Aufenthalt, bevor sie abfahren konnten, und die Kirchenuhren schlugen eins, als sie zum Themseufer kamen.
»Wir sind da«, sagte Milton und zeigte auf die beiden weißen Pfosten, die die Anlegestelle markierten.
Der Wagen hielt, sie stiegen aus und gingen nach dem Fluß zu. Es war eine dunkle Nacht, und ein leichter Regen fiel.
»Wir müssen falsch gegangen sein«, rief Eric plötzlich.
»Warum denn?« fragte Milton erstaunt.
Aber dann sah er plötzlich, daß das Hausboot nicht mehr am Ufer lag. Sie fanden wohl die Pfosten, an denen es vertäut gewesen war, und im Schein ihrer Taschenlampen entdeckten sie auch Fußspuren und die Stelle, wo die Landungsbrücke am Ufer aufgelegen hatte. Aber das Hausboot selbst war verschwunden.
*
»Wie spät ist es?« fragte Sir George.
»Halb eins«, entgegnete Kitson.
»Der Schlepper muß jeden Augenblick ankommen.«
»Der Schlepper?« fragte Bud erstaunt.
Sir George nickte.
»Sie lassen uns hier sicher nicht in Ruhe, denn sie werden bald auf unserer Spur sein. Die Schauspieler haben ihren Zweck erfüllt, aber ich brauche mehr Zeit, um zum Ziel zu kommen. Deshalb habe ich einen Schlepper engagiert, der uns den Strom hinunterbugsieren soll. Ich kenne eine ruhige, nette Bucht weiter unten, in der wir wochenlang liegen können, ohne daß man uns dort sucht.«
»Aber wird denn das alte Boot die Fahrt aushalten?« fragte Kitson zweifelnd.
Sir George lächelte.
»Der Schlepper muß das Boot längsseits festmachen, dann kann so leicht nichts passieren. Ich habe auch schon Anweisung gegeben, daß er die Taue sofort loswerfen soll, wenn wir in der Nähe der Bucht sind. Wir müssen den alten Kasten dann selbst mit Stangen und Rudern bis zu einer guten Landungsstelle bringen.«
Sir George schaltete das Licht im Salon aus und öffnete eins der Fenster, die auf den Fluß hinausführten.
»Da kommt er schon.«
Mitten im Strom konnten sie die dunklen Umrißlinien des kleinen Dampfers sehen. Die roten und grünen Lichter leuchteten hell in der Dunkelheit.
Nach kurzer Zeit war das Hausboot von den Pfosten losgemacht und an dem Schlepper befestigt. Langsam fuhren sie auf den Strom hinaus.
»Die einsame Bucht befindet sich auf dem Landgut von Lord Chanderson, und es trifft sich vorzüglich, daß er gerade heute abend nach Frankreich reist. Ich hörte es auf dem Rennplatz, als er mit einem anderen Herrn darüber sprach. Niemand wird uns dort beobachten, und wenn uns das Glück günstig ist, können wir uns bequem drei Wochen lang versteckt halten. Haben Sie das Boot verproviantiert, wie ich Ihnen gesagt habe?«
Kitson nickte.
»Was soll denn aus ihr werden?«
Sir George lächelte.
»In drei Wochen kann viel passieren. In dieser Zeit kann selbst eine eigensinnige junge Dame ihre Meinung ändern. Augenblicklich bin ich allerdings in einer etwas unangenehmen Lage, Kitson. Das werden Sie auch verstehen. Wir haben ja schon öfter solche Situationen miteinander erlebt.«
»Das könnte ich nicht gerade behaupten«, entgegnete Bud kühl. »Mich hat man zwar mehrmals ins Gefängnis gesteckt. – Pentridge gab Ihnen doch zweitausend Pfund«, sagte er dann unvermittelt. »Davon möchte ich auch meinen Teil haben.«
»Selbstverständlich«, entgegnete Sir George beruhigend. »Wir teilen, wenn die Sache vorüber ist. Sie sollen nicht zu kurz kommen, weil Sie zu mir halten. Ich kann bald über ein großes Vermögen verfügen, und Sie wissen doch auch, daß ich ein wertvolles Landgut besitze.«
»Damit können Sie mir nicht imponieren. Das Ding ist über und über mit Schulden und Hypotheken belastet. Meiner Meinung nach besteht Ihr ganzes Besitztum aus den zweitausend Pfund, die Sie in Ihrer Brieftasche haben. Und ich muß schon darauf dringen, daß Sie mir einen Teil davon abgeben.«
»Wir wollen die Sache in einigen Tagen weiter besprechen«, sagte Sir George bestimmt.
»Nein, wir müssen sie jetzt ins reine bringen«, brummte Bud Kitson. »Unsere gemeinsame Verbindung war bis jetzt für mich nicht gerade sehr vorteilhaft, und ich verlange endlich einmal eine größere Summe.«
Sie standen beide auf dem Oberdeck und sahen auf den dunklen Fluß hinunter, während der Schlepper langsam stromabwärts dampfte.
»Ich habe bei Ihnen wirklich keine Seide spinnen können«, fuhr Kitson fort. »Und die tausend Pfund, die Sie mir jetzt geben werden, sind noch lange keine Entschädigung für all meine Mühe.«
Sir George lachte.
»Tausend Pfund soll ich Ihnen geben? Mein lieber Mann, Sie sind wohl nicht mehr ganz bei Verstand! Ich brauche den ganzen Betrag, ich kann nichts davon entbehren. Ich habe Ihnen doch vorhin schon gesagt, daß Sie Ihre volle Belohnung erhalten, wenn wir die Sache zu einem guten Abschluß gebracht haben.«
»Und ich sage Ihnen, daß ich meine Hälfte jetzt sofort haben will«, entgegnete Bud Kitson heftig.
Sir George wandte sich zu ihm um und trat ihm im Dunkeln entgegen.
»Sie bekommen jetzt gar nichts. Sie müssen warten, bis ich Ihnen etwas gebe, wenn die Zeit dazu gekommen ist.«
»Sie ist jetzt gekommen«, erwiderte Kitson hartnäckig.
Sir George drückte dem Amerikaner plötzlich die Pistole in die Rippen, und Bud hob automatisch die Hände hoch.
»Sie bekommen Ihr Geld, wenn ich soweit bin. Sie können mich nicht dazu zwingen, daß ich es Ihnen jetzt gebe.«
»Wenn ich nun aber ans Ufer gehe, die Polizei rufe und ihr alles mitteile?« fragte Kitson frech.
»Welchen Nutzen hätten Sie davon? Sie saßen doch schon einmal im Portland-Gefängnis. Wollen Sie wieder dorthin wandern? Wenn Sie Ihre Drohung wahrmachen sollten, werde ich schon dafür sorgen, daß Sie wieder hinkommen.«
»Ich glaube, das wird Ihnen kaum gelingen.«
»Auf Ihren Glauben kommt es gar nicht an«, entgegnete Sir George mit einem rauhen Lachen. »Ich kenne Ihr Vorleben ganz genau. In Monte Carlo wurde ein Mann ermordet, und Sie standen dabei und rührten keinen Finger, um den armen Teufel zu retten. Seit der Zeit haben Sie den Mörder erpreßt. Das ist an und für sich schon strafbar, außerdem sind Sie auch der Beihilfe zum Mord schuldig.«
»Sie wissen zuviel«, sagte Bud Kitson merkwürdig langsam und ruhig.
Blitzschnell schlug er Sir George die Pistole aus der Hand, und die Waffe fiel polternd auf das Deck.
»Lassen Sie mich los«, brüllte der Baronet, als Bud ihn an der Kehle packte.
Sie rangen miteinander auf dem Deck des großen Hausbootes. Plötzlich sprang Kitson zurück und schlug Sir George mit einem Kinnhaken zu Boden, so daß dieser besinnungslos liegenblieb. Vorsichtig beugte er sich über ihn, durchsuchte seine Taschen und fand, was er haben wollte. Er steckte die Brieftasche und die Pistole Sir Georges ein, zog dann ohne weitere Umschweife den Bewußtlosen an die Reling und warf ihn ins Wasser. Einige Zeit blieb er noch dort stehen und schaute in die dunklen Fluten, aber es war nichts mehr von Sir George zu sehen. Schnell ging er über das Deck und rief den Kapitän des Schleppers.
»Machen Sie Ihre Taue los und lassen Sie das Hausboot treiben!« befahl er.
Er hörte den Maschinentelegrafen, der das Signal zum Stoppen gab. Der Kapitän stieg von seiner kleinen Brücke und kam nahe an die Reling.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er.
»Machen Sie das Hausboot los«, wiederholte Bud …
»Ich kann Sie aber doch nicht