Edgar Wallace

Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band


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sieben zu eins!«

      Black verstand genug vom Rennen, um zu wissen, daß mit dem Favoriten etwas nicht in Ordnung war. Kurz darauf traf er einen Buchmacher, den er oberflächlich kannte.

      »Welches Pferd hat Ihrer Meinung nach Chancen?« fragte er.

      »›Timbolino‹«, war die kurze Antwort.

      Er ging weiter und traf Sir Isaac Tramber dicht an der Barriere. Der Baronet sah bleich und aufgeregt aus.

      »Wodurch ist denn Ihr Pferd plötzlich wieder so stark in den Vordergrund gerückt?«

      »Ich habe erneut darauf gesetzt.«

      »Was, Sie haben noch mehr gewettet?«

      »Ja, ich mußte doch etwas tun!« erwiderte Sir Isaac wild. »Wenn ich verliere, dann verliere ich mehr, als ich zahlen kann. Ob die Summe größer oder kleiner ist, darauf kommt es nicht mehr an. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß ich erledigt bin, wenn das Pferd nicht gewinnt, es sei denn, daß Sie noch etwas für mich tun können. Und Sie helfen mir doch, Black, alter Sportsmann?« fragte er drängend. »Es hat ja doch keinen Zweck, daß wir beide Geheimnisse voreinander haben. Wir müssen doch zusammenhalten.«

      Black sah ihn fest an. Wenn ›Timbolino‹ verlor, hatte er den Mann noch fester in der Hand, und er konnte dann mit noch größerem Vorteil von seinem Namen und seiner gesellschaftlichen Stellung Gebrauch machen.

      »Wenn nur dieser schreckliche Verlond nicht so gemein wäre«, fuhr Sir Isaac fort. »Er hat das Mädchen direkt gegen mich aufgehetzt – sie behandelt mich, als ob ich Luft für sie wäre. Und ich dachte, es wäre alles schon in Ordnung. Ich habe auch nur so hoch gewettet, weil ich hoffte, ihr Geld zu bekommen.«

      »Was ist denn vorgefallen?«

      »Ich traf sie eben hier und hatte eine klare Aussprache mit ihr. Aber sie war einfach eiskalt und wies mich glatt ab. Scheußlich unangenehm!«

      In diesem Augenblick ging eine Bewegung durch die Menge. Über die Köpfe der Leute hinweg sahen sie die bunten Mützen der Jockeis, die zum Start ritten.

      Sir Isaac hatte es sorgfältig vermieden, in die Nähe des Sattelplatzes zu gehen, nachdem er einen Blick auf sein Pferd geworfen hatte. Horace dagegen überwachte bis zum letzten Augenblick persönlich die Behandlung von ›Nemesis‹. Er sah nach, ob die Gurte richtig angezogen waren, kontrollierte das Zaumzeug und gab dem Jockei letzte Instruktionen. Er schaute der Stute noch prüfend nach, als sie weggeführt wurde, und wandte sich dann zu den Tribünen.

      »Einen Augenblick, Gresham«, rief ihn Lord Verlond an, der hinter ihm herkam. »Glauben Sie, daß Ihr Pferd gewinnen wird?«

      »Ja, jetzt bin ich davon überzeugt. Ich habe wirklich Vertrauen.«

      »Glauben Sie auch«, fragte der Lord langsam weiter, »daß ›Timbolino‹ den ersten Platz belegt, wenn ›Nemesis‹ nicht gewinnt?«

      Horace sah ihn verwundert an.

      »Ja, das glaube ich wohl«, erwiderte er dann ruhig.

      Es entstand eine Pause. Lord Verlond fuhr mit der Hand mehrmals wie geistesabwesend über sein glattrasiertes Gesicht.

      »Wenn ich Sie nun bäte, Ihr Pferd zurückzuhalten, so daß es nicht gewinnt?« fragte er scheinbar gleichgültig.

      Gresham wurde plötzlich feuerrot.

      »Sie scherzen, Lord Verlond«, sagte er kalt.

      »Ich scherze nicht, ich spreche zu Ihnen als Ehrenmann und erwarte, daß Sie mein Vertrauen respektieren. Nehmen wir an, ich würde Sie allen Ernstes bitten, ›Nemesis‹ durch Ihren Jockei zurückhalten zu lassen – würden Sie das tun?«

      »Nein, auf gar keinen Fall. Aber ich kann nicht verstehen –«

      »Lassen wir die Frage, ob Sie es verstehen oder nicht, ruhig beiseite.« Lord Verlond verfiel wieder in seinen alten scharfen Ton. »Wenn ich Sie nun bäte und Ihnen als Belohnung dafür die Erfüllung Ihres heißesten Wunsches in Aussicht stellte – würden Sie es dann tun?«

      »Nein, um keinen Preis der Welt«, entgegnete Horace ernst.

      Ein bitteres Lächeln spielte um den Mund des alten Mannes.

      »Ich verstehe.«

      »Aber ich kann nicht begreifen, warum Sie diese Frage an mich gestellt haben.« Horace war bestürzt und verwirrt. »Sie wissen doch sicher –«

      »Ich weiß nur, daß Sie denken, ich wollte Sie veranlassen, Ihr Pferd zurückzuhalten, weil ich auf das andere gesetzt hätte«, sagte der Lord mit einem leichten Lächeln. »Ich möchte Ihnen raten, auf Ihre Redlichkeit nicht so stolz zu sein«, fügte er unhöflich hinzu, obwohl er immer noch lächelte. »Es könnte Ihnen in einigen Tagen leid tun, daß Sie meine Bitte nicht erfüllt haben.«

      »Wenn Sie mir sagen wollten –«, begann Horace.

      Die plötzliche Zumutung des Lords, der bei all seinen Fehlern doch ein echter Sportsmann war, hatte ihn sprachlos gemacht.

      »Ich werde Ihnen nichts sagen – weil ich Ihnen überhaupt nichts zu sagen habe.«

      Horace stieg ihm voraus die Treppe zu den Tribünen hinauf, Er war im Innersten aufgewühlt durch das ungewöhnliche Verhalten des alten Herrn. Er kannte ihn zwar als einen exzentrischen Mann; er wußte auch, daß Verlond in dem Ruf stand, ein schlechter Mensch zu sein, obgleich es keinen Beweis dafür gab. Aber selbst in den Augenblicken, in denen Horace am wenigsten freundlich von dem Lord dachte, wäre ihm nicht im Traum eingefallen, daß dieser alte Schuft – so nannte er ihn jetzt – ihn ernsthaft darum bitten könnte, sein Pferd zurückzuhalten. Es war einfach undenkbar. War Lord Verlond nicht früher Leiter verschiedener großer Rennen gewesen, und besaß er nicht die Mitgliedschaft eines der ersten Rennclubs der Welt?

      Er bahnte sich seinen Weg bis nach oben, wo er Lady Mary erblickte.

      »Du siehst bedrückt aus«, sagte sie, als er an ihre Seite trat. »Hast du dich über Onkel geärgert?«

      »Nein«, erwiderte er ungewöhnlich schroff und kurz.

      »Oder hat dein gutes Pferd Kopfschmerzen bekommen?« fragte sie neckend.

      »Ich habe mich an etwas Unangenehmes erinnert«, erwiderte er zusammenhanglos.

      Die Pferde waren jetzt alle am Start versammelt.

      »Dein Pferd steht in der Mitte«, rief sie ihm zu.

      Er nahm seinen Feldstecher und konnte das Schokoladenbraun und das scharfe Giftgrün der Farben seines Jockeis deutlich unterscheiden.

      Sir Isaacs Jockei – graue Streifen auf Weiß und eine gelbe Kappe – war ebensogut zu erkennen. ›Timbolino‹ hatte den Platz an der Innenseite gezogen.

      Die vierundzwanzig lebhaften, aufgeregten Tiere machten dem Starter viel Mühe. Zehn Minuten lang gingen sie zurück oder auf die Seite oder stießen sich gegenseitig vor den beiden langen Bändern. Er wartete mit musterhafter Geduld, kommandierte, ermahnte und fluchte schließlich, denn er war Schotte, und er hatte nicht den mindesten Respekt vor den Favoriten.

      Diese Pause gab Horace die Möglichkeit, seine Gedanken wieder zu sammeln; das sonderbare Ansinnen des Lords, der sich ruhig und gelassen neben ihm unterhielt, hatte ihn ein wenig aus der Fassung gebracht.

      Für Sir Isaac Tramber bedeutete die Verzögerung eine fast unerträgliche Steigerung der Spannung. Seine Hände zitterten nervös; er hob den Feldstecher ungeduldig und senkte ihn wieder. Eine grauenhafte Furcht packte ihn, als endlich das Startzeichen gegeben wurde. Das Feld fegte in donnerndem Galopp auf dem Weg zum Ziel die Bahn entlang.

      Beim Start ertönten laute Rufe aus der Menge. Alle Gläser richteten sich jetzt auf das Feld. Während der ersten beiden Achtelmeilen gab es keine Distanzen; der Start war glänzend verlaufen. Das Feld näherte sich in einer fast ausgerichteten Linie, aber plötzlich schob sich ein einzelnes Pferd dicht