Anonym

Das Nibelungenlied


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Da sah man stäts den Helden gern von Niederland;

       Er hatt auf hohe Minne seine Sinne gewandt.

      Die schönen Fraun am Hofe erfragten Märe, 136

       Wer der stolze fremde Recke wäre.

       "Er ist so schön gewachsen, so reich ist sein Gewand!"

       Da sprachen ihrer Viele: "Das ist der Held von Niederland."

      Was man beginnen wollte, er war dazu bereit; 137

       Er trug in seinem Sinne eine minnigliche Maid,

       Und auch nur ihn die Schöne, die er noch nie gesehn,

       Und die sich doch viel Gutes von ihm schon heimlich versehn.

      Wenn man auf dem Hofe das Waffenspiel begann, 138

       Ritter so wie Knappen, immer sah es an

       Kriemhild aus den Fenstern, die Königstochter hehr;

       Keiner andern Kurzweil hinfort bedurfte sie mehr.

      Und wüst er, daß ihn sähe, die er im Herzen trug, 139

       Davon hätt er Kurzweil immerdar genug.

       Ersähn sie seine Augen, ich glaube sicherlich,

       Keine andre Freude hier auf Erden wünscht' er sich.

      Wenn er bei den Recken auf dem Hofe stand, 140

       Wie man noch zur Kurzweil pflegt in allem Land,

       Wie stand dann so minniglich das Sieglindenkind,

       Daß manche Frau ihm heimlich war von Herzen hold gesinnt.

      Er gedacht auch manchmal: "Wie soll das geschehn, 141

       Daß ich das edle Mägdlein mit Augen möge sehn,

       Die ich von Herzen minne, wie ich schon längst gethan?

       Die ist mir noch gar fremde; mit Trauern denk ich daran."

      So oft die reichen Könige ritten in ihr Land, 142

       So musten auch die Recken mit ihnen all zur Hand.

       Auch Siegfried ritt mit ihnen: das war der Frauen leid;

       Er litt von ihrer Minne auch Beschwer zu mancher Zeit.

      So wohnt' er bei den Herren, das ist alles wahr, 143

       In König Gunthers Lande völliglich ein Jahr,

       Daß er die Minnigliche in all der Zeit nicht sah,

       Durch die ihm bald viel Liebes und auch viel Leides geschah.

      * * * * *

      Viertes Abenteuer.

      Wie Siegfried mit den Sachsen stritt.

      Da kamen fremde Mären in König Gunthers Land 144

       Durch Boten aus der Ferne ihnen zugesandt

       Von unbekannten Recken, die ihnen trugen Haß

       Als sie die Rede hörten, gar sehr betrübte sie das.

      Die will ich euch nennen: es war Lüdeger 145

       Aus der Sachsen Lande, ein mächtger König hehr;

       Dazu vom Dänenlande der König Lüdegast:

       Die gewannen zu dem Kriege gar manchen herrlichen Gast.

      Ihre Boten kamen in König Gunthers Land, 146

       Die seine Widersacher hatten hingesandt.

       Da frug man um die Märe die Unbekannten gleich

       Und führte bald die Boten zu Hofe vor den König reich.

      Schön grüßte sie der König und sprach: "Seid willkommen! 147

       Wer euch hieher gesendet, hab ich noch nicht vernommen:

       Das sollt ihr hören laßen," sprach der König gut.

       Da bangten sie gewaltig vor des grimmen Gunther Muth.

      "Wollt ihr uns, Herr, erlauben, daß wir euch Bericht 148

       Von unsrer Märe sagen, wir hehlen sie euch nicht.

       Wir nennen euch die Herren, die uns hieher gesandt:

       Lüdegast und Lüdeger die suchen heim euer Land.

      Ihren Zorn habt ihr verdienet: wir vernahmen das 149

       Gar wohl, die Herren tragen euch beide großen Haß.

       Sie wollen heerfahrten gen Worms an den Rhein;

       Ihnen helfen viel der Degen: laßt euch das zur Warnung sein.

      "Binnen zwölf Wochen muß ihre Fahrt geschehn; 150

       Habt ihr nun guter Freunde, so laßt es bald ersehn,

       Die euch befrieden helfen die Burgen und das Land:

       Hier werden sie verhauen manchen Helm und Schildesrand.

      "Oder wollt ihr unterhandeln, so macht es offenbar; 151

       So reitet euch so nahe nicht gar manche Schar

       Eurer starken Feinde zu bitterm Herzeleid,

       Davon verderben müßen viel der Ritter kühn im Streit."

      "Nun harrt eine Weile (ich künd euch meinen Muth), 152

       Bis ich mich recht bedachte," sprach der König gut.

       "Hab ich noch Getreue, denen will ichs sagen,

       Diese schwere Botschaft muß ich meinen Freunden klagen."

      Dem mächtigen Gunther war es leid genug; 153

       Den Botenspruch er heimlich in seinem Herzen trug.

       Er hieß berufen Hagen und Andr' in seinem Lehn

       Und hieß auch gar geschwinde zu Hof nach Gernoten gehn.

      Da kamen ihm die Besten, so viel man deren fand. 154

       Er sprach: "Die Feinde wollen heimsuchen unser Land

       Mit starken Heerfahrten; das sei euch geklagt.

       Es ist gar unverschuldet, daß sie uns haben widersagt."

      "Dem wehren wir mit Schwertern," sprach da Gernot, 155

       "Da sterben nur, die müßen: die laßet liegen todt.

       Ich werde nicht vergeßen darum der Ehre mein:

       Unsre Widersacher sollen uns willkommen sein."

      Da sprach von Tronje Hagen: "Das dünkt mich nicht gut; 156

       Lüdegast und Lüdeger sind voll Uebermuth.

       Wir können uns nicht sammeln in so kurzen Tagen,"

       So sprach der kühne Recke: "ihr sollt es Siegfrieden sagen."

      Da gab man den Boten Herbergen in der Stadt. 157

       Wie feind sie ihnen waren, sie gut zu pflegen bat

       Gunther der reiche, das war wohlgethan,

       Bis er erprobt an Freunden, wer ihm zu Hülfe zög heran.

      Der König trug im Herzen Sorge doch und Leid. 158

       Da sah ihn also trauern ein Ritter allbereit,

       Der nicht wißen konnte, was ihm war geschehn:

       Da bat er König Gunthern, ihm den Grund zu gestehn.

      "Mich nimmt höchlich Wunder," sprach da Siegfried, 159

       "Wie die frohe Weise so völlig von euch schied,

       Deren ihr so lange mit uns mochtet pflegen."

       Zur Antwort gab ihm Gunther, dieser zierliche Degen:

      "Wohl mag ich allen Leuten nicht von dem Leide sagen, 160

       Das ich muß verborgen in meinem Herzen tragen:

       Stäten Freunden klagen soll man des Herzens Noth."

       Siegfriedens Farbe ward da bleich und wieder roth.

      Er