Lilly Grünberg

Begierde


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ab, sondern drehte sich um und bahnte sich einen Weg durch die eng tanzende, von der Hitze im Raum und vom Alkohol entfesselte Meute.

      Endlich würde sie Chris entfliehen, der ihr schon den ganzen Abend auf die Nerven fiel. Micky zuliebe wäre sie gerne länger geblieben, aber ständig lag Chris ihr in den Ohren, dass er mit ihr gehen wolle, und dabei versuchte er sie abzuknutschen und zu begrapschen.

      Aber Vicky konnte den Kerl nicht ausstehen. Er war blond und durchtrainiert, gut einen Kopf größer als Vicky und durchaus sehenswert. Eine Menge Mädchen liefen ihm hinterher und machten ihm eindeutige Angebote. Vicky empfand ihn jedoch nur aufdringlich und wie einen schwankenden Tanzbären, da er inzwischen ziemlich betrunken war. Selbst beim Tanzen hatte er die Flasche mit dem Alkopop nicht weggestellt, später durch ein Dosenbier ersetzt und ihr ungeniert seinen stinkenden Atem ins Gesicht geblasen. Sie wollte nur noch weg, egal ob es Micky passte, die irgendwo schrill im Hintergrund lachte.

      Chris packte Vicky von hinten, legte seinen Arm um sie, direkt über ihre Brüste und hielt sie fest, in der Rechten schon wieder eine frisch geöffnete Dose. »Nun komm schon, Vicky, die Party fängt doch gerade erst an, richtig Spaß zu machen. Sei doch kein Spielverderber.«

      Vicky versuchte sich zu befreien, stemmte sich gegen seine Arme und gewann tatsächlich ein wenig Freiheit, als Chris ins Wanken geriet und sie ruckartig losließ. Unter der Bewegung spritzte Bier aus der Dose heraus und über ihre Bluse.

      »Verdammt, du Trottel, pass doch auf.« Vicky sah wütend an sich herunter. Die Bluse war ruiniert.

      »Ist doch nicht schlimm, hab dich nicht so.« Chris trank den Rest des Bieres in einem Satz aus und warf die leere Dose schwungvoll in den überquellenden Papierkorb, der einen Meter von ihnen entfernt stand. Dann lief er Vicky hinterher, die inzwischen weiter dem Ausgang entgegen strebte, packte sie beidhändig an den Schultern, drehte sie schwungvoll zu sich um und zog sie näher zu sich, um ihr einen Kuss aufzuzwingen.

      »Nein. Lass mich gehen.« Vicky wand und wehrte sich, aber Chris gab nicht nach, er lachte, packte fester zu, fasste ihr frech mit beiden Händen an die Brüste und als Vicky entsetzt zurückwich, hielt er sie am Ausschnitt fest. Es gab einen Ratsch und die Knöpfe sprangen auf Nimmerwiedersehen ab und verschwanden irgendwo am Fußboden zwischen den stampfenden, tanzenden Füßen.

      Chris war so verdutzt, dass er sie nur ansah. Diesen kurzen Moment nutzte Vicky, rannte aus dem Zimmer und aus dem Haus.

      Marc beugte sich hinüber zur Beifahrertür und öffnete sie, als er Vicky kommen sah. »Wie siehst du denn aus?«, schimpfte er, sobald sie im Wagen saß und er ihre schmutzige, zerrissene Bluse bemerkte, die sie sich mit beiden Händen vor der Brust zusammenhielt.

      »Dieser blöde Chris, der stellt mir schon den ganzen Abend nach«, erwiderte Vicky mit hochrotem Kopf. »Die schöne neue Bluse, aber das wird er mir büßen.«

      Marc runzelte die Stirn. »Wollte er dir etwa an die Wäsche? Soll ich reingehen und –«

      »Nein. Bloß nicht. Fahr lieber«, entgegnete Vicky in heftiger Abwehr. »Oder willst du mich noch mehr zum Gespött der anderen machen?«

      Während der Fahrt schwiegen beide. Vicky brütete verärgert über den verkorksten Abend und die kaputte Bluse nach und Marc konzentrierte sich auf den Verkehr.

      »Danke fürs Abholen«, sagte Vicky artig, als sie vor ihm das Haus betrat.

      »Stets zu ihren Diensten, Signorina«, antwortete Marc mit einer angedeuteten Verbeugung, während er ihr die Tür aufhielt. Die Verstimmung war ihr immer noch anzusehen.

      »Hör auf, du weißt, ich find das albern. Gute Nacht.« Sie ging vor ihm die Treppe hinauf. Er sah ihr nach. Der kurze Jeansrock war verflixt eng und betonte beide Pohälften.

      »Vicky?«

      Sie drehte sich auf einer Stufe um und sah von oben auf ihn herab.

      »Ja?«

      »Was trägst du unter deinem Rock?«

      Vicky zog die Schultern hoch. »Ich weiß nicht, was du meinst – einen Slip natürlich, oder glaubst du, ich gehe nackt?«

      »Du weißt sehr wohl, was ich meine. Trägst du einen String?«

      Vicky kicherte. »Natürlich, ich habe doch gar nichts anderes.«

      »Ist dir noch nie die Idee gekommen, wie verführerisch das auf Jungs wirken muss, wenn du so einen verdammt anliegenden Rock trägst? Man sieht die –« Er presste die Lippen zusammen und unterdrückte den Rest seines Satzes. Die Rundungen deines Pos, hatte er sagen wollen. Es war nicht zu übersehen, dass sich der Stoff ein wenig in die Poritze schmiegte, wenn auch nicht viel, da der Rock insgesamt ziemlich stramm saß. Aber ihm genügte es.

      »Ach ja? Was sieht man denn?« Vicky leckte sich lasziv über die Lippen und wackelte ein wenig mit ihrem Hinterteil. »Wirkt das auf dich auch?« Sie hickste in einem beginnenden Schluckauf. »Uups.«

      »Du spinnst wohl, du bist meine Schwester. Außerdem hast du zuviel getrunken. Geh jetzt schlafen und gib in Zukunft besser acht, wie du dich verhältst, sonst brauchst du dich nicht wundern, wenn die Jungs durchdrehen.«

      Er wandte sich ab und ging ins Wohnzimmer. Sie musste nicht mitbekommen, dass sie unbewusst ins Schwarze getroffen hatte. Ja, ihr süßer Hintern gefiel ihm, obwohl er es sehr unanständig fand, dass sie so aufreizend herumlief, und man schon fast die nackten Rundungen unter dem Saum hervorblitzen sah. Vor allem aber wollte er nicht, dass sie bemerkte, wie sehr es ihn erregte. Verdammt, es war nicht richtig, so zu fühlen. Sie war schließlich seine Schwester. Aber es wäre nicht die erste Nacht, in der er träumte, sie läge in seinen Armen und er würde sie überall liebkosen. Und noch viel mehr. Sie regte seine Fantasie auf eine Weise an, von der er nicht wusste, ob das richtig war.

      Montag war Marc zeitig wach und fuhr Vicky zur Schule. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, ehe sie ausstieg und über den Hof ins Gebäude eilte.

      Er wollte gerade weiterfahren, als Michaela vor seinem Wagen über die Straße lief. Sie schaute ihn durchs Fenster an, zögerte, doch dann erkannte sie ihn, öffnete die Beifahrertür und beugte sich hinein.

      »Hi, da ist ja der große Bruder, der seine Schwester viel zu früh von meiner Party abgeholt hat.«

      »Hallo Micky.« Marc hatte Mühe, ihr ins Gesicht statt in den tiefen Ausschnitt zu blicken. Kein Wunder, wenn die Lehrer an dieser Schule manchmal fast durchdrehten. Viele Mädchen liefen wie kleine Lolitas herum. Eine Zeit lang hatte das Gerücht kursiert, einer der Lehrer hätte sich nachmittags mal mit dieser, dann mit jener Schülerin zu einem Schäferstündchen getroffen, was sich in besseren Noten niedergeschlagen hätte. Dann wurde dieser Lehrer eines Tages ganz plötzlich versetzt und es blieb nicht mehr als eine Anekdote übrig. Marc bedauerte den Lehrer. Wie sollte man diesem Ansturm an Verführungen auf Dauer widerstehen?

      »Na, hast du dein Schwesterchen gut nach Hause gebracht? Schade, dass sie schon so früh gegangen ist, wo sie doch gerade soviel Spaß hatte.«

      Marc empfand Unbehagen. In Mickys Stimme lag so ein merkwürdiger Unterton. »Was willst du damit sagen?«

      Micky lachte anzüglich und riss ihre dunklen Augen mit den sorgfältig getuschten Wimpern weit auf. »Na, wie Vicky sich an den Chris herangemacht hat. Und dann hat sie ihn vor allen abserviert, das war schon ganz schön raffiniert. Zuletzt hat sie sich auch noch Bier über ihre Bluse geschüttet, nur damit sie dem Chris ein schlechtes Gewissen machen kann.«

      Marc runzelte die Stirn. Das klang überhaupt nicht nach Vicky.

      »Hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Da rennt sie Chris den ganzen Abend hinterher, macht ihm eindeutige Angebote, und als er nicht reagiert wie sie will, reißt sie sich selbst die Bluse auf, packt seine Hände, legt sie sich auf den Busen und schnurrt wie eine Katze. Na, der war vielleicht perplex.«

      Der Kloß in Marcs Magen wurde größer. Vicky, seine liebe