achtung für das Leibhafte und dessen gesetzliche Macht erworben, als daß er es unbedingt getan hätte. Vielmehr geriet er auf den natürlichen Gedanken, daß das Wahrste und Beste hier wohl in der Mitte liegen dürfte, daß innerhalb des ununterbrochenen organischen Verhaltens, der darin eingeschachtelten Reihenfolge der Eindrücke, Erfahrungen und Vorstellungen, zuinnerst der moralische Fruchtkern eines freien Willens keime zum emporstrebenden Baume, dessen Äste gleichwohl wieder sich zum Grunde hinabbögen, dem sie entsprossen, um dort unablässig aufs neue Wurzeln zu schlagen.

      Diesen Prozeß, sagte er sich, kann man am füglichsten mit einer Reitbahn vergleichen. Der Boden derselben ist das Leben dieser Welt, über welches es gilt hinwegzukommen auf gute Manier, und kann zugleich den festen derben Grund aller Materie vorstellen. Das wohlgeartete und geschulte Pferd ist das besondere, immer noch materielle Organ, der Reiter darauf der gute menschliche Wille, welcher jenes zu beherrschen und zum freien Willen zu werden trachtet, um auf edlere Weise über jenen derben Grund wegzukommen; der Stallmeister endlich mit seinen hohen Stiefeln und seiner Peitsche ist das moralische Gesetz, das aber einzig und allein auf die Natur und Eigenschaften des Pferdes gegründet ist und ohne dieses gar nicht vorhanden wäre, nicht »gedacht werden könnte«, wie die Juden sagen. Das Pferd aber würde ein Unding sein, wenn nicht der Boden da wäre, auf welchem es traben kann, so daß also sämtliche Glieder dieses Kreises durch einander bedingt sind und keines sein Das ein ohne das andere hat, ausgenommen den Boden der stummen und blinden Materie, welcher daliegt, ob jemand über ihn hinreite oder nicht. Nichtsdestoweniger gibt es gute und schlechte Reitschüler, und zwar nicht allein nach der körperlichen Befähigung, sondern auch, und zwar vorzüglich, infolge des freien entschlossenen Zusammennehmens. Den Beweis dafür liefert das erste beste Reiterregiment, das uns über den Weg reitet. Die tausend Mann Gemeine, welche keine Wahl hatten, mehr oder weniger aufmerksam zu lernen, sondern durch eine eiserne Disziplin in den Sattel gewöhnt wurden, sind alle gleich zuverlässige und brave Reiter, keiner zeichnet sich besonders aus, keiner bleibt zurück, und um das Bild von einem tüchtigen und gesunden Schlendrian des gemeinen Lebens vollständig zu machen, kommen ihnen die zusammengedrängten und in die Reihe gewöhnten Pferde auf halbem Wege entgegen, und was der Reiter etwa versäumen sollte, tut unfehlbar sein Organ, das Pferd, von selbst. Erst wo dieser Zwang und Schlendrian oder das bitter Notwendige der Masse aufhört und wo die Freiheit beginnt, beim hochlöblichen Offzierkorps, gibt es sogenannte gute Reiter, schlechtere Reiter und vorzügliche Reiter; denn diese haben es in ihrer Gewalt, über das geforderte Maß hinaus mehr oder weniger zu leisten. Das Ausgezeichnete, Kühne, was der Gemeine erst im Drange der Schlacht, in unausweichlicher Gefahr und Not unwillkürlich und unbewußt tut, die großen Sätze und Sprünge, übt der Offizier alle Tage zu seinem Vergnügen, aus freiem Willen und gewissermaßen theoretisch; doch fern sei es von ihm, daß er deswegen allmächtig sei und nicht trotz allem Mut und aller seiner Kunst von einem erschreckten Pferde einmal abgeworfen oder von seinem allzu überlegenen Tiere bewogen werden könne, durch ein anderes Sträßlein zu reiten, als er eigentlich gewollt hat. Ob nun ein gutes Reiterregiment denkbar wäre, das aus lauter Offizieren bestände, das heißt aus Leuten, welche ihren freien Willen zur Grundlage ihrer Tüchtigkeit machten, und in Betracht, daß Bürgerwehrkavallerie, wo dies der Fall ist, nicht viel taugt, dies zu beantworten gehört nicht hierher, da jedes Gleichnis hinkt, welches man über seine Bestimmung hinaus verfolgt.

      Wird der Steuermann, fuhr Heinrich fort, zufälliger Stürme wegen, die ihn verschlagen können, der Abhängigkeit wegen von günstigen Winden, wegen schlechtbestellten Fahrzeuges und unvermuteter Klippen, wegen verhüllter Leitsterne und verdunkelter Sonne sagen »Es gibt keine Steuermannskunst!« und es aufgeben, nach bestem Vermögen sein vorgenommenes Ziel zu erreichen?

      Nein, gerade die Unerbittlichkeit, aber auch die Folgerichtigkeit, Notwendigkeit der tausend ineinandergreifenden Bedingungen in ihrer Klarheit müssen uns reizen, das Steuer nicht fahrenzulassen und wenigstens die Ehre eines tüchtigen Schwimmers zu erkämpfen, welcher in möglichst grader Richtung quer durch einen stark ziehenden Strom schwimmt. Nur zwei werden nicht Über solchen Strom gelangen derjenige, welcher sich nicht die Kraft zutraut und sich von den Wellen widerstandslos fortreißen läßt, und der andere, welcher vorgibt, er brauche gar nicht zu schwimmen, er wolle hinüberfliegen in der Luft, er wolle nur noch ein Weilchen warten, bis es ihm recht gelegen und angenehm sei!

      Dann kam Heinrich noch einmal auf den Satz zurück, wiederholte ihn und befestigte ihn recht in sich Die Frage nach einem gesetzmäßigen freien Willen ist zugleich in ihrem