Edgar Wallace

Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band


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zu fahren, sondern zum Buckingham Gate. Infolge der veränderten Fahrtroute kam er fünf Minuten zu spät. Die Zurückhaltung, die Mrs. van Oynne zeigte, war direkt heroisch. Er entschuldigte sich vielmals und erklärte ihr seine Verspätung.

      »Also schon wieder Diana«, sagte sie vorwurfsvoll. »Ich hasse dieses Mädchen mit der Zeit!«

      »Meinen Sie Diana?«

      »Ja«, sagte Heloise schnell. »Aber Gordon, Sie glauben gar nicht, wie sehr ich mich auf den nächsten Sonnabend freue.«

      »Es ist mir allerdings eingefallen, daß am Sonnabend viel Verkehr ist. Die Züge werden von Leuten überfüllt sein, die zum Wochenende fortfahren.« Sie seufzte.

      »Wir brauchen ja nicht zusammen zu reisen«, sagte sie resigniert. »Wie vorsichtig und schüchtern Sie doch sind!«

      »O nein, ich bin durchaus nicht schüchtern!« protestierte Gordon verletzt. »Ich bin nur Ihretwegen besorgt – das ist mein einziger Grund. Übrigens habe ich Robert ins Vertrauen gezogen und ihm alles erzählt.«

      »Das ist Ihr Bruder, nicht wahr? Was hat er denn gesagt?« Sie war neugierig.

      »Robert ist ein Geschäftsmann, der wenig Phantasie hat. Zuerst dachte er – nun ja, Sie wissen ja selbst, was gewisse Leute immer denken werden, meine teure Heloise.«

      »Könnten wir nicht eigentlich schon am Freitag fahren?«

      »Das ist unmöglich. Am Freitag besucht mich ein Geschäftsfreund.« Er erzählte ihr von Mr. Tilmet.

      Während des Essens beobachtete sie, daß er etwas zerstreut war. Sie nahm an, daß er sich wegen der bevorstehenden Reise Gewissensbisse mache. Aber damit hatte sie nicht recht, denn Gordon dachte im Augenblick an Diana. Er wunderte sich, wie es möglich war, daß er erst heute auf ihren wunderbaren Teint und ihre Figur aufmerksam geworden war. In gewisser Weise hatte er sich daran gewöhnt, Diana zu ertragen und ein grimmiges Vergnügen zu empfinden, wenn sie ihm das Leben schwer machte. Aber er mußte zugeben, daß sie seinen Haushalt glänzend führte, denn sie hatte die Ausgaben bedeutend eingeschränkt. Sie war wirklich eine vorzügliche Hausfrau.

      »Warum lächeln Sie denn?« fragte Heloise.

      »Ach, habe ich gelächelt?« meinte er verlegen und beinahe entschuldigend. »Ich wußte es gar nicht, ich dachte an etwas – hm an etwas, das in meinem Büro passierte.«

      Selbst in seinen kühnsten Träumen hätte er nie geglaubt, daß er sich jemals wegen Diana herauslügen müßte.

       Inhaltsverzeichnis

      Als Diana nach Hause kam, war Gordon schon zurück. Er war nachdenklich und außerordentlich verlegen. Es war auch ganz ungewöhnlich, daß er noch auf war, im allgemeinen legte er sich sofort zur Ruhe, wenn er von einem Essen oder vom Theater nach Hause kam und ließ sich unter keinen Umständen um diese Zeit noch in große Unterhaltungen ein.

      »Hast du dich gut amüsiert?« fragte er.

      »Prächtig! Die Spitzen des Kolonialamtes waren da, es war eine auserlesene Gesellschaft. Du bist natürlich zu spät zur Verabredung gekommen – war sie sehr ärgerlich?«

      Unter anderen Umständen hätte er eine solche Frage einfach unbeantwortet gelassen.

      »Ich kam etwa fünf Minuten zu spät – die Dame war natürlich –«

      »Verstimmt?« ergänzte sie. »Siehst du, es war doch eine Dame! Gordon, kann ich sie nicht einmal sehen?«

      Er lächelte.

      »Ich glaube nicht, daß du dich für sie interessieren würdest. Sie ist eine durchaus geistige Frau.«

      Diana zeigte sich nicht beleidigt.

      »Wovon hast du denn mit der Dame gesprochen? Über den freien Willen oder über Doppelwährung?«

      Er war in guter Stimmung und sogar mitteilsam.

      »Wir sprachen über Bücher und Menschen«, sagte er leichthin. »Und worüber hast du dich unterhalten?«

      Sie legte ihr Cape über eine Stuhllehne, zog den Sessel nahe an den Kamin und setzte sich, um ihre Knie zu wärmen. Gordon, der sehr diskret war, setzte sich so, daß er es nicht sehen konnte.

      »Wir haben über Handel im allgemeinen, über die Güte des australischen Rindfleisches, über die Schwierigkeit, gute Dienstboten zu bekommen, und über die Affäre von Mrs. Carter-Corrillio gesprochen. Es ist doch wirklich unglaublich, was diese Frau getan hat – sie ist mit dem Sekretär der montenegrinischen Gesandtschaft nach Frankreich gereist. Sie war nur drei Tage dort, aber wie Lady Penford betonte, hat jeder Tag vierundzwanzig Stunden. Manche Frauen sind doch nicht gescheit, und die meisten Männer sind in solchen Fällen verrückt. Seine Karriere ist natürlich ruiniert, obgleich er einen Eid darauf leistet, daß sie die Reise nur wegen der Gräberfunde von Abbeville unternommen haben. Sie sind beide interessiert an Archäologie.«

      »Und warum sollte denn das nicht die richtige Erklärung für ihre Reise sein?« fragte Gordon trotzig. Dieser für Archäologie interessierte Gesandtschaftssekretär war ihm sehr sympathisch. »Warum sollen denn Männer und Frauen nicht auch einmal durch wissenschaftliche Interessen verbunden sein?«

      »Wir können ja abwarten, was der Richter dazu sagt. Mr. Carter-Corrillio hat die Scheidungsklage eingereicht.«

      »Was hat er denn als Grund angegeben? Gegenseitige Unverträglichkeit in archäologischen Fragen?«

      »Sei doch nicht so verrückt. Die Konvention ist nun einmal das Gesetz der Gesellschaft, und wer dieses überschreitet, scheut wahrscheinlich auch nicht davor zurück, das wirkliche Gesetz zu verletzen.«

      Er starrte sie verblüfft an, als sie diese inkonsequente Ansicht äußerte.

      »Aber, Diana, du selbst wohnst hier ohne Anstandsdame im Hause eines Junggesellen –«

      »Das ist etwas ganz anderes, wir sind doch miteinander verwandt«, erwiderte sie prompt. »Niemand sagt etwas davon, daß der Gesandtschaftssekretär der Vetter von Mrs. Carter-Corrillio ist. Das ist doch ein Unterschied. Außerdem weiß jedermann, wie unsympathisch ich dir bin.«

      »Das stimmt zwar nicht, aber wenn du davon überzeugt bist, warum bleibst du denn noch hier?«

      »Ich habe eine Mission hier«, erklärte sie so entschieden, daß er nichts mehr erwiderte. Er verschob die Mitteilung seiner bevorstehenden Abreise auf den nächsten Morgen.

      »Ich habe die Absicht, nach Schottland zu fahren und dort auf die Hühnerjagd zu gehen«, sagte er beim Frühstück. Er hatte aber ein schlechtes Gewissen, als er ihr das vorlog.

      »Was haben dir denn die Hühner getan?« fragte sie. Ihre großen, graublauen Augen sahen ihn vorwurfsvoll an.

      »Nichts – aber man schießt sie doch in dieser Jahreszeit. Ihr habt doch vermutlich auch Schonzeiten in Australien?«

      »Das weiß ich nicht, ich habe Känguruhs, Dingos, Kaninchen und andere Tiere geschossen, aber niemals Vögel. Nach Schottland? Das ist aber sehr weit weg, Gordon. Da werde ich mir Sorge um dich machen. Ich habe noch heute morgen von einem Eisenbahnunglück in der Zeitung gelesen. Wirst du mir auch telegrafieren, wenn du angekommen bist?«

      »Von jeder Station«, sagte er sarkastisch. Er schämte sich aber, als sie seine Worte ernst nahm und ihm herzlich für sein Versprechen dankte.

      »Darüber bin ich sehr froh. Ich habe immer Angst, daß Leute, die ich gern habe, bei Eisenbahnunglücken zu Schaden kommen könnten. Aber es ist gar nicht nötig, daß du mir telegrafierst, ich kann das ja auch tun. Ich kann ja an den Stationsvorsteher oder an das Hotel depeschieren, in dem du logierst.«

      Gordon wurde es plötzlich klar, welch eine große Dummheit er wieder