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Inhalt
Sie tat es aus Neid und Missgunst
»Ich weiß, was du willst«, sagte Dr. Matthias Brunner liebevoll zu Lump, dem Deutschen Drahthaar, der in der Stube des Arztehepaars unruhig hin und her lief. »Aber bei diesem Wetter schickt man im wahrsten Sinne des Wortes keinen Hund vor die Tür.«
Den ganzen Tag schon versteckten sich die Schwarzwaldhügel hinter schwarzen Wolken. Und das mitten im Sommer.
»Schade«, meinte Ulrike Brunner seufzend mit bedauerndem Blick in den strömenden Regen. »Ich hätte gern nach dem schweren Essen noch einen Spaziergang gemacht.«
Der Landdoktor rückte auf der Holzbank näher an seine Frau heran, legte den Arm um ihre Mitte, die mit den Jahren etwas voller geworden war, und zog sie an sich.
»Ich finde es ganz gemütlich hier«, sagte er mit der Zärtlichkeit, die er auch noch nach mehr als dreißig Ehejahren für sie empfand. »Wann gestatten uns meine Patienten schon einmal eine solch ungestörte Zweisamkeit?« Er hob sein Glas, wollte gerade mit seiner Frau anstoßen, als das Telefon klingelte.
»So viel zur ungestörten Zweisamkeit«, erwiderte Ulrike trocken. »Bestimmt ein Notfall.«
*
Ein paar Minuten später saß der Landarzt in seinem Kombi und fuhr zu Familie Häferle. Die Tankstelle und das Wohnhaus der Häferles lagen nur wenige Kilometer vom Praxishügel entfernt, wie die Ruhweiler die Anhöhe nannten, auf der der Landarzt lebte und praktizierte.
Schwarze Wolken hingen wie prall gefüllte Säcke über dem Tal und verschluckten jedes Licht. Feiner Nieselregen erschwerte die Sicht. Selbst die Umrisse der nächsten Bäume lösten sich auf. Matthias musste sich konzentrieren.
Monika Häferle war schon seit Jahren seine Patientin, eine ziemlich anstrengende Patientin, wie er sich eingestehen musste. Wie oft hatten ihr Mann oder ihre älteste Tochter Angela ihn nachts aus dem Bett gerufen, weil sie angeblich einen starken Asthmaanfall hatte oder einen neuen Schmerzschub im Knie. Und wie oft hatte sich dieser Notruf als recht übertrieben herausgestellt. Die Mittfünfzigerin und Mutter zweier Töchter verfiel gern in Selbstmitleid. Was jedoch noch schlimmer war: Sie neigte dazu, ihre Familie durch ihre Krankheiten an sich zu binden. Aber auch solche Patienten brauchten ihn, das wusste Matthias nur zu gut, weniger in medizinischer als in psychologischer Hinsicht.
Mit brennenden Augen starrte der Landdoktor durch den Feuchtigkeitsschleier und versuchte, ein Licht auszumachen. Nach der nächsten Kurve sah er dann das Haus der Häferles hell erleuchtet an der Landstraße liegen.
Er war noch nicht aus seinem Wagen gestiegen, als sich schon die Haustür öffnete. Axel Häferle eilte ihm entgegen. Über seinen Schlafanzug hatte er eine Hose gezogen. Der rechte Ärmel seiner Jacke wehte wie eine Fahne im böigen Wind. Der Tankstellenbesitzer hatte vor zwei Jahren bei Holzarbeiten den Arm verloren.
»Danke, dass Sie so schnell gekommen sind, Herr Doktor«, begrüßte ihn der Ehemann seiner Patientin. »Monika keucht und keucht … Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen.«
»Keine Sorge, Ihrer Frau wird es gleich besser gehen«, beruhigte er den aufgeregten Mann.
Dann eilte er die Treppe hinauf ins Obergeschoss, aus dem bereits die gequälten Atemzüge seiner Patientin an sein Ohr drangen.
Monika Häferle saß aufrecht im Bett. Sie kämpfte um Luft. Die rechte Hand presste sie auf den Hals. Ihr Gesicht war bleich, in ihren Augen stand blanke Angst. Und gerade diese Angst war es, die den Asthmapatienten das Atemholen zusätzlich erschwerte. Das wusste der Landdoktor aus seiner langjährigen Erfahrung.
Auf der Bettkante saß Angela, die älteste Tochter des Ehepaares. Beschützend hatte sie den Arm um die zuckenden Schultern ihrer Mutter gelegt. In ihren großen nebelgrauen Augen stand die gleiche Angst geschrieben.
»Ich kann nicht mehr, und ich will nicht mehr«, stieß Monika zwischen den heftigen Atemzügen hervor.
Der Luftmangel hinderte sie daran weiterzureden, aber Matthias wusste genau, was sie ihm sagen wollte. Es war nicht das erste Mal, dass seine Patientin andeutete, ihrem Leben ein Ende machen zu wollen, womit sie ihre Familie stets in helle Panik versetzte. Auch jetzt sahen ihr Mann und Angela ihn Hilfe suchend an.
»Frau Häferle«, sagte er in resolutem Ton, »so leichtfertig geht man nicht mit seinem Leben um. Asthma ist eine weit verbreitete Krankheit, und wenn Sie …« Den Rest des Satzes verschluckte er.
Wie oft schon hatte er ihr gesagt, bei einem nahenden Anfall sofort das Spray zu benutzen. Wahrscheinlich war es wieder leer. Rasch zog er eine Spritze auf, ergriff den Arm der Keuchenden, desinfizierte die Einstichstelle mit Alkohol und verabreichte ihr die Spritze. Danach fühlte er ihren Puls und nickte zufrieden. Er beobachtete, wie sich die Kranke langsam entspannte, ihr Atem kam weniger keuchend. Mit Monika Häferle entspannten sich auch zusehends deren Tochter und Ehemann.
»Möchten Sie etwas trinken?«, bot ihm Angela an.
»Vielen Dank, aber das ist nicht nötig«, lehnte er lächelnd ihr Angebot ab und wandte sich wieder an ihre Mutter. »Darf ich Ihr Nachthemd öffnen, um Sie abzuhorchen?«
Monika Häferle nickte stumm.
»Brrr, ist das kalt«, sagte sie in kläglichem Ton, als er ihr das Stethoskop auf die Brust setzte.
»Was können wir nur tun, um solch schwere Anfälle zu verhindern?«, erkundigte sich Angela besorgt.
Die Dreiundzwanzigjährige war ein auffällig schönes Mädchen mit langen blonden Locken.
Wie eine zarte Elfe, dachte der Landarzt auch in diesem Moment wieder. Er wusste jedoch, dass sie innerlich sehr stark war. Denn auf ihr lastete schon seit zwei Jahren die ganze Arbeit.
»Was ist denn hier los?«, klang es da vom Flur her ins Schlafzimmer hinein.
Gleich darauf erschien ein schwarzer verstrubbelte Kopf in der Tür.
»Geh wieder ins Bett, Jenny«, sagte Angela weich. »Mama hatte einen Anfall, aber jetzt ist alles wieder gut.«
Die jüngere der beiden Schwestern blinzelte in die Runde. Ihre aufgeworfene Oberlippe gab dem hübschen Gesicht der Sechzehnjährigen einen trotzigen Ausdruck.
»O Mann«, maulte sie verschlafen, drehte sich um und tappte davon.
»Ganz wichtig ist, dass Ihre Mutter jeden Tag regelmäßig ihre Medizin und das Spray nimmt«, beantwortete er nun Angelas Frage, ohne Jennys rüdes Verhalten zu kommentieren. »Ein Urlaub am Meer könnte auch Wunder wirken«, fügte er hinzu.
»Angela kann doch nicht weg von