Edgar Wallace

Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band


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Graf grüßte ihn mit ernster Miene.

      »Eine traurige Angelegenheit«, sagte er leise. »Haben Sie die Damen schon gesehen? Wie hat Miss Gray alles aufgenommen? Geht es ihr den Verhältnissen entsprechend gut?«

      Frank schaute ihn düster an.

      »Ihr Schreiben hat ihre Stimmung aufs beste beeinflußt.«

      »Mein Schreiben?« fragte Graf Poltavo erstaunt. »Ich habe ihr doch gar nicht geschrieben – Sie sehen doch, daß ich persönlich komme!«

      Franks erregte Züge verrieten, daß er Poltavos Worten keinen Glauben schenkte. Er zog wütend den Hut, ging die Treppe hinunter und wäre beinahe mit einem anderen Herrn zusammengestoßen.

      »Mr. Smith«, sagte er begierig, »haben Sie neue Nachrichten?«

      Der Detektiv sah ihn interessiert an.

      »Die Themsepolizei hat die Leiche eines Mannes aufgefischt. In seinen Taschen hat man viele Dinge gefunden, die das Privateigentum Mr. Farringtons sind.«

      »Dann ist es also doch wahr, daß ein Selbstmord vorliegt?«

      Der Detektiv schaute an ihm vorbei.

      »Wenn ein Mann seinen Kopf abschneiden kann, bevor er in den Fluß springt, könnte man an Selbstmord glauben«, erwiderte er vorsichtig. »Ich habe aber noch niemals ein solches Wunder erlebt und bin infolgedessen sehr skeptisch.«

      *

      Ein Zug fuhr in den Waterloo-Bahnhof ein. Als er zum Stehen gekommen war, stieg ein großer, schlanker Herr aus. Bei näherer Betrachtung erkannte man, daß er nicht mehr so jung war, wie der erste Eindruck vermuten ließ. An den Schläfen färbten sich seine Haare schon grau, und einige scharfe Linien waren um seine Mundwinkel eingegraben.

      Sein Gesicht war gebräunt; er schien erst vor kurzem aus einem heißen Klima nach England zurückgekehrt zu sein.

      Er stand jetzt vor dem Bahnhof und überlegte, ob er hier ein Auto nehmen oder unterwegs einen Wagen anrufen sollte, denn die Nacht war naß und kalt, und die Bahnfahrt hatte ihn ermüdet.

      Während er noch zögerte, fuhr geräuschlos ein großes Auto heran, und der Chauffeur berührte seine Mütze.

      »Ich danke Ihnen«, sagte der Mann lächelnd. »Sie können mich zum Metropol fahren.«

      Er öffnete die Tür und wollte eben einsteigen, als sich eine Hand leicht auf seinen Arm legte. Er wandte sich um und sah in humorvolle graue Augen.

      »Ich glaube, Sie nehmen besser einen anderen Wagen, Dr. Goldworthy«, sagte der Fremde.

      »Es tut mir leid –«, begann der Arzt.

      Der Chauffeur wäre abgefahren, nachdem er seinem Passagier einen schnellen Blick zugeworfen hatte, aber ein Mann, der unverkennbar der Geheimpolizei angehörte, sprang an seine Seite.

      »Es tut mir auch leid«, erwiderte Mr. T.B. Smith, denn er war es, der den jungen Arzt zurückhielt, »aber ich werde Ihnen alles erklären. Kümmern Sie sich nicht um den Chauffeur, meine Leute werden das in Ordnung bringen, Sie sind mit knapper Not einer Entführung entgangen!«

      Er brachte den bestürzten Mann nach Scotland Yard, und nach einer längeren Unterhaltung kannte er die Geschichte George Doughtons, der in den Armen Dr. Goldworthys gestorben war. Und er wußte nun auch von einem Kasten, der Papiere enthielt, die der Doktor Lady Constance Dex auszuhändigen versprochen hatte. Er erfuhr auch, wie diese Frau die Nachricht von dem Tod ihres einstigen Geliebten erhalten hatte.

      »Ich danke Ihnen«, sagte Mr. Smith, als Dr. Goldworthy endete. »Ich glaube, ich verstehe die Zusammenhänge jetzt.«

      8

       Inhaltsverzeichnis

      Am Morgen nach der Auffindung von Farringtons Leiche saß Mr. T.B. Smith in seinem schönen Arbeitszimmer, von dessen Fenstern aus er Brakely Square überschauen konnte. Er hatte sein einfaches Frühstück beendet. Das Tablett mit dem Geschirr war abgeräumt worden, und er war an seinem Schreibtisch beschäftigt, als der Diener ihm Lady Constance Dex ankündigte.

      Mr. T.B. Smith schaute gleichgültig auf die Karte.

      »Führen Sie die Dame herein, George.«

      Er erhob sich gerade, um seinem Besuch entgegenzugehen, als sich die Tür öffnete und Lady Constance Dex eintrat.

      Sein erster Eindruck war, daß er eine sehr schöne Frau vor sich hatte. Trotz einer gewissen Härte, die sich in ihren Zügen ausdrückte, und trotz all ihrer Charaktereigenschaften, von denen er schon gehört hatte, war sie doch zweifellos eine sympathische Erscheinung. Sie hatte eine wunderbar zarte Haut, mandelförmige Augen und ebenmäßige Züge. Seiner Schätzung nach mußte sie ungefähr dreißig Jahre alt sein, und er war damit auch nicht weit von der Wirklichkeit entfernt, denn Lady Constance war siebenundzwanzig.

      Sie war vornehm, aber mit unauffälliger Eleganz gekleidet. Er schob einen Stuhl für sie an die Seite seines Schreibtisches.

      »Bitte, nehmen Sie Platz.«

      Sie lächelte ihn dankbar an und setzte sich.

      »Ich fürchte, daß Sie mich für einen lästigen Menschen halten, der Sie bei der Arbeit stören will, besonders zu so früher Morgenstunde. Aber ich wollte Sie wegen der außerordentlichen Ereignisse der letzten Tage einmal sprechen. Ich bin gerade wieder in die Stadt gekommen. Sobald ich die letzten Nachrichten erhielt, fuhr ich von daheim ab.«

      »Mr. Farrington ist oder war doch Ihr Freund?«

      »Wir sind seit vielen Jahren eng befreundet gewesen«, antwortete sie ruhig. »Er war ein außerordentlicher Mann mit außerordentlichen Fähigkeiten.«

      »Nebenbei bemerkt, seine Nichte war doch vor einigen Tagen bei Ihnen zu Besuch, wenn ich nicht irre?«

      »Ja, sie war auf einem Ball, den ich gab, und blieb die Nacht bei mir. Ich fuhr nach dem Tanz mit meinem Auto nach Great Bradley zurück, so daß ich sie seitdem nicht mehr gesehen habe. Ich werde noch zu ihr fahren und sehen, ob ich etwas für sie tun kann.« Sie hatte sehr überlegt und ruhig zu sprechen begonnen, aber bei den letzten Worten mußte sie sich zusammennehmen, um die Herrschaft über ihre Stimme nicht zu verlieren.

      »Mr. Smith, ich habe erfahren«, sagte sie dann plötzlich, »daß Sie ein kleines Riechfläschchen besitzen, das mir gehört.«

      »Man fand es damals auf dem Grundstück Mr. Farringtons, als die beiden Italiener ermordet wurden.«

      »Was schließen Sie daraus?«

      »Daß Sie in jener Nacht in Mr. Farringtons Haus waren«, erwiderte Mr. Smith offen. »Lady Constance, wir wollen so aufrichtig wie möglich miteinander sprechen. Ich bin der Ansicht, daß Sie in der Nähe waren, als die Schüsse fielen. Als Sie sie hörten, gingen Sie durch die Küche wieder in das Haus und verheißen es dann durch einen hinteren Ausgang.«

      Er sah, daß sie die Lippen zusammenpreßte, und fuhr in gleichmütigem Ton fort:

      »Sie können sich denken, daß ich mich mit den Tatsachen, die ich damals feststellen konnte, nicht zufriedengab. Ich setzte in den frühen Morgenstunden meine Nachforschungen fort, als sich der Nebel ein wenig, verteilt hatte. Ich habe dabei Spuren gefunden, aus denen hervorgeht, wie Sie sich entfernt haben. Die Rückseite des Hauses liegt an einer Nebenstraße. Ich fand heraus, daß in den dortigen Garagen vier verschiedene Wagen untergebracht sind. Ich interessierte mich genauer dafür, aber keins der Autos, die dort stationiert sind, besaß die Gummireifen, deren Eindrücke ich feststellen konnte. Die Sache wird sich so zugetragen haben: Sie hörten die Auseinandersetzung vor dem Haus und gingen hinaus, um zu lauschen, nicht, um sich zu entfernen. Als Sie dann wußten, worum es ging, eilten Sie die kleine Straße zurück, bestiegen Ihren Wagen, der dort auf Sie