Christine von Bergen

Der Landdoktor Staffel 3 – Arztroman


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ja, mir war gerade nach Reden, als ich deinen roten Luftballon sah. Und das las, was du geschrieben hast. Es passte zum Thema. Dich hat meine Salbe überzeugt. Das freut mich, aber der Witz ist ja, dass ich gerade vor ein paar Stunden die Grenzen meiner Produkte erkannt habe.«

      Überraschung lag in seinem Blick. »Du musst doch auch vorher erkannt haben, dass es Krankheiten gibt, denen mit homöopathischen und pflanzlichen Mitteln oder Handauflegen nicht beizukommen ist.«

      Sie seufzte. »Ja, natürlich, aber das strebe ich ja auch nicht an.«

      »Bist du davon ausgegangen, dass die ganze Menschheit gesund ist oder nur hin und wieder unter einem Zipperlein leidet?« Sein Zwinkern war liebevoll, versöhnlich.

      Sie lachte leise. »Womöglich habe ich mich in diese Traumwelt hineingeträumt. Als ich mich zur Kräuterpädagogin ausbilden ließ, sprach niemand von todbringenden Krankheiten.«

      »Die es aber gibt«, erinnerte er sie mit vielsagendem Blick.

      Sie nickte, schwieg, konnte selbst nicht glauben, wie eng ihre Sichtweise geworden war, wie starr ihre Ansichten. Sie hatte sich geradezu zu einer fanatischen Vertreterin der Naturheilkunde entwickelt.

      »Schau mal, ich sehe die Sache so«, fuhr Thomas fort, ohne schulmeisterhaft zu wirken. »Die Welt ist kunterbunt, voller Angebote, unendlich reich an Möglichkeiten. Wir können daraus wählen. Warum wollen wir uns festlegen? Alles ist möglich, alles zu seiner Zeit. Stell weiterhin deine Produkte her. Sie wirken ja. Das habe ich selbst festgestellt. Akzeptier jedoch gleichzeitig, dass es auch andere Wege der Heilung gibt. Alles hat seine Berechtigung. Die Leute, die sich für deine Naturmedizin interessieren, nehmen vielleicht parallel dazu auch noch Pharmazeutika. Was ich sagen will, sieh es nicht so eng.« Er grinste sie an, verwegen, jungenhaft. »Mach es wie ich. Als Verfechter und Verkäufer chemischer Keulen habe ich mich jetzt entschlossen, deine Salbe in mein Apothekensortiment aufzunehmen. Mit deiner Einwilligung natürlich. Vielleicht dazu auch noch ein paar Teemischungen aus deiner Kräuterküche, Kräutersaft, Seifen, Öle …«

      Sie konnte ihn nur fassungslos ansehen.

      Welch ein Mann! Seine Reife, seine Einstellung, seine Art, sie auszudrücken, und seine Bereitschaft zur Akzeptanz, all das verblüffte sie. Nein, es imponierte ihr, berührte sie.

      Er lachte. »Überrascht?«

      »Ja.«

      »Gewöhn dich dran. Wir haben in der kommenden Zeit öfter miteinander zu tun. Geschäftlich. Aber von der geschäftlichen Schiene abgesehen, bin ich auch für freizeitliche Aktivitäten offen.«

      Da konnte sie nicht anders, sie strahlte ihn an. Dieses Strahlen kam aus ihrem Herzen, das sie ihm immer mehr öffnete.

      Und wieder verfingen sich ihre Blicke. Thomas lächelte zurück. Warm und weich. Und während sich ihre Blicke berührten, begann die Energie zwischen ihnen zu fließen, Schwingungen erfüllten die laue Luft, ein Knistern wie von Elektrizität. Ein Wunder.

      Wie lange diese Augenblicke anhielten, hätten beide später nicht mehr sagen können. Augenblicke, die sie einander näher brachten, in denen etwas zwischen ihnen wuchs, dem sie noch keinen Namen hätten geben können.

      »Magst du Himbeeren?«, fragte Thomas in diese unglaublich aufgeladene Atmosphäre hinein.

      Sie nickte, dankbar dafür, dass er sie gerade davor bewahrt hatte, etwas ganz Dummes zu tun: Einfach die Hand auszustrecken und sein Gesicht zu berühren.

      »Gern.«

      Er stand auf, pflückte eine Handvoll von den Sträuchern am Rande der Lichtung und ließ sich wieder neben ihr nieder.

      »Hier.« Beere für Beere gab er ihr zu essen.

      Mit geschlossenen Augen kostete sie deren süßen Geschmack. Und dann, ja dann spürte sie Thomas’ Lippen auf ihren, die die Tür zu ihrem Herzen für ihn endgültig öffneten.

      Sie küssten sich immer und immer wieder, voller Hingabe, voller Zärtlichkeit. Ihre Lippen spielten miteinander, liebkosten sich. Niemals zuvor war sie so geküsst worden, aber niemals zuvor hatte sie auch einen solchen Mann getroffen. Ihren Traummann.

      Später saßen sie Hand in Hand aneinander geschmiegt im Moos und nahmen die Geräusche und Düfte des Waldsommers mit allen Sinnen auf, das Brummen der Bienen, das Fächeln des Windes in den Baumwipfeln, den Ruf eines Kuckucks in der Ferne. Mit jeder Minute, die sie hier gemeinsam verbrachten, wuchs das gegenseitige Bedürfnis nach noch mehr Nähe zueinander.

      Wo sollte das nur hinführen?, fragte sich Claudia mit seligem Lächeln.

      *

      Über dem Ruhweiler Tal hing ein Sternenhimmel, wie ihn Claudia noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte. Hoch über dem Tannenwald wachte der Mond, bleichgolden und still, ein stummer Zuschauer, der den beiden jungen Menschen nachsah, wie sie über den Wiesenweg zurückgingen. Aus dem feuchten Gras am Ufer der Steinache entstieg ein würziger Duft. Die Zweige der Weiden tanzten über dem gurgelnden Wasser, auf dem die Himmelslichter wie ausgestreutes Silber reflektierten.

      Eng umschlungen gingen die beiden. Schweigend, die Nähe des anderen ganz intensiv in sich aufnehmend. Bewegungen, Atem, Geruch, Wärme. Irgendwann blieben sie stehen und schauten hoch zu den Sternen, als könnten sie in den funkelnden Punkten lesen, wie es mit ihnen weitergehen würde.

      »Ich möchte dich morgen wiedersehen«, sagte Thomas.

      »Ich dich auch.« Claudia spürte eine berauschende Leichtigkeit in sich. Niemals zuvor hatte sie sich einem Mann, den sie kaum kannte, so nah gefühlt. Und als er sie jetzt küsste, erwiderte sie diesen Kuss mit einer Leidenschaft, die sie selbst überraschte.

      *

      Wiesen, Wälder und Hügel verschmolzen mit der Dunkelheit, als sie an ihrem Haus ankamen. Die Sternenbilder hingen wie filigraner Schmuck aus glitzernden Kristallen am Himmel.

      Ein Abend wie für die Liebe geschaffen, dachte Claudia, aber sie wollte nichts beschleunigen. Zu viele Eindrücke, zu viele neue Einsichten hatte dieser Tag gebracht, der jetzt der Nacht Platz machte.

      Sie blieben vor ihrem Gartenzaun stehen.

      »Danke«, sagte sie. Dabei nahm sie Thomas’ Gesicht in beide Hände. Sie wusste, dass er in ihren Augen all die Zärtlichkeit lesen konnte, die sie für ihn empfand.

      Noch einmal hielten ihre Blicke einander fest.

      »Wofür bedankst du dich?«, fragte er mit hochgezogenen Brauen.

      »Für das Gespräch, für dein Zuhören, deine für mich einsichtigen Argumente, für …, für deine Küsse.«

      Mit gleichermaßen ungläubigem wie begeistertem Ausdruck schüttelte er den Kopf.

      »Du bist eine unglaubliche Frau«, sagte er dann. »Du bist eine ganz besondere Frau, ein ganz besonderer Mensch. Und ich hatte gedacht, du würdest mich zukünftig als Feind sehen und keinen Kontakt mehr zu mir haben wollen.«

      Sie lachte. »Dein rosaroter Luftballon hat Wunder vollbracht.«

      Er zwinkerte ihr zu. »So leicht zu bestechen?«

      »Nein.« Sie wurde ernst. »Deine Worte haben mich überzeugt.«

      »Ich glaube, die Diagnose von Dr. Brunner heute Morgen war der Anfang einer einsetzenden Entwicklung«, korrigierte Thomas sie. Dabei streichelte er ihr sanft über die Wange.

      »Mag sein«, gab sie ihm recht. »Dass ich jedoch danach mit dir darüber reden konnte, hat mir sehr geholfen und mich auch in meinen Gedanken weitergebracht.«

      »Zu zweit kommt man immer weiter als allein. Falls man sich ergänzt und nicht behindert.« Er gab ihr einen sanften Kuss auf die Lippen. »Und ich bin sicher, wir beide könnten uns gegenseitig weiterbringen, statt uns wie viele Paare gegenseitig zu behindern. Obwohl es zu Anfang anders ausgesehen hat.«

      Sie lachte. »Wie gut, dass es Krankheiten gibt«, scherzte sie. »Offene Wunden, Schilddrüse, Herz …«

      Da