nun da er am Gipfel angelangt ist, eröffnet sich vor ihm ungeheurer Blick. Hinter den abfallenden Bergen, den waldig und grün niedersinkenden Hügeln, liegt endlos eine riesige, metallen spiegelnde Scheibe, das Meer, das Meer, das neue, das unbekannte, das bisher nur geträumte und nie gesehene, das sagenhafte, seit Jahren und Jahren von Kolumbus und allen seinen Nachfahren vergebens gesuchte Meer, dessen Wellen Amerika, Indien und China umspülen. Und Vasco Nuñez de Balboa schaut und schaut und schaut, stolz und selig in sich das Bewußtsein eintrinkend, daß sein Auge das erste eines Europäers ist, in dem sich das unendliche Blau dieses Meeres spiegelt.
Lange und ekstatisch blickt Vasco Nuñez de Balboa in die Weite. Dann erst ruft er die Kameraden heran, seine Freude, seinen Stolz zu teilen. Unruhig, erregt, keuchend und schreiend klimmen, klettern, laufen sie den Hügel empor, starren und staunen und deuten hin mit begeisterten Blicken. Plötzlich stimmt der begleitende Pater Andres de Vara das Te Deum laudamus an, und sofort stockt das Lärmen und Schreien; alle die harten und rauhen Stimmen dieser Soldaten, Abenteurer und Banditen vereinigen sich zum frommen Choral. Staunend sehen die Indios zu, wie auf ein Wort des Priesters hin sie einen Baum niederschlagen, um ein Kreuz zu errichten, in dessen Holz sie die Initialen des Namens des Königs von Spanien eingraben. Und wie nun dieses Kreuz sich erhebt, ist es, als wollten seine beiden hölzernen Arme beide Meere, den Atlantischen und Pazifischen Ozean, mit allen ihren unsichtbaren Fernen erfassen.
Inmitten des fürchtigen Schweigens tritt Nuñez de Balboa vor und hält eine Ansprache an seine Soldaten. Sie täten recht, Gott zu danken, der ihnen diese Ehre und Gnade gewährt, und ihn zu bitten, daß er weiterhin ihnen helfen möge, diese See und alle diese Länder zu erobern. Wenn sie ihm weiter getreu folgen wollten wie bisher, so würden sie als die reichsten Spanier aus diesem neuen Indien wiederkehren. Feierlich schwenkt er die Fahne nach allen vier Winden, um für Spanien alle Fernen in Besitz zu nehmen, welche diese Winde umfahren. Dann ruft er den Schreiber, Andres de Valderrabano, daß er eine Urkunde aufsetze, welche diesen feierlichen Akt für alle Zeiten verzeichnet. Andres de Valderrabano entrollt ein Pergament, er hat es in verschlossenem Holzschrein mit Tintenbehälter und Schreibekiel durch den Urwald geschleppt, und fordert alle die Edelleute und Ritter und Soldaten auf – los Caballeros e Hidalgos y hombres de bien –, »die bei der Entdeckung des Südmeers, des Mar del Sur, durch den erhabenen und hochverehrten Kapitän Vasco Nuñez de Balboa, Gouverneur seiner Hoheit, anwesend gewesen sind«, zu bestätigen, daß »dieser Herr Vasco Nuñez es war, der als erster dieses Meer gesehen und es den Nachfolgenden gezeigt«.
Dann steigen die siebenundsechzig von dem Hügel nieder, und mit diesem 25. September 1513 weiß die Menschheit um den letzten, bisher unbekannten Ozean der Erde.
Gold und Perlen
Nun ist die Gewißheit gewonnen. Sie haben das Meer gesehen. Aber nun herab an seine Küste, die feuchte Flut fühlen, sie antasten, sie fühlen, sie schmecken und Beute raffen von ihrem Strand! Zwei Tage dauert der Abstieg, und um in Hinkunft den raschesten Weg vom Gebirge zum Meer zu kennen, teilt Nuñez de Balboa seine Mannschaft in einzelne Gruppen. Die dritte dieser Gruppen unter Alonzo Martin erreicht zuerst den Strand, und so sehr sind sogar die einfachen Soldaten dieser Abenteurergruppe schon von der Eitelkeit des Ruhms, von diesem Durst nach Unsterblichkeit durchdrungen, daß sogar der simple Mann Alonzo Martin sich sofort vom Schreiber schwarz auf weiß bescheinigen läßt, der erste gewesen zu sein, der seinen Fuß und seine Hand in diesen noch namenlosen Gewässern genetzt. Erst nachdem er so seinem kleinen Ich ein Stäubchen Unsterblichkeit eingetan, erstattet er Balboa die Meldung, er habe das Meer erreicht, seine Flut mit eigener Hand ertastet. Sofort rüstet Balboa zu neuer pathetischer Geste. Am nächsten Tage, dem Kalendertag des heiligen Michael, erscheint er, von bloß zweiundzwanzig Gefährten begleitet, an dem Strande, um selbst wie Sankt Michael, gewaffnet und gegürtet, in feierlicher Zeremonie Besitz von dem neuen Meere zu nehmen. Nicht sofort schreitet er in die Flut, sondern wie ihr Herr und Gebieter wartet er hochmütig, unter einem Baume ausruhend, bis die steigende Flut ihre Welle bis zu ihm wirft und wie ein gehorsamer Hund mit der Zunge seine Füße umschmeichelt. Dann erst steht er auf, wirft den Schild auf den Rücken, daß er wie ein Spiegel in der Sonne glänzt, faßt in eine Hand sein Schwert, in die andere die Fahne Kastiliens mit dem Bildnis der Mutter Gottes und schreitet in das Wasser hinein. Erst wie die Wellen ihn bis zu den Hüften umspülen, er ganz eingetan ist in dies große fremde Gewässer, schwingt Nuñez de Balboa, bisher Rebell und Desperado, nun treuester Diener seines Königs und Triumphator, das Banner nach allen Seiten und ruft dazu mit lauter Stimme: »Vivant die hohen und mächtigen Monarchen Ferdinand und Johanna von Kastilien, Leon und Aragon, in deren Namen und zugunsten der königlichen Krone von Kastilien ich wirklichen und körperlichen und dauernden Besitz nehme von allen diesen Meeren und Erden und Küsten und Häfen und Inseln, und ich schwöre, wenn irgendein Fürst oder anderer Kapitän, Christ oder Heide von welch immer einem Glauben oder Stand irgendein Recht auf diese Länder und Meere erheben wollte, sie zu verteidigen im Namen der Könige von Kastilien, deren Eigentum sie sind, jetzt und für alle Zeit, solange die Welt dauert und bis zum Tage des Jüngsten Gerichts.«
Alle Spanier wiederholen den Eid, und ihre Worte überdröhnen für einen Augenblick das laute Brausen der Flut. Jeder netzt seine Lippe mit dem Meerwasser, und abermals nimmt der Schreiber Andres de Valderrabano Akt von der Besitzergreifung und beschließt sein Dokument mit den Worten: »Diese zweiundzwanzig sowie der Schreiber Andres de Valderrabano waren die ersten Christen, die ihren Fuß in das Mar del Sur setzten, und alle probten sie mit ihren Händen das Wasser und netzten damit den Mund, um zu sehen, ob es Salzwasser sei wie jenes des andern Meeres. Und als sie sahen, daß dem so war, sagten sie Gott ihren Dank.«
Die große Tat ist vollbracht. Nun gilt es noch irdischen Nutzen zu ziehen aus dem heldischen Unterfangen. Bei einigen der Eingeborenen erbeuten oder ertauschen die Spanier etwas Gold. Aber neue Überraschung wartet ihrer inmitten ihres Triumphs. Denn ganze Hände voll kostbarer Perlen, die auf den nahen Inseln verschwenderisch reich gefunden werden, bringen ihnen die Indios heran, darunter eine, die »Pellegrina« genannt, die Cervantes und Lope de Vega besungen, weil sie die Königskrone von Spanien und England als eine der schönsten aller Perlen geschmückt. Alle Taschen, alle Säcke stopfen die Spanier voll mit diesen Kostbarkeiten, die hier nicht viel mehr gelten als Muscheln und Sand, und als sie gierig weiter fragen nach dem ihnen wichtigsten Dinge der Erde, nach Gold, deutet einer der Kaziken nach Süden hinüber, wo die Linie der Berge weich in den Horizont verschwimmt. Dort, erklärt er, liege ein Land mit unermeßlichen Schätzen, die Herrscher tafelten aus goldenen Gefäßen, und große vierbeinige Tiere – es sind die Lamas, die der Kazike meint – schleppten die herrlichsten Lasten in die Schatzkammer des Königs. Und er nennt den Namen des Landes, das südlich im Meer und hinter den Bergen liegt. Es klingt wie »Birù«, melodisch und fremd.
Vasco Nuñez de Balboa starrt der ausgebreiteten Hand des Kaziken nach hinüber in die Ferne, wo die Berge sich blaß in den Himmel verlieren. Das weiche, verführerische Wort »Birù« hat sich ihm sofort in die Seele geschrieben. Unruhig hämmert sein Herz. Zum zweitenmal in seinem Leben hat er unverhofft große Verheißung empfangen. Die erste Botschaft, die Botschaft Comagres von dem nahen Meere, sie hat sich erfüllt. Er hat den Strand der Perlen gefunden und das Mar del Sur, vielleicht wird ihm auch noch die zweite gelingen, die Entdeckung, die Eroberung des Inkareiches, des Goldlandes dieser Erde.
Selten gewähren die Götter …
Sehnsüchtigen Blickes starrt Nuñez de Balboa noch immer in die Ferne. Wie eine goldene Glocke schwingt das Wort »Birù«, »Peru«, ihm durch die Seele. Aber – schmerzlicher Verzicht! – er darf diesmal weitere Erkundung nicht wagen. Mit zwei oder drei Dutzend abgemüdeter Männer kann man kein Reich erobern. Also zurück erst nach Darien und später einmal mit gesammelten Kräften auf dem nun gefundenen Wege nach dem neuen Ophir. Aber dieser Rückmarsch ist nicht minder beschwerlich. Abermals müssen die Spanier sich durch den Dschungel