Edgar Wallace

Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band


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ihn bis aufs Hemd ausgezogen.«

      Es klopfte, und ein Kellner kündigte Monsieur. Soltescu an. Der Rumäne sah bleich und müde aus und war vollkommen nüchtern. Trotzdem schien ihn der Verlust kaum berührt zu haben.

      In gewisser Weise war der kleine Mann wirklich bewunderungswürdig. Er besaß große Selbstbeherrschung, und er war weit und breit wegen seines Wagemuts bekannt. Fast alle anrüchigen Unternehmungen Europas finanzierte er, und wenn auch die Regierungen der verschiedenen Staaten seine Tätigkeit nicht schätzten, so galt sein Name doch viel bei den internationalen Abenteurern, die er gut für ihre Dienste bezahlte.

      Er erwähnte seinen Verlust nur mit wenigen Worten.

      »Es ist ein unglücklicher Zufall. Aber ich habe eine so hohe Belohnung ausgesetzt, daß ich mit Sicherheit auf die Rückgabe der Mappe rechnen kann.«

      »Wieviel Geld hatten Sie denn eigentlich noch darin?«

      »Die Summe war nicht so unbedeutend«, entgegnete Soltescu leichthin. »Vierzigtausend Pfund in englischen Banknoten. Aber nicht das verlorene Geld macht mir soviel Sorge. Der Verlust der Schriftstücke trifft mich am schwersten.«

      Er sprach an diesem Morgen fließend Englisch.

      »Aber Sie sind doch Fachmann, kennen die Formel und haben die ganze Beschreibung des Herstellungsprozesses gelesen, wie Sie sagten? Genügt das nicht? Könnten Sie nicht wieder alles aufschreiben? Vielleicht gelingt es Ihnen, die Formel noch einmal aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren«, meinte Sir George.

      Soltescu schüttelte lächelnd den Kopf.

      »Nein, ich war gestern nicht auf der Höhe«, gestand er offen ein. »Und ich habe mir schon angewöhnt, mich nicht auf die Dinge zu besinnen, die ich in solchen Fällen erlebe. Wenn ich über all meine dummen Streiche nachdächte, bekäme ich ein zu großes moralisches Minus.«

      »Schreiben Sie die Belohnung öffentlich aus?«

      »Ja. Die genauen Einzelheiten kann ich natürlich nicht in die Zeitung bringen. Ich hatte die Papiere aus dem Umschlag herausgenommen und das Kuvert zerrissen, denn es standen einige Worte darauf, die mir unangenehm waren: ›Das biegsame Glas. Die Art der Herstellung. Eine Erfindung von John President.‹«

      »John President?« fragte Sir George atemlos. »Donnerwetter, ich glaube, ich weiß jetzt, wer Ihre Mappe hat!«

      Soltescu sah ihn verblüfft an.

      »Woher wissen Sie es denn?« fragte er ungläubig.

      »Ich bin meiner Sache ganz sicher. Was für eine Belohnung haben Sie denn ausgesetzt?«

      Der Rumäne drohte Sir George mit dem Finger.

      »Mein Freund, Sie sind tatsächlich sehr schlau und gerissen«, sagte er bewundernd. »Ich habe eine Belohnung von vierzigtausend Pfund ausgesetzt, doppelt soviel, wie mich die Schriftstücke ursprünglich gekostet haben. Die Sache ist es mir wert.«

      »Vierzigtausend Pfund!« wiederholte Sir George. »Wissen Sie denn, wer in dem Abteil neben Ihnen schlief?«

      »Darum habe ich mich nicht gekümmert«, entgegnete Soltescu ironisch. »Ich schicke meine Visitenkarte nicht zu meinen Nachbarn, wenn ich den Schlafwagen benütze.«

      »Nun, dann will ich es Ihnen sagen. Es war die Enkelin John Presidents«, entgegnete Sir George langsam und mit Nachdruck. »Wenn Sie die Papiere von ihm gekauft haben –«

      »Ich habe sie nicht von ihm, sondern von einem Mann, der sie dem Erfinder wahrscheinlich gestohlen hat. Also das war John Presidents Enkelin?« fragte er und versuchte, sich an die Vorgänge der Nacht zu erinnern. »Ich möchte nur wissen – ja, es muß stimmen«, sagte er dann und fuhr erregt mit der Hand durch sein Haar. »Ich besinne mich jetzt genau. Ich habe die Mappe fallen lassen, und dabei flog der Umschlag mit den Schriftstücken heraus. Sie hob das Kuvert auf – ja, das muß sie gewesen sein.«

      Aufgeregt ging er im Zimmer auf und ab.

      »Wo ist sie jetzt?« fragte, er dann schnell. »Ist sie in Paris oder in London?«

      »Sie kam mit meinem Zug nach Paris. Ich habe sie auch gesehen. Sie ist sehr hübsch. Dunkle Haare und dunkelbraune Augen, gut gewachsen – direkt mein Typ. Ich glaube allerdings kaum, daß sie noch in Paris ist. Sie wird nach London durchgefahren sein. Aber das können wir ja bald herausbringen. Ich werde meinen Diener in London anrufen; er soll sich erkundigen, ob sie angekommen ist.«

      »Ich gehe zur Polizei und beantrage einen Haftbefehl gegen sie!« rief Soltescu erregt.

      »Das wäre das Dümmste, was Sie tun könnten«, unterbrach ihn Sir George. »Was halten Sie denn von der Sache, Toady?«

      Wilton hatte die Unterhaltung schweigend angehört. Er hatte das unangenehme Gefühl, daß er von diesem Geschäft ausgeschlossen war. Er war nur Spezialist für Rennsachen. In allen Schiebungen, die darauf Bezug hatten, konnte man ihn einen Meister nennen.

      Mr. Bud Kitson schwieg ebenfalls, hörte dem Gespräch aber interessiert zu und hielt den Augenblick jetzt für gekommen, sich einzumischen.

      »Es würde doch nicht schwer sein, der jungen Dame die Mappe wieder abzujagen. Dazu braucht, man doch keine Polizei.«

      »Das ist allerdings ein guter Gedanke.« Sir George sah den Amerikaner mit zusammengekniffenen Augen an. »Wirklich keine schlechte Idee. Glauben Sie, daß Sie die Sache machen können?«

      »Wenn sie die Mappe tatsächlich hat, kann ich sie sicher besorgen.«

      »Was halten Sie davon, Soltescu?«

      Der Rumäne sah Bud argwöhnisch von der Seite an.

      »Mir ist es schließlich gleich, wie ich wieder in ihren Besitz komme, wenn ich die Schriftstücke nur überhaupt wiedersehe. Ich bin bereit, eine große Summe zu zahlen. Das Geld in der Mappe können Sie als Belohnung behalten.«

      Bud Kitsons Augen leuchteten auf.

      »Natürlich wird das Geld unter uns allen reell verteilt, wenn der Plan gelingen sollte«, warf Sir George dazwischen.

      Der Amerikaner grinste verständnisvoll.

      »Es wird schon richtig verteilt werden«, sagte er zuversichtlich. Aus seinem Ton war zu entnehmen, daß er sich die Verteilung anders dachte als Sir George.

      »Nun wollen wir aber auch noch einmal über die andere Sache sprechen«, erklärte der Baronet.

      Ein paar Minuten später saßen sie um den Tisch und besprachen die große Schiebung, die alles bis jetzt Dagewesene in den Schatten stellen sollte.

      Monsieur Soltescu war in ganz Europa bekannt. Obwohl er ein Großindustrieller war, kümmerte er sich eigentlich wenig um seine Fabriken. Er interessierte sich nur für die keramischen und die Glaswerkstätten, die die bedeutendsten in ganz Südeuropa waren. Hiermit hatte er den Grundstock seines ungeheuren Vermögens gelegt, und diese Fabriken warfen auch den größten Gewinn ab.

      Aber im Grunde genommen war er ein Abenteurer und spekulierte in internationalen Unternehmungen. Und wenn er genügend dabei verdiente, kam es ihm auch nicht darauf an, sein eigenes Vaterland zu schädigen.

      *

      Milton Sands kannte fast alle Millionäre in Europa, und während der Fahrt von Dover nach London gab er Eric Stanton eine kurze Charakteristik von Soltescu. Sein Begleiter hörte ihm interessiert und belustigt zu.

      »Jetzt haben wir aber immer noch keinen neuen Beruf für Sie ausfindig gemacht«, meinte Stanton, als der Zug durch Tonbridge fuhr.

      »Ich habe schon ohne Ihren Rat einen Entschluß gefaßt. Der Diebstahl im Zug hat mich auf eine gute Idee gebracht. Ich werde Detektiv«, erklärte Milton selbstzufrieden.

      Eric Stanton sah ihn überrascht an.

      »Wie kommen Sie denn darauf?«

      »Das ist der richtige