Max Dauthendey

Die acht Gesichter am Biwasee: Japanische Liebesgeschichten


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hast noch dem Leben verweigerten Gehorsam zu geben,‘ sagten die Toten, und ich erwachte wieder.

      Ich weiß es, ich habe gefrevelt. Ich habe meinen Leib einem Prinzen, einem Sohn des Himmels, entziehen wollen und habe einen andern Mann umarmt. Aber der Geliebte konnte meinen Leib nicht mit in den Tod nehmen weil ich erst lernen mußte, dem Leben zu gehorchen.»

      Die Magd weinte über Hanakes Worte. Aber Hanake verbot es ihr und sagte:

      «Wir wollen nicht neuen Ungehorsam auf dies Haus laden. Ich darf nicht weinen, wenn ich auch bis an die Augen voll Trauer bin. Meine Füße aber zittern, und ich kann dem Prinzen nicht entgegen gehen. Ich kann meine Füße noch nicht zum Gehorsam zwingen.

      Wenn der Prinz dich fragt: ‚Wo ist Hanake?‘, sage, und laß dir nichts merken, sage: ‚Verzeihung, Sohn des Himmels, meine Herrin trauert um ihren toten Lieblingspapagei. Aber wenn meine Herrin des Prinzen Angesicht sieht, wird ihre Trauer zur Freude werden und doppelt glänzen, wie dein weißes Segelboot, o Herr, im Biwasee.‘» –

      Und wie der Schiller auf starrem, poliertem Porzellan glänzte Hanake bis zum Abend, so lange der Prinz in ihrem Hause war und mit ihr spielte. Und auch als sie ihr Scharlachkleid öffnete und ihren kleinen weißgepuderten Leib nackt in die Arme des Prinzen legte, sang sie Lieder und zwitscherte mit den Lippen. Der Prinz sagte am Abend:

      «Dein Leib ist mir lieb, weil er kühl ist wie die Schneeflocken und mich aufweckt wie die Kälte am Wintermorgen.

      Und nun singe mir noch zum Abschied das Lied vom Biwasee, das nur auf weiße Seide geschrieben werden darf.»

      Die Singende Seemuschel saß hinter der Papierwand im Nebenzimmer, wo sie die Gitarre spielen mußte, so lange der Prinz die nackte Hanake umarmte. Aber als die treue Magd hörte, daß der Prinz das Lied von ihrer Herrin verlangte, das nur eine sehnsüchtig Liebende singen darf, da konnte sie sich nicht mehr des Schluchzens erwehren. Und während die Hände der Singenden Seemuschel auf der Gitarre spielten, wimmerte ihre schluchzende Brust.

      Hanake, die in ihr Scharlachkleid schlüpfte, raschelte mit der Seide, damit der Prinz das Wimmern der Magd nicht höre. Dann wollte sie singen. Aber der Prinz fragte, ehe sie begann:

      «Weint jemand hinter der Wand?»

      «O nein», lächelte Hanake, «das sind nur Brieftauben, die ich in einem Käfig halte, und ihre Kröpfe glucksen, weil sie zu viel gefüttert wurden.»

      «Singe jetzt!» sagte der Prinz.

      Das Wimmern hinter der Papierwand verstummte, und Hanake sang das Lied:

      Auf dem See steht ein weißes segelndes Boot.

       Mein Herz, mein leises,

       Mein Auge, mein heißes, –

       Die Menschen, die einsam sind,

       Sind wie die Boote von Yabase,

       Die blaß hintreiben im Abendwind.

      Hanake hatte während des Singens ihren Kopf in den Schoß des Prinzen gelegt und mit offenen Augen zur Decke gestarrt. Ihr Körper war in derselben Stellung wie an jenem Abend auf dem Biwasee im Boot, als sie mit dem Kopf im Schoß ihres Geliebten gelegen.

      Plötzlich fährt Hanake, wie von einem Schuß getroffen, auf. Sie wirft die Arme in die Luft und fällt ohne Aufschrei auf die Diele, wo sie in tiefer Ohnmacht liegen bleibt.

      Der Prinz wird blaß. Auf seinen Ruf kommt die Magd hinter der Papierwand vor. Der Prinz sieht die verweinten Augen derselben und denkt, daß Magd und Herrin wirklich in Trauer seien über den toten Papagei. Er ist erstaunt darüber und sagt: «Deine Herrin ist noch schwach von Trauer über ihren toten Papagei. Pflege deine Herrin; und wenn sie aufwacht, sage ihr, ich käme morgen abend und hundertmal wieder.»

      Die Magd verneigt sich vor dem Prinzen, sie verbirgt ihre verweinten Augen und lügt:

      «Sohn des Himmels, verzeiht meiner Herrin! Aber der Tod ihres Papageis ging ihr nicht so sehr zu Herzen wie jetzt der Abschied von Euch. Die Trauer darüber hat sie gleich einer Ohnmacht überfallen.» –

      Als Hanake wieder zu sich kommt, sieht sie fern im Abend über dem Biwasee das verschwindende Segel des kaiserlichen Bootes, und das Kielwasser treibt eine lange schwarzlinige Welle von der Mitte des Sees bis an Hanakes Haus.

      Hanake murmelt: «Die Magd sagt: hundertmal wird er wiederkommen! Ich will lieber hundert verschiedene Männer umarmen, ihr Götter! Erlaßt es mir, einem Mann Liebe heucheln zu müssen hundertmal hintereinander. Ich schwöre euch: ich will mich lieber auf dem Liebesmarkt zu Tokio hingeben, wo fünftausend Mädchen sich jede Nacht einem andern Mann anbieten. Aber erlaßt mir, o Götter, die Qual und bindet mich nicht hundert Nächte an den einen Mann, der sich einredet, daß ich ihn liebe.»

      Die untergehende Sonne schminkte den Himmel wie das Gesicht eines Freudenmädchens. Karminrosig und violett silbrig färbten sich alle Wolken über dem Biwasee, wie die fünftausend Mädchengesichter auf dem Liebesmarkt zu Tokio.

      Dann hörte Hanake lautes Gelächter, laute Männer- und Frauenstimmen, das Räderrasseln von kleinen Rikschawagen und das Geschrei von Kulis. Eine Schar ihrer Freunde und Freundinnen war in Wagen und Tragsesseln von der Landstraße hergekommen und rief jetzt von draußen ins Haus nach Hanake. Dann drängten die Gesichter ihrer Freunde und Freundinnen in das Nebenzimmer, und Hanakes Gesicht wurde wieder höflich und freundlich und unbeschrieben wie eine weiße Eierschale.

      Sie warf noch rasch einen Blick aus dem Fenster. Das Segel des kaiserlichen Bootes war hinter der Seehöhe verschwunden. Der See lag gradlinig, und nur wie eine kleine, schwarze Schnur zog sich am Horizont das Kielwasser des verschwundenen Bootes hin. Die Kielwelle erreichte nicht mehr Hanakes Haus und verlor sich wie ein abgerissenes Band draußen auf der Seefläche.

      Hanakes Herz war leichter. Sie trat aus dem Seegemach in das nebenanliegende Gemach, in das die Freunde hereindrängten. Das Haus war jetzt voll von zwitschernden Frauenstimmen und gurgelnden Männerkehlen, die den Atem auf japanische Sitte laut und achtungbezeugend einzogen.

      Nachdem alle eine Weile voreinander auf den Knien gelegen hatten und sich verbeugt hatten, rutschten alle zusammen, bildeten einen Halbkreis um Hanake und hockten auf den Seidenkissen am Boden, und das Zimmer war laut wie ein Baum, in dem eine Sperlingschar plaudert.

      Gerüchte, daß ein kaiserlicher Prinz sich nach Hanake umsähe, hatten sich bei den Freunden verbreitet; aber niemand wußte Genaues, und niemand wußte vom Besuch des Prinzen. Alle waren des Mordes wegen gekommen, der sich auf dem See in der Nähe von Hanakes Haus ereignet haben sollte. Sie wollten wissen, ob Hanake den Schuß gehört habe? Ob der Europäer fehlgeschossen oder auf den Japaner gezielt habe? Ob Hanake damals am Fenster gestanden habe? Und ob nach dem Schuß das Seewasser rot von Blut gewesen sei? –

      Hanakes Gesicht verlor keinen Augenblick die starre Politur. Die Magd hatte ihr, als sie aus der Ohnmacht aufgewacht war, das Scharlachgewand ausgezogen und ihr ein blaues Gewand gereicht, auf dem nur Seewellen und Wolken eingewebt waren, und hatte die Schminke und den Puder erneuert und den klingenden Haarschmuck in ihrem Haar fester gesteckt, als man das Herannahen der Freunde hörte.

      Jetzt reichten die Singende Seemuschel und die anderen Mägde den Gästen Tee und Pfefferminzzucker herum und kleine, winzige Kuchenwürfel.

      Als die Schar der Fragen sich wie eine Dornenhecke um Hanake aufbaute, suchte die Singende Seemuschel nach einem rettenden Gedanken, um ihrer Herrin zu helfen. Sie lief fort, holte den toten Papagei, kam wehklagend herein und sagte:

      «Ach, Herrin, seht, der Papagei liegt im Sterben!»

      Aber wie war sie verblüfft, als Hanake sie abwies und lächelnd zu den Gästen sagte:

      «Ich glaube, meine Magd ist irrsinnig geworden von der Ehre, die uns heute widerfuhr. Sie zeigt mir den Papagei, der seit gestern tot ist, und der uns heute schon helfen mußte, einen kaiserlichen Prinzen zu belügen.»

      Im Zimmer wurde es still, wie wenn