Siebe Josephine

Die Oberheudorfer in der Stadt


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nach und rissen auch aus. Hui! waren sie weg, dorthin und dahin gelaufen, bis die Schulglocke ertönte – denn in Oberheudorf waren die Osterferien kürzer als in der Stadt –, und Hans Rumpf, der Nachtwächter, wieder mal sagen konnte: »Na, endlich sind sie wieder untergebracht; so'ne Schule ist doch was Gutes, namentlich wenn die Kinder erst drin sind!«

      Muhme Lenelies hatte von allem Lärm und Geschrei nichts vernommen. Sie saß still in ihrem etwas abseits liegenden Häuschen, und ihre guten, sorgenden Gedanken gingen ihrem Pflegesohn nach: jetzt war er da, jetzt fuhr er durch den Wald, nun wohl den Hohlweg entlang, und als ihre Uhr die Stunde anzeigte, da vor den Reisenden das Städtchen aufsteigen mußte, sagte die alte Frau still und fromm vor sich hin: »Gottes Segen mit dir, mein Herzensjunge!«

Die Grünmützen von Feldburg.

       Inhaltsverzeichnis

      »So, da wär'n wir ja,« sagte Kaspar auf dem Berge, als die ersten Stadthäuser vor seinen Blicken auftauchten. »Sitz gerade Bub und halt die Nase hoch! In der Stadt muß man reputierlich auftreten, sie heißen's hier Manieren.«

      Er selbst reckte und streckte sich nach dieser Ermahnung, schnalzte mit der Peitsche und fuhr sehr stolz mit seinem mit Säcken, Butter und Eierkästen beladenen Wäglein in der Stadt ein. Er wollte es den Leuten da schon zeigen, was der Gastwirt aus Oberheudorf für ein gewichtiger Mann sei.

      Friede schaute sich mit großen Augen um. Da war er nun in der Stadt, die er nur einmal im Winterschnee gesehen hatte, und in der er jetzt viele, viele Jahre wohnen sollte. Das Herz klopfte ihm stark, und er sah jedes Haus, an dem der Wagen vorbeirollte, so genau an, als müßte er gleich in alle Stuben hineinsehen und die Menschen betrachten, die darin wohnten. In der Vorstadt gab es freundliche, helle Häuser, die in großen oder kleinen Gärten lagen; je weiter in die Stadt hinein aber Friede kam, desto enger wurden die Straßen. Da gab es schmale Gäßlein mit uralten, spitzgiebeligen Häusern; ein dicker, grauer Turm erhob sich am Ende der Vorstadt, an ihm lehnte noch ein Stück zerbröckelte Stadtmauer, und darüber hatte der Efeu ein immergrünes Tuch gespannt.

      »Ich fahre dich vors Organistenhaus,« erklärte Kaspar auf dem Berge, »es hat ein besseres Ansehen, wenn einer angefahren kommt.« Er klopfte dem Buben freundlich auf die Schulter: »Gelt ja, wir zwei beide wollen es den Städtern schon zeigen, was zwei rechte Oberheudorfer sind!«

      Freundlich nickte er nach rechts und links und brummte dann: »Das ist nu so'ne dumme städtische Mode, daß sie nicht recht guten Tag sagen können.«

      Das Wäglein rasselte und rumpelte durch die Straßen; nun ging es ein wenig bergauf, der Johannesplan war erreicht, und die alte Stadtkirche mit ihren schönen Portalen und den spitzen, schlanken Türmen erhob sich vor den beiden.

      Über den Kirchplatz liefen just um diese Stunde eine Anzahl Buben, ein paar davon in Friedes Alter, die andern etwas größer. Sie trugen alle grasgrüne Mützen und sahen an diesem Morgen alle miteinander aus, als wären sie ganz aufgelegt zu lustigen Streichen. Es waren Gymnasiasten, die an dem letzten Ferientag sich mit ein paar Lehrern und Mitschülern auf dem Schulhof treffen wollten, um einen Ausflug zu machen.

      Die Buben kamen sehr eilfertig heran; sie rannten beinahe Kaspar auf dem Berge mit seinem Wagen um.

      »He, nicht so hitzig!« schrie Kaspar auf dem Berge. »Sagt mir lieber, Buben, wo wohnt der Herr Organist Wunderlich? Ich bringe den Friede aus Oberheudorf.«

      Die Buben blieben lachend stehen, und ein schlanker, langer Junge sagte spöttisch und keck: »Nein, wie nett, daß Sie aus Oberheudorf sind.«

      »Gelt ja, das ist schon was,« nickte der dicke Wirt. »Aber du meine Güte, warum habt ihr denn alle so grasgrüne Mützen auf? Die reinen Laubfrösche!«

      »Holla!« schrieen ein paar Buben empört, »wir sind keine Laubfrösche, wir sind Gymnasiasten.«

      »Ih nä,« rief der Wirt vergnügt und gab Friede einen kleinen Rippenstoß, »sieh doch, Friede, das sind nun alles deine Kameraden. Gib'n die Hand, sieh nicht so dämlich drein, Bub!«

      »Was, der Bauernbengel will ein Gymnasiast sein?« rief der lange Junge wieder.

      »Na freilich,« Kaspar grinste vergnügt, »der Friede Heller ist's doch aus Oberheudorf, der Muhme Lenelies ihr Friede. Gelt, ihr habt euch schon recht auf'n gefreut?«

      Die Jungen brachen in ein lautes Gelächter aus. Der dicke Wirt und der blonde Junge, der vor Verlegenheit so rot wie ein Bündel Radieschen geworden war, kam ihnen höchst spaßhaft vor. Sie schauten einander an, keiner sagte etwas zum andern, aber jeder dachte wie der andere: »Wir machen einen Ulk.« Sie brüllten auf einmal so laut, daß es über den ganzen Kirchplatz dröhnte: »Der Friede Heller aus Oberheudorf ist da, der Friede Heller ist da, hurra, hurra, hurra!«

      »Friede Pfennig,« schrie ein kleiner, kecker Bursche, »'n Pfennig ist mehr als 'n Heller,« und die andern echoten: »Friede Pfennig, Friede Pfennig!«

      »Aufgepaßt, da kommt der Herr Direktor!« sagte plötzlich der erste Sprecher und deutete auf einen langen, dünnen Mann, der vom Gymnasium herkam. Im Nu rissen alle Buben die Mützen vom Kopf und schrieen: »Guten Morgen, Herr Direktor!«

      Flugs riß Kaspar seine Kappe auch ab, Friede bekam einen Puff, weil er die seine nicht schnell genug abnahm, und während der Bube nur schüchtern sein guten Morgen sagte, brüllte der Oberheudorfer Wirt laut: »Allerschönsten guten Morgen, Herr Drektor, un hier is nu der Friede Heller aus Oberheudorf, und ich bin der Wirt Kaspar auf dem Berge von der himmelblauen Ente.«

      »Das ist – – un – – unverschämt,« schrie der mit »Herr Drektor« Angeredete. »Was fällt Ihnen ein, Sie – – Sie – – Kaspar, Sie!«

      Die Buben kreischten vor Lachen: »Friede Pfennig, steig aus, Friede Pfennig, steig aus, sag dem Herrn Direktor guten Tag!«

      Friede hatte rasch gemerkt, daß die Buben ihren Spott mit ihm und seinem Beschützer trieben, er zupfte diesen ängstlich am Ärmel und bat: »Wir wollen weiterfahren!«

      »Nä,« rief der, »fällt mir nicht ein, un wenn das zehnmal ein Drektor ist, anschrein lasse ich mich nicht. Sie, Herr Drektor,« brüllte er, »ich bin der Wirt zur himmelblauen Ente aus Oberheudorf.«

      »Das ist un – – unverschämt,« rief der andere wieder, »denken Sie denn, Sie können mich foppen mit Ihrer himmelblauen Ente? Was fällt Ihnen denn ein, Sie grober Bauer, Sie!«

      »Nä, nu schlägt's dreizehn!« Kaspar auf dem Berge war jetzt wirklich wütend, er fuchtelte mit seiner Peitsche in der Luft herum und donnerte: »So, Schulmeister woll'n Sie sein und benehmen sich gegen einen rechten Mann so? Nä, hier bleibt mir der Friede nicht; Muhme Lenelies heult sich ja die Augen aus, wenn sie das erfährt, Herr Drektor!«

      »Sie sind ein ganz unverschämter, grober Bauer,« kreischte der andere wieder – er konnte vor Zorn kaum noch reden – »der Kuckuck ist Ihr Direktor!«

      »Herr Direktor, Herr Direktor,« jauchzten die Jungen, »Friede Pfennig, steig aus, gib ihm die Hand, sonst schilt Muhme Lenelies!«

      Der Lärm, das Schreien, Lachen und Schimpfen wäre wohl noch eine Weile fortgegangen, wenn nicht der Organist Wunderlich aus seinem Haus gekommen wäre. Da stoben plötzlich die grünbemützten Gymnasiasten davon, und der sogenannte Direktor eilte beinahe ängstlich auf den alten Herrn zu und rief kläglich: »Jetzt verhöhnt mich sogar der grobe Bauer dort!«

      »Ich bin kein grober Bauer, potzwetter noch mal, Sie – Bohnenstange; ich bin Kaspar auf dem Berge, Wirt zur himmelblauen Ente.«

      Von der Schulmauer her, hinter welche die Gymnasiasten geflüchtet waren, kam ein wahrer Lachsturm. »Kaspar auf dem Berge bringt Friede Pfennig, haha, huhu! Herr Direktor, hahaha!«