Edgar Wallace

Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band


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ab und blickte düster vor sich hin.

      »Wie lange dauert es, bis ein Diebstahl verjährt?«

      Milton wußte sofort, worauf der Mann hinauswollte.

      »Für den Staatsanwalt verjährt ein Verbrechen allerdings, aber nicht für den Bestohlenen und seine Schadenersatzansprüche. Aber ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß Sie nicht angeklagt werden sollen.«

      »Dann will ich Ihnen erzählen, wie die Geschichte kam«, erwiderte John Pentridge nach einer längeren Pause. »Ich hatte einen Freund in New South Wales, einen tüchtigen Erfinder. Er war der klügste Mensch, der mir jemals in meinem Leben begegnet ist. In Pentridge war er der älteste Gefangene, aber auch der schlaueste. Vor vielen Jahren wurde er deportiert, weil er seine Frau erschossen hatte. Er war ein schwer zugänglicher Mann, bis er sich plötzlich vollständig änderte. Er arbeitete die ganze Zeit an Erfindungen, und als er schließlich aus dem Gefängnis entlassen wurde, half ich ihm, denn ich kannte seine Methoden und war an die Zusammenarbeit mit ihm gewöhnt.«

      Wieder machte er eine Pause.

      »Dieser Mann hat auch die Herstellung von biegsamem Glas erfunden. Ich glaubte, daß er sterben würde – und –«

      »Und da haben Sie sich mit den Aufzeichnungen über den Herstellungsprozeß aus dem Staube gemacht!«

      »Aus dem Staube gemacht habe ich mich nicht. Ich bin von Australien abgereist. Das ist die ganze Geschichte.« »Wer war denn der Mann, den Sie bestohlen haben?«

      Pentridge hatte die Überzeugung, daß Sands nicht für John President arbeitete.

      »Das werde ich Ihnen nicht erzählen«, sagte er nach einer kleinen Weile. »Das müssen Sie selbst herausbringen. Der Mann ist tot.« Bei diesen Worten sah er Sands prüfend an.

      »Sind Sie Ihrer Sache auch ganz gewiß?«

      »Wie meinen Sie das?« fragte Pentridge laut. »Glauben Sie, ich lüge Ihnen etwas vor?«

      »Ich habe mir die Sache noch nicht genau überlegt. Aber wenn mir jemand das sagte, wäre ich nicht sehr erstaunt.«

      »Monsieur Soltescu kann Ihnen verraten, wer es war. Der Name stand auf dem Briefumschlag.«

      »Unglücklicherweise hat Soltescu den Briefumschlag vernichtet und kann sich nicht mehr auf den Namen besinnen.«

      Milton sah, daß Pentridge erleichtert aufatmete.

      »Nun, ich kann es Ihnen auch nicht sagen«, erklärte er kurz.

      »Dann wäre noch etwas zu besprechen. Sie hatten einen alten Freund, mit dem Sie in früheren Jahren häufig zusammen gesehen worden sind. Sie kannten ihn schon in Australien, und er kam mit Ihnen nach Europa. Vor einiger Zeit fand man ihn in Monte Carlo ermordet auf.«

      »Ermordet?« rief Pentridge bestürzt. Er war bleich geworden, und seine Hände zitterten. »Was wollen Sie damit sagen?«

      »Nichts Besonderes. Er wurde mit zertrümmertem Schädel im Garten einer leerstehenden Villa aufgefunden. Und er wurde an dem Abend ermordet, an dem ich und Sie Monte Carlo verließen.«

      »An dem Abend war ich nicht in Monte Carlo«, sagte Pentridge schnell.

      »Selbstverständlich waren Sie dort. Sie spielten an demselben Tisch mit mir und wurden später aus dem Kasino gewiesen, weil Sie durch Ihr Benehmen die anderen Spieler störten.«

      »Ich weiß nichts davon«, erwiderte Pentridge düster. »Auf keinen Fall hatte ich eine Ahnung, daß der Mann in Monte Carlo war.«

      »Er hat Ihnen damals bei dem Diebstahl der Papiere in Australien geholfen, soviel ich weiß. Auf jeden Fall konnte ich feststellen, daß Sie beide von Melbourne mit demselben Dampfer abfuhren. War er der Erfinder?«

      »Nein«, entgegnete Pentridge gereizt.

      »Haben Sie eine Ahnung, warum der Mann ermordet wurde?«

      Pentridge schwieg.

      »Wissen Sie vielleicht, wer der Mörder ist?«

      Wieder keine Antwort.

      »Gab es einen triftigen Grund, aus dem Sie ihn getötet haben könnten?«

      Pentridge wandte sich ärgerlich um.

      »Wer sagt, daß ich ihn umgebracht habe?«

      »Ich setze nur den Fall«, erklärte Milton liebenswürdig. »Ich will die Behauptung nicht ohne weiteres aufstellen.«

      Damit erhob er sich und zog seine Handschuhe an.

      »Ich sehe, daß ich die Informationen, die ich brauche, nicht von Ihnen bekommen kann.«

      »Wohin wollen Sie gehen?« fragte Pentridge nervös.

      »Ich setze meine Nachforschungen anderweitig fort.«

      Als Milton Sands in das Auto stieg, das draußen auf ihn wartete, war er sich darüber klar, daß er Pentridge wohl einen heilsamen Schrecken eingejagt, sonst aber nicht viel erreicht hatte. In wessen Besitz mochten sich die Papiere jetzt befinden? Und wer war wohl ihr ursprünglicher Eigentümer? Wenn es ihm gelang, diesen Punkt aufzuklären, war viel gewonnen. Es war merkwürdig, daß er mit keinem Gedanken an John President dachte. Als Mary seine Hilfe gegen Bud Kitson in Anspruch nahm, glaubte er, daß sie nur deshalb in Verdacht gekommen war, weil sie das Zugabteil neben Soltescu innegehabt hatte. Er hielt den Verdacht des Rumänen damals für vollkommen unbegründet. Jetzt grübelte er darüber nach, ob nicht vielleicht doch mehr hinter der Sache stecke, als er vermutet hatte. Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe, und er kam deprimiert zu seinem Büro zurück. Aber es gab ja einen sehr einfachen Weg, dies festzustellen. Er brauchte doch nur Miss President selbst zu fragen. Als er eintrat, begrüßte er zuerst Janet, die eifrig die Morgenzeitungen durchstudierte. Dann nahm er einige Telegrammformulare aus seinem Schreibtisch und schrieb schnell.

      »Ich muß aufs Land reisen, um mit Miss President zu sprechen.«

      »Wie lange bleibst du fort?«

      »Höchstens zwei Tage.«

      »Du hast große Sorgen«, sagte sie schnell.

      »Warum sollte ich denn große Sorgen haben?« protestierte er. »Ich war noch nie so lustig und vergnügt in meinem Leben.«

      »Wie steht es denn mit deinen anderen Arbeiten? Hast du die Schwester Mr. Stantons gefunden?«

      »Nein, bis jetzt habe ich noch keine Spur von ihr entdecken können.«

      Sie sah ihn lange und nachdenklich an.

      »Mir ist eine Idee gekommen«, sagte sie zögernd, »aber ich wage kaum, sie auszusprechen.«

      »Was ist denn?« fragte er neugierig. »Ich bin dankbar für jede Anregung, die du mir geben kannst. Die Sache mit Miss Stanton fällt mir mit der Zeit auf die Nerven.«

      »Vor vielen Jahren habe ich einmal Sir George Frodmeres Schwester kennengelernt. Jedenfalls war sie mit meiner Mutter bekannt.«

      »Ich glaube, daß ich auch schon von ihr gehört habe«, erwiderte Milton lächelnd. »Sie ist die Dame, die leichtsinnig Dienstboten empfiehlt, wenn ihr Bruder es wünscht.«

      »Darüber bin ich nicht orientiert. Aber ich weiß, daß sie sehr viel klatscht. Es ist während der letzten zwanzig Jahre kaum etwas in London passiert, was sie nicht wüßte. Vielleicht könnte dich diese Frau auf die Spur bringen.«

      »Das ist tatsächlich eine gute Idee«, meinte er nachdenklich. »Ich will sie sofort aufsuchen, wenn ich von meiner Reise zurückkomme.«

      Um zwei Uhr nachmittags fuhr er nach Sussex, aber er blieb nicht die beabsichtigten zwei Tage aus, sondern kam schon am selben Abend um elf Uhr wieder zurück. Die Nachrichten, die er erhalten hatte, stimmten ihn sehr nachdenklich und brachten ihm viel Arbeit. Als der graue Morgen dämmerte, und das erste Frühlicht durch die Fenster seines Schlafzimmers schien, saß