Sie bleiben!«, ordnete die Baronin an.
Barbara drückte sich verlegen wieder an ihren vorigen Platz.
Sie wäre weit lieber gegangen. Allzu oft war das Personal schon Zeuge dieser unerfreulichen Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Sohn geworden.
Patrick schluckte die Zurechtweisung hinunter und zog das Foto aus der Tasche.
»Ich habe dir ein Bild mitgebracht!«, sagte er und legte es vor seine Mutter.
Sie warf einen flüchtigen Blick darauf.
»Ach ja, hübsch ist sie, die kleine Nutte!«
»Mama!«, fuhr er wütend auf. Dann schluckte er nochmals und bemühte sich um einen gelassenen Ton. »Siehst du nicht, wie ähnlich mir Kitty ist?«
Wieder ein flüchtiger Blick, ein kurzes Zögern.
»Ein kleines blondes Mädchen – wie es Hunderte gibt! Das heißt gar nichts!
Er zog ein amtliches Dokument aus der Tasche.
»Hier. Weil du es ja nicht glauben willst: Die DNA-Prüfung, die es bestätigt, dass sie meine Tochter ist.«
Sie schob das Dokument zur Seite, ohne es anzusehen, und zuckte die Achseln.
»Viele hohe Herren haben sich mit billigen Mädchen eingelassen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass weder sie noch ihre Tochter hier willkommen sind. Oder von mir anerkannt werden.«
Patrick rumpelte aus seinem Sessel hoch, dass er umfiel und der Kaffee in seiner Tasse überschwappte und die hübsche, bestickte Decke beschmutzte. Sein Gesicht war ganz weiß, so traf ihn die Kränkung.
»Dann hast du mich heute zum letzten Mal gesehen«, sagte er leise. Seine Stimme zitterte.
Auch die Baronin war blass geworden. Trotzdem gelang ihr ein überlegenes Lächeln.
»Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass du bis zu deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag doch noch zu Verstand kommst!«
Er drehte sich um und stürmte ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer. Die Tür blieb hinter ihm offen. Sie hörte, wie seine Schritte auf dem langen Gang verklangen.
»Schließen Sie die Tür, Barbara«, befahl sie, »und machen Sie hier Ordnung!« Eine Stunde später trafen zwei Polizisten ein, um der Baronin Richter mitzuteilen, dass ihr Sohn, Patrick Freiherr von Richter, bei einem Autounfall tödlich verunglückt war.
*
Konstantin von Ferrer wartete nervös auf einen Anruf seines Vetters und Freundes. Warum meldete er sich noch immer nicht?! Es war doch hoffentlich nicht zu einem schwerwiegenden Eklat gekommen?! Er sorgte sich nicht nur um Patrick, er sorgte sich noch mehr um Daria und die kleine Kitty. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und rief auf Schloss Richthofen an.
Die Hausdame meldete sich am Telefon. Ihre Stimme klang verschnupft, und als er seinen Namen nannte, holte sie erschreckt Atem.
»Herr Dr. von Ferrer!« Sie flüsterte jetzt, als wolle sie verhindern, dass jemand mithörte. »Es ist etwas Grauenvolles passiert. Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen sagen darf, weil Sie auf Seiten von Baron Patrick sind. Aber Sie sollen doch wissen, dass uns allen hier die junge Dame und das kleine Mädchen unsäglich leidtun …«
»Das ist sehr nett von Ihnen, aber …!«
»Ich kann nicht länger mit Ihnen sprechen: Baron Patrick – er ist tödlich verunglückt. Es war wieder so ein Streit – oh, es ist zu schrecklich. Ich muss aufhören!« Und damit hängte sie auf.
Konstantin glaubte, dass der Boden unter seinen Füßen nachgab. Patrick, der vor Kurzem noch so gesund und munter bei ihm gewesen war! Nein, das durfte nicht wahr sein! Und doch …!
Mein Gott, was würde jetzt aus Daria und Kitty werden?!
Bestimmt teilte niemand ihnen etwas mit! Und wenn – dann auf herzlose Art!
Zumindest das musste er verhindern.
Er stürzte in das Büro von Dr. Veit und berichtete ihm in kurzen Worten von dem Unglück.
»Die arme junge Frau! Und das Kind!« Der alte Herr schüttelte mitleidig den Kopf. »Selbstverständlich müssen Sie sich um die beiden kümmern. Wenn ich irgendwie helfen kann, mit Rat und Tat – Sie wissen, dass ich das gern tue!«
»Danke!«, stieß Konstantin hervor und verließ eilig die Kanzlei. Vorsichtig fahren!, ermahnte er sich, als er in seinen schnellen Wagen stieg. Daria und Kitty brauchten ihn! Wer sonst kümmerte sich um die beiden?!
*
»Papi! Wann kommt Papi?«, nervte Kitty ihre Mutter.
»Ich weiß es nicht, mein Schatz. Aber er sagte, dass er so schnell, wie es nur geht, wiederkommt«, versicherte Daria zum hundertsten Mal und bemühte sich, ihre eigene Ungeduld und Sorge zu unterdrücken. Bestimmt war das Gespräch mit seiner Mutter wieder sehr unerfreulich …
Als es läutete, rief Kitty fröhlich: Papi! Und lief so schnell sie konnte zur Wohnungstür, um dem geliebten Papi zu öffnen. Doch das schaffte sie nicht: Sie reichte mit ihren drei Jahren noch nicht bis hinauf zur Türklinke.
Daria war ihr gefolgt und öffnete.
»Onkel Tantin!«, rief Kitty erfreut und setzte gleich hinzu
»Papi ist nicht da!«
Daria sah in das blasse, angestrengte Gesicht des Vetters und Freundes ihres Geliebten.
»Patrick …?«, flüsterte sie tonlos.
Konstantin schob sie beide ein wenig von der Wohnungstür weg und machte sie hinter sich zu. Dann legte er den Arm um Darias Schultern und nahm Kitty an der Hand.
»Kommt«, sagte er leise und führte sie ins Wohnzimmer. Dort drückte er Daria in einen Sessel.
»Patrick?«, wiederholte sie und war so bleich, dass er glaubte, sie würde ohnmächtig werden.
»Er ist mit dem Wagen verunglückt. Es kam wieder zu einer Auseinandersetzung, und vermutlich war er sehr aufgeregt.«
»Er ist – « Sie brachte das Wort nicht über die Lippen.
Auch er konnte es nicht aussprechen und nickte nur.
Sie schloss die Augen und schien vor Schmerz wie erstarrt.
»Mami! Mami!« Kitty zupfte sie am Ärmel.
Mein Gott, das Kind! Konstantin setzte sich und nahm Kitty auf den Schoß.
»Du musst jetzt sehr lieb zu Mami sein«, begann er. Kitty sah ihn verständnislos an. Sie war doch immer lieb! »Dein Papi musste sehr weit weg.«
»Wann kommt er wieder?«, fragte sie. Papi war manchmal ein paar Tage verreist …
»Er – kommt nicht wieder. Er – ist im Himmel!« Guter Gott, wie erklärte er es dem Kind, ohne ihm zu sehr wehzutun?!
»Beim lieben Gott? Und den Engeln? Warum?«
Ja, warum?!
»Weil – weil – im Himmel sind so viele kleine Kinder, deren Eltern noch auf der Welt sind und – da brauchten sie jemanden, der gut mit kleinen Kindern – umgehen kann. So wie dein Papi.«
Kitty dachte nach. Dann fragte sie mit dünnem Stimmchen: »Und ich?«
»Bei dir ist deine Mami. Und wenn ihr mich braucht – dann komme ich«, erwiderte er.
Irgendwie waren die letzten Sätze zu Daria durchgedrungen. Wie schön er es Kitty erklärte! Sie hätte bestimmt keine passenden Worte gefunden. Ach, wenn er doch auch für sie passende Worte finden würde! Aber da gab es keine.
»Wir werden ausziehen müssen«, sagte sie mit einer Stimme, die ihr selbst fremd vorkam. »Die Apanage – fällt weg. Wo sollen wir denn hin?!«
Konstantin sah sie entsetzt an. Daran hatte er noch gar nicht gedacht.
»Ich