sonst gekümmert hatte und der auch um niemanden sich gekümmert. Heinrichs Bilder waren noch alle da mit den übrigen Siebensachen, und es kostete wenige Mühe und noch weniger Mittel, derselben habhaft zu werden. Er verpackte sie im Gasthofe, sie nahmen dieselben gleich mit, und Heinrich sah mit angenehmen Gefühlen wenigstens den wesentlicheren Teil seines ehemaligen Besitztumes wieder beisammen und in einem guten Hause aufgehoben, wo er selbst so gern zeitlebens geblieben wäre.
Zwölftes Kapitel
Was der Graf vorausgesagt, geschah nun wirklich. Heinrich schlug in einem hellen Gemache seine Werkstatt auf, zwei große ausgespannte Tücher luden mit ihrer weißen Fläche Auge und Hand ein, sich darauf zu ergehen, die alten Bilder und Kartons hingen stattlich an der Wand, und seine Studien lagen ihm bequem zur Hand. Man kann eine Übung lange Zeit unterbrochen haben und dennoch, wenn man sie zu guter Stunde plötzlich wieder beginnt mit einem neuen Bewußtsein und vermehrter innerer Erfahrung, etwas hervorbringen, das alles übertrifft, was man einst bei fortgesetztem Fleiße und hastigem Streben zuwege gebracht; eine günstigere Sonne scheint über dem spätern Tun zu leuchten. So ging es jetzt Heinrich; er machte zwei große Forstbilder, einen Laubwald und einen Nadelwald, welche er sich als freundlichen grünen Schmuck für ein lichtes kleines Gemach dachte oder für ein hübsches Treppenhaus, damit da etwa im Winter oder in den Stadtmauern einige Grünigkeiten seien. Die Motive nahm er weislich aus den forstreichen Umgebungen des Landsitzes und komponierte nicht viel darin herum, vielmehr fühlte er einmal das Bedürfnis, das Vorhandene wesentlich darzustellen und es für jedes offene Auge erfrischend und wohlgefällig zu machen. Er überhastete sich nicht und schleppte oder faulenzte nicht, sondern führte Zug um Zug fort, bei der Beschäftigung mit dem einen, ohne zerstreut zu sein, an den nächsten und an das Ganze denkend, und indem es ihm wohl gelang, freute er sich dessen und lachte darüber, ohne im geringsten seinen Entschluß zu ändern und etwa neue Hoffnungen auf dergleichen zu setzen. Indem er so sich mit etwas abgab, das er auf immer zu verlassen gedachte und nur aus äußeren Nützlichkeitsgründen noch einmal vornahm, behandelte er diese Arbeit doch mit aller Liebe und Aufmerksamkeit, und diese ruhige und klare Liebe gab ihm fast mühelos die rechten Mittel ein, so daß unversehens die Bilder eine Farbe bekamen, als ob er von jeher gut gemalt hätte und die Gewandtheit und Zweckmäßigkeit selber wäre. Dies machte ihm das größte Vergnügen, und er bereute gar nicht, daß es das erste und letzte Mal sein sollte, wo er ein guter Maler war, vielmehr dachte er schon während dieser Arbeit an die neue Zukunft, und während er zweckmäßige und besonnene klare Farben aufsetzte, gingen ihm allerhand Gedanken von der Zweckmäßigkeit des Lebens überhaupt durch den Kopf.
Der Graf war kein Gelehrter, was man so heißt, aber er kannte den Wert und die Bedeutung aller Disziplinen und wußte für das, wessen er bedurfte, sich das Wesentliche sogleich zu beschaffen und anzueignen, und immer war bei ihm guter Rat und ein gesundes menschliches Urteil zu finden. Demgemäß waren auch seine Büchervorräte und andere Hilfsmittel beschaffen, so daß Heinrich ganz ordentliche Studien betreiben konnte in den Mußestunden und den langen Nächten; denn er war jetzt immer wach und munter, und eigentlich war ihm alles Mußezeit oder alles Arbeitszeit, er mochte machen, was er wollte. Er studierte jetzt verschiedene Geschichtsvorgänge ganz im einzelnen in ihrer faktischen und rhetorischen Dialektik, und fast war es ihm gleichgültig, was für ein Vorgang es war, überall nur das eine und alles sehend, was in allen Dingen wirkt und treibt, und eben dieses eine packen lernend, wie die jungen Füchse eine Wachtel.
Neben diesen erheblichen Sachen fand er noch in dem Hause die beste Gelegenheit, manche gute und nützliche Dinge zu lernen, an welche er bisher nicht gedacht und deren Mangel er erst jetzt bemerkte. Obgleich der Graf seiner sogenannten radikalen Gesinnung und abweichender Handlungen wegen in der ganzen Gegend bei Standesgenossen und anderen Respektspersonen verschrieen und verhaßt war, so hielt er doch einen gewissen Verkehr mit ihnen aufrecht und zwang sie, während seiner Gegenwart wenigstens menschlich und möglichst anständig zu sein, wobei ihn seine Pflegetochter mit geringer Mühe und großem Erfolge unterstützte. So kam es, daß der Gehaßte und Verleumdete doch überall willkommen war und die verkommenen übelwollenden Gesichter gegen ihren Willen aufheiterte, so wie sie sich auch etwas darauf zugute taten, in sein Haus zu kommen, und trotz ihres Nasenrümpfens es nie verfehlten, wenn er von Zeit zu Zeit die Pflichten der Nachbarschaft übte. Heinrich, als aus den mittleren alten Schichten des Volkes entsprungen, hatte bis jetzt dergleichen nicht geahnt oder geübt. Wen er nicht leiden konnte, mit dem ging er nicht um und war gewohnt, seine Abneigung wenig zu verhehlen sowie auch jede Unverschämtheit sogleich zu erwidern und nichts zu ertragen, was ihn nicht ansprach. Diese Volksart, an sich gut und tugendhaft, ist in der gebildeten Gesellschaft hinderlich und unstatthaft, da in dieser wegen der Ungeschicklichkeit im Kleinen das Große und Wichtige gehemmt und getötet wird. Das Volk braucht nicht duldsam zu sein im Kleinen, weil es das Große zu ertragen versteht; jene aber, welche dieses ohnehin nicht haben oder es selten ertragen können, sind darauf angewiesen, für ihre Armut und Fratzenhaftigkeit Nachsicht und Duldung zu verlangen und gegenseitig zu üben, so daß hieraus ein starker Teil der guten Sitte entspringt, die sich sogar zu veredeln und etwas Tieferes zu werden fähig ist. So lernte jetzt Heinrich nach dem Beispiele des Grafen sich auf seinem Stuhle ruhig zu verhalten, die Fratzen, die Rotznasen und die Erbsenschneller zu ertragen und sich gegen jedermann artig zu benehmen, und was er erst mehr heuchelte, als in guten Treuen empfand, lernte er nach und nach in der besten Meinung von innen heraus tun und befand sich um vieles wohler dabei, ersehend, wie in jedem Geschöpfe etwas ist, was wert ist, daß man einige Liebe auf es wirft und ihm einigen Wert verleiht. Zuletzt schämte er sich sogar bitterlich seines frühern Übermutes und fühlte, wie weit mehr man Gefahr läuft, den Armen und Widersinnigen gleich zu werden, wenn man sie befehdet und zwackt, als wenn man sie gewähren läßt; denn sie haben etwas Dämonisches und Verheerendes an sich.
In einem ganz sonderlichen Verhältnisse zu dem Hause stand der katholische Pfarrer des Ortes, welcher so oft in Gesellschaft des Grafen erschien, daß er für eine Art von Hausfreund gelten konnte. Er hatte eine dicke Mopsnase, welche durch einen Studentenhieb in zwei Abteilungen geteilt war, zum Denkzeichen einer großen Vornäsigkeit in der Jugend. Der Mund war sehr aufgeworfen und sinnich, und die Tonsur hatte sich allmählich ziemlich vergrößert, obgleich er sie immer noch streng in ihrer kreisrunden Form hielt, da er hierin gar keinen Spaß verstand und die Reitbahn, welche sich an seinem Hinterhaupte dem Blicke darbot, durchaus für eine Tonsur angesehen wissen wollte. Dieser Mann war nun vorzüglich drei Dinge ein leidenschaftlicher Esser und Trinker, ein großer religiöser Idealist und ein noch größerer Humorist. Und zwar war er letzteres in dem Sinne, daß er alle drei Minuten lang das Wort Humor verwendete und es zum Maßstabe und Kriterium alles dessen machte, was irgendwie vorfiel oder gesprochen wurde. Alles, was er selbst tat, redete und fühlte, gab er zunächst für humoristisch aus, und obgleich es dies nur in den minderen Fällen war und mehr in einem maßlosen Klappern und Feuerwerken mit gesuchten Gegensätzen, Bildern und Gleichnissen bestand, so ging aus diesem Wesen dennoch ein gewisser Humor heraus, welcher die Leute lachen machte, besonders wenn der Graf, Dorothea und Heinrich, welche in ihrem kleinen Finger, wenn sie ihn bewegten, mehr Humor hatten als der Pfarrer in seinem Gemüte, zusammensaßen und er ihnen mit ungeheurem Wortschwall erklärte, was Humor sei und wie sie von dieser Gottesgabe auch nicht eines Senfkörnleins groß besäßen. Er las eifrigst alle humoristischen Schriften und alle, welche vom Humor handelten, und hatte sich ein ordentliches System über dieses Feuchte, Flüssige, Ätherische, Weltumplätschernde, wie er es nannte, aufgebaut, das ziemlich mit seiner Theologie zusammenfiel. Cervantes führte er ebensooft im Munde wie Shakespeare, aber er fand den größten Gefallen an den unzähligen Prügeln, welche Sancho und der Ritter bekommen, an den Einseifungen, Prellereien und derben Sachen aller Art. Die göttlichen feineren Dinge sah und verstand er gar nicht oder wollte sie nicht sehen, besonders wenn sie wie auf ihn gemünzt waren, was dann zu den Versicherungen seines eigenen Humors den ergötzlichsten Gegensatz bildete. So sah er in dem Abenteuer in der Höhle des Montesinos nur eine äußere komische Schnurre; den feinen Humor, der in dem langen Seile liegt, welches ganz nutzlos abgerollt wird, indessen der Ritter schon im Anfange die Augen schließt, und insbesondere die Art, wie er sich nachher vielfältig in Hinsicht des in der Höhle Gesehenen benimmt,