Dazwischentreten von Geld. Großgrundbesitz und Wucher sind von ihren Anfängen an eng miteinander verwandt, und das Wucherkapital – heute die hohe Finanz genannt – und der Großgrundbesitz haben vielfach miteinander aufs beste harmoniert. Auch in Rom waren die Großgrundbesitzer Wucherer, soweit man ihre Geschichte zurückverfolgen kann, und der Kampf zwischen Patriziern und Plebejern war nicht bloß ein Kampf zwischen Aristokratie und Demokratie um politische Rechte, nicht bloß ein Kampf zwischen Großgrundbesitz und Bauernschaft um die staatlichen Allmenden, sondern auch ein Kampf zwischen Wucherern und Verschuldeten.
Indes war die Produktivität der bäuerlichen Arbeit und daher der Überschuß, den sie erzeugte, so gering, daß die Ausbeutung großer Menschenmassen dazu gehörte, den Ausbeutern erheblichen Reichtum zu verschaffen. Solange die römischen Aristokraten nur die Bauern des Gebiets um Rom herum auswucherten, mochten sie diese dadurch sehr bedrücken, für jene selbst schaute nicht allzuviel dabei heraus. Dagegen mußten die Geschäfte der römischen Wucherer um so glänzender florieren und um so bedeutendere Reichtümer einbringen, je mehr ihnen die ganze damalige Kulturwelt erschlossen wurde.
Damit trat aber auch eine Arbeitsteilung ein. Die Bewucherung der Nachbarn war kein Geschäft, das besondere Aufmerksamkeit erforderte. Das konnten die Aristokraten neben der Bewirtschaftung ihrer Güter und der Besorgung der Staatsverwaltung mühelos besorgen. Dagegen ging es doch schwer, Spanien und Syrien, Gallien und Nordafrika auszuwuchern und daneben noch die Geschäfte eines so ungeheuren Staates zu leiten. Das Wuchergeschäft sondert sich nun immer mehr vom Regierungsgeschäft. Neben dem Amtsadel, der die Provinzen durch seine Funktionen als Feldherr und Landvogt ausraubte, dabei freilich auch sich durchaus nicht scheute, Geldgeschäfte zu machen, bildete sich mm eine besondere Klasse der Wucherkapitalisten, die auch eine besondere ständische Organisation erhielten, als die Klasse der „Ritter“. Je zahlreicher aber wieder die Klasse von Geldkapitalisten wurde, die sich ausschließlich mit Geldgeschäften abgaben, desto mannigfaltiger konnten diese werden.
Ein Hauptmittel, die Provinzen zu plündern, bestand darin, daß man das Eintreiben ihrer Steuern pachtete. Noch gab es keine Bureaukratie, der man das Einziehen der Steuern hätte übergeben können. Der bequemste Weg dafür war der, daß man diese Funktion für eine Provinz einem römischen Geldmann übergab, der den geforderten Steuerbetrag an den Staat ablieferte und zusah, wie er sich dafür schadlos hielt. Es war ein Steuersystem ähnlich dem, das heute noch vielfach im Orient herrscht und ihn verwüstet. Denn der Pächter begnügt sich natürlich nicht mit dem, was ihm zusteht. Die Provinzialen sind ihm wehrlos preisgegeben und werden bis zum Weißbluten geschröpft.
Sehr oft passiert es aber nun, daß einzelne Städte oder tributpflichtige Könige die ihnen auferlegten Summen nicht zahlen können. Da sind wieder die römischen Geldmänner bereit, sie ihnen vorzuschießen, natürlich gegen entsprechende Verzinsung. So machte zum Beispiel der große Republikaner Junius Brutus „ausgezeichnete Spekulationen, indem er dem König von Kappadokien und der Stadt Salamis Geld borgte; mit dieser schloß er eine Anleihe zu einem Zinsfuß von 48 Prozent ab“. (Salvioli, a. a. O., S. 42) Das war kein ungewöhnlich hoher Zinsfuß. Es kamen, wie Salvioli in seinem Buche berichtet, Zinsen für die Anleihen von Städten bis zu 75 Prozent vor. Bei besonderem Risiko stieg der Zinsfuß noch höher. So borgte das große Bankhaus des Rabirius zur Zeit Cäsars dem vertriebenen König Ptolemäos von Ägypten sein ganzes Vermögen und das seiner Freunde gegen 100 Prozent Zinsen. Freilich verspekulierte sich Rabirius dabei, denn als Ptolemäos wieder in die Regierung gekommen war, zahlte dieser nichts und ließ den unbequemen Gläubiger, der den ganzen ägyptischen Staat als seine Domäne behandeln wollte, ins Gefängnis werfen. Indes entkam der Finanzmann nach Rom, und Cäsar gab ihm Gelegenheit, ein neues Vermögen zu erwerben durch Lieferungen für den afrikanischen Krieg.
Das bildete wieder eine andere Methode, Geld zu machen. Die Tribute der unterworfenen Provinzen, die in den römischen Staatskassen zusammenflossen, waren ungeheuer. Aber die ewigen Kriege kosteten auch wieder Geld. Sie wurden ein Mittel, wodurch den Geldmännern selbst von jenem Teile der in den Provinzen gemachten Beute, der ihnen nicht direkt zufiel, sondern an den Staat abgeliefert wurde, wieder erhebliche Summen in ihre unergründlichen Taschen zuflossen. Sie übernahmen Kriegslieferungen für den Staat – ein Mittel, das heute noch große Vermögen schafft. Sie gingen aber auch dazu über, den eigenen Staat selbst zu bewuchern, wenn dieser gelegentlich in einer Geldklemme war, was nicht selten vorkam, denn je mehr er aus den Provinzen zu ziehen vermochte, desto mehr wuchsen die Ansprüche aller möglichen Staatsparasiten an ihn. Große Summen muten mitunter dem Staate vorgeschossen werden, größere, als sie ein einzelner besaß. Da halfen Aktiengesellschaften aus, die sich bildeten. Wie der Wucher die erste Form der kapitalistischen Ausbeutung darstellt, so bildet er die erste Funktion von Aktiengesellschaften.
Die Geldleute Roms „gründeten Gesellschaften, entsprechend unseren Aktienbanken, mit Direktoren, Kassierern, Agenten usw. Zur Zeit Sullas bildete sich die Gesellschaft der Asiani mit einem so ansehnlichen Kapital, daß sie dem Staate 20.000 Talente borgen konnte, 100 Millionen Mark. Zwölf Jahre später ließ sie diese Schuld auf 120.000 Talente anwachsen ... Die kleinen Kapitalien wurden in Aktien der großen Gesellschaften angelegt, so daß, wie Polybius (VI, 17) sagt, die ganze Stadt (Rom) an den verschiedenen finanziellen Unternehmungen beteiligt war, die einige hervorragende Firmen leiteten. Die kleinsten Ersparnisse hatten ihren Anteil au den Unternehmungen der Publicani, das ist an der Pachtung der Steuern und der Staatsländereien, Unternehmungen, die außerordentliche Profite abwarfen.“ (Salvioli, a. a. O., S. 40, 41.)
Das alles mutet uns sehr modern an, und es bezeugt in der Tat, daß die römische Gesellschaft zur Zeit der Entstehung des Christentums bis an die Schwelle des modernen Kapitalismus gelangt war, und doch waren die Wirkungen jenes antiken Kapitalismus ganz anderer Art als die des modernen.
Die Methoden, die wir hier beschrieben, sind so ziemlich dieselben, durch die der moderne Kapitalismus begründet wurde, jene, die Marx als die der „ursprünglichen Akkumulation“ gekennzeichnet hat: Enteignung des Landvolkes, Plünderung der Kolonien, Sklavenhandel, Handelskriege und Staatsschulden. und in der neueren Zeit wie im Altertum finden wir auch dieselben zerstörenden und verheerenden Wirkungen dieser Methoden. Aber der Unterschied zwischen der neueren Zeit und dem Altertum ist der, daß dieses nur die zerstörenden Wirkungen des Kapitalismus zu entwickeln wußte, indes der Kapitalismus der neueren Zeit aus der Zerstörung die Bedingungen erzeugt zum Aufbau einer neuen, höheren Produktionsweise. Sicher ist die Methode der Entwicklung des modernen Kapitalismus nicht minder barbarisch und grausam als die des antiken; aber sie schafft doch die Grundlage zu einem Aufstieg über dieses grausame, zerstörende Wirken hinaus, indes der antike Kapitalismus darauf beschränkt blieb.
Den Grund davon haben wir schon im vorigen Kapitel kennen gelernt. Was der moderne Kapitalismus durch Plünderung und Erpressung und andere Gewalttat zusammenrafft, dient nur zum geringsten Teile dem Genießen, wird zum größten Teile benutzt, neue, höhere Produktionsmittel zu erzeugen, die Produktivität der menschlichen Arbeit zu steigern. Der Kapitalismus der antiken Welt fand die Bedingungen dazu nicht vor. Soweit er in die Produktionsweise eingriff, wußte er nur die Arbeit des freien Bauern durch die des Sklaven zu ersetzen, die auf den entscheidenden Gebieten der Produktion einen technischen Rückschritt bedeutete, eine Verminderung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, eine Verarmung der Gesellschaft.
Soweit die Gewinne der römischen Geldmänner ebenso wie die Beute der römischen Generäle und Beamten nicht wieder zu neuen Wuchergeschäften, also neuen Plünderungen dienten, konnten sie nur einerseits im Genießen sowie bei der Herstellung von Genußmitteln verschwendet werden – und zu den Genußmitteln sind nicht bloß Paläste, sondern auch Tempel zu rechnen –, andererseits konnten diese Gewinne, wenn wir von den paar Bergwerken absehen, dazu verwendet werden, Grundeigentum zu erwerben, das heißt freie Bauern zu enteignen und durch Sklaven zu ersetzen.
Die Plünderung und Verheerung der Provinzen diente also nur dazu, den Geldmännern Roms die Mittel zu geben, die Verminderung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit durch Verbreitung der Sklaverei noch rascher vorangehen zu lassen, als es sonst der Fall gewesen wäre. Die Verwüstung hier wurde nicht durch einen ökonomischen Aufschwung dort wett gemacht, wie das beim heutigen Kapitalismus wenigstens zeitweise der Fall ist, sondern die Verwüstung hier beschleunigte