Edgar Wallace

Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band


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vermutet er schon so«, klagte sie. Langsam legte sie ihren Mantel ab. Gordon eilte zu ihr hin und wollte sie daran hindern.

      »Ziehen Sie ihn schnell wieder an!« sagte er, aber sie machte sich von ihm frei.

      »Ich gehe nicht – unter keinen Umständen gehe ich fort! Gordon, Sie können mich doch nicht auf die Straße werfen, nach allem, was wir einander waren!«

      Er schob sie nach der Hoftür zu. Er war außer sich vor Furcht und hoffte kaum noch auf eine glückliche Lösung.

      »Schnell durch diese Tür«, zischte er ihr zu. »Ich treffe Sie in einer halben Stunde in irgendeinem Restaurant. Heloise, verstehen Sie denn nicht, mein guter Ruf hängt davon ab –«

      Aber nun ließ sie die Maske vollkommen fallen.

      »In einem Restaurant – wollen Sie mich wirklich den Löwen zum Fraß vorwerfen?«

      Er sah sie erbittert an. War es möglich, daß eine Frau in einem so ernsten Augenblick noch dumme Witze machen konnte?

      »Ihr guter Ruf kümmert mich gar nicht«, sagte sie kühl. »Deswegen würde ich nicht den kleinsten Schritt tun. Ich werde dieses Haus nicht – allein verlassen!«

      Gordon bedeckte seinen Mund mit der Hand, obwohl er ja gar nicht sprechen, sondern nur ihr die Rede abschneiden wollte. Aber er stand zu weit von ihr entfernt, um ihr den Mund zuhalten zu können. Seine unfreiwillige Geste hatte aber wenigstens den Erfolg, daß sie schwieg. Plötzlich klopfte es an der Tür.

      »Wer ist in dem Zimmer?« fragte Diana.

      Gordon zeigte auf die Seitentür und suchte Heloise durch Gebärden verständlich zu machen, daß sie gehen solle, aber sie reagierte nicht darauf.

      »Wer ist hier?« fragte Diana lauter.

      »Schnell durch die Seitentür«, flüsterte Gordon.

      Heloise schüttelte den Kopf, zögerte und trat dann leise hinter den Vorhang. Das war ihr einziges Zugeständnis.

      »Wer hat die Tür abgeschlossen?«

      Dianas Stimme war jetzt dringend und erregt. Gordon zog seinen Rock zurecht, fuhr mit der Hand über das Haar, schloß die Tür auf und öffnete sie weit.

      »Es ist alles in Ordnung, meine liebe Diana!« Er grinste geistlos und fade. »Haha – Gordon ist wieder da! Gord, wie du ihn immer nennst. Ich komme gerade nach Hause. Hier bin ich … hier bin ich wieder wie ein falscher Pfennig!«

      Diana war ganz starr vor Schrecken, als sie hereintrat.

      Sein Mut sank, aber er hielt sich durch die Überzeugung aufrecht, daß sie schließlich überhaupt kein Recht hatte, sich in diesem Hause aufzuhalten. Er war doch der Hausherr, er war die höchste Autorität in seinen eigenen vier Wänden, obwohl er sich eben wie ein Dieb ins Zimmer geschlichen hatte.

      Sie betrachtete ihn schnell von Kopf bis zu Fuß und bemerkte eine fabelhafte Ähnlichkeit mit Gordon. Aber dann sah sie ihn genauer an: Er war etwas korpulenter als ihr Vetter (der graue Sportanzug mit den roten Tupfen brachte diesen Eindruck hervor), er war auch kleiner. Außerdem hatte er einen ganz gewöhnlichen Geschmack. Anscheinend wollte er sich durch diesen Aufzug als Sportsmann legitimieren. Gordon war ein Ruderer und ging auf die Jagd, aber er hätte sich niemals in einer solchen Aufmachung blicken lassen. Sie überlegte sich das schnell, ihre Gedanken rasten. Er dachte überhaupt nicht mehr. In Dianas Augen sah er jenes Leuchten, das er nicht liebte, und als sie auf ihn zuging, wich er vor ihr zurück.

      »Aber das ist doch nur der alte Gordon, haha!« scherzte er schwach.

      »So, Sie sind nur der alte Gordon!« Sie nickte verstehend. »Setzen Sie sich einmal dorthin, alter Gordon!«

      »Nun hör doch einmal zu, liebes Kind! Ich will dir alles erklären. Ich habe meinen Zug versäumt …«

      Sie öffnete langsam eine Schublade des Schreibtisches, ließ ihn dabei aber nicht aus den Augen. Plötzlich hielt sie eine Browningpistole in der Hand.

      Er hörte, wie sie lud und entsicherte.

      »Aber was tust du denn da, Diana!« rief er.

      Sie sah ihn durchbohrend und vernichtend an.

      »Wollen Sie bitte so liebenswürdig sein, mich nicht mehr Diana zu nennen«, erwiderte sie eisig. »Sie sind also doch gekommen, sehen Sie einmal an. Und selbst ich, die gewöhnlich auf alles gefaßt ist, habe Sie nicht erwartet! Aber Sie sind zu einer glücklichen Stunde gekommen, mein Freund!«

      »Aber begreife doch, mein liebes Mädel!«

      »Unterlassen Sie gefälligst die Vertraulichkeiten!« Energisch wies sie wieder auf einen Stuhl, und er setzte sich gehorsam. »Und bilden Sie sich ja nicht ein, daß ich mich von Ihnen täuschen lasse – ich kenne Sie!«

      »Du kennst mich?« fragte er heiser. Er wußte bald nicht mehr, ob er sich selbst noch kannte.

      »Ich kenne Sie«, wiederholte sie langsam. »Sie sind der Doppelgänger!«

      Er sprang auf, aber sie erhob sofort die Pistole. Er gestikulierte wild mit den Händen und wollte sprechen.

      »Sie sind der Doppelgänger!« Ihre Augen blitzten unheimlich. »Ich weiß alles von Ihnen – Sie erscheinen in der Gestalt Ihrer Opfer – Sie und die Frau, mit der Sie zusammenarbeiten, locken unschuldige Männer von ihren Häusern weg, damit Sie sie ausplündern können.« Sie schaute sich um. »Wo ist denn die Frau? Ist sie nicht auf der Szene? Oder ist ihre Aufgabe zu Ende, wenn sie die Leute weggelockt hat?«

      »Diana, ich schwöre dir, du irrst dich, ich bin dein Vetter Gordon!«

      »Mein lieber Doppelgänger, Sie sind diesmal nicht so sorgfältig zu Werk gegangen wie früher. Lassen Sie sich aber die Tatsache, daß ich Sie eben so freundlich angeredet habe, nicht zu Kopf steigen! Sie haben Ihr augenblickliches Opfer nicht genau genug studiert. Mein Vetter Selsbury trägt einen Backenbart – wußten Sie das nicht?«

      »Ich – ich hatte einen Unfall! In Wirklichkeit nahm ich ihn ab, um dir zu gefallen – dir zuliebe!«

      Ihr verächtliches Lächeln erschütterte ihn vollständig.

      »Mein Vetter Gordon gehört nicht zu den Männern, die Unfälle mit ihren Backenbärten haben«, sagte sie nachdrücklich. »Nun erzählen Sie mir einmal, wo Ihre Freundin steckt.«

      Er versuchte von dem Vorhang fortzuschauen und starrte feierlich geradeaus, aber dann wanderten seine Augen doch unfreiwillig zu dem Ausgang nach dem Hof. Diana folgte seinen Blicken und sah plötzlich, daß sich der Vorhang leise bewegte.

      »Kommen Sie, bitte, hervor!«

      Es kam keine Antwort.

      »Kommen Sie hervor – oder ich schieße sofort!«

      Sie sah, wie sich der Vorhang bewegte. Heloise stürzte kreidebleich ins Zimmer und warf sich dem vollständig geschlagenen Gordon an die Brust.

      »Schütze mich doch, sie darf nicht schießen! Sie darf nicht schießen!« schrie sie lös.

      Diana nickte befriedigt.

      »Das ist also Ihr Mann?« konstatierte sie.

      Sie ging zur Tür und schloß sie ab.

      »Nun hören Sie einmal zu, Herr und Frau Doppelgänger, oder welchen Namen Sie sonst führen mögen. Sie sind hierhergekommen, um einen ganz gemeinen Betrug auszuführen. Wenn ich wollte, könnte ich sofort zur Polizei schicken, um Sie dem Arm der Gerechtigkeit auszuliefern. Ich bin aber noch nicht ganz sicher, ob ich das tun werde. Im Augenblick ist Ihre Gegenwart jedenfalls wie von der Vorsehung herbeigeführt. Gordon Selsbury!« sagte sie dann verächtlich. »Glauben Sie vielleicht, daß Gordon Selsbury heimlich eine Frau in dieses Haus bringen würde? Bilden Sie sich ein, er würde wie ein drittklassiger Komödiant in einem derartigen Aufzug erscheinen? Erwähnen Sie nie wieder Mr. Selsburys Namen in meiner Gegenwart!«

      Gordon