E. T. A. Hoffmann

Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann


Скачать книгу

die Qual der vergeblichen Zauberkünste, die mir alles tief einprägen und so meinem ohnehin nur zu treuen Gedächtnis zu Hilfe kommen mußte. – Das eigentliche Gedächtnis, höher genommen, besteht, glaube ich, auch nur in einer sehr lebendigen, regsamen Phantasie, die jedes Bild der Vergangenheit mit allen individuellen Farben und allen zufälligen Eigenheiten im Moment der Anregung hervorzuzaubern vermag. Wenigstens hörte ich dies von einem meiner gewesenen Herren behaupten, der ein erstaunliches Gedächtnis hatte, unerachtet er selten Namen und Jahrzahlen behielt.

      Ich. Er hatte recht, dein Herr, und also möcht' es sich auch mit Worten und Reden, die tief ins Gemüt drangen, und die man im innersten, tiefsten Sinn aufnahm, anders verhalten als mit auswendig gelernten Vokabeln. – Doch wie ging es weiter mit dir, Berganza?

      Berganza. Mühsam schleppte ich mich, matt und entkräftet wie ich war, von der Heerstraße in einen nahe gelegenen Busch und schlief ein. Als ich erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel, und das Hexenöl schmorte auf meinem borstigen Rücken. Ich stürzte mich in den Bach, der durch das Gebüsch rauschte, um mich von meiner widrigen Salbung rein zu baden, und eilte dann mit verjüngter Kraft rasch davon, da ich nach Sevilla nicht zurückkehren und so vielleicht der verruchten Cannizares noch einmal in die Hände geraten mochte. – Jetzt aber merke auf, denn nun erst kommt, wie die Moral nach der Fabel, dasjenige, was dir zu wissen nötig, um meine Existenz zu begreifen.

      Ich. Das wünsche ich in der Tat zu hören. Denn indem ich dich so anschaue, indem ich so bedenke, daß nun schon seit mehreren hundert Jahren –

      Berganza. Sprich nicht weiter! – Das Vertrauen, das ich zu dir faßte, ist wert, von dir vergolten zu werden, oder bist du auch einer von denen, die es für gar nicht wunderbar halten, daß die Kirschen blühen und nachher zu Früchten reifen, weil sie diese dann essen können, die aber alles für unwahr halten, wovon ihnen bis dato die leibliche Überzeugung abgeht? O Lizentiat Peralta! – Lizentiat Peralta!

      Ich. Ereifre dich nicht, mein lieber Berganza! Man sagt im Sprichwort: das sind Menschlichkeiten; nimm diesen Zweifel, diesen Unglauben an das Unglaubliche, der mir wider Willen aufsteigt, dafür.

      Berganza. Du gibst selbst den Ton zu der besonderen Melodie an, in die ich bald fallen werde! – Wie ich nun von neuem aufgelebt und ermutigt über Wiesen und Felder sprang, wie ich auf die Art, die dir aus meinem früheren Leben schon bekannt ist, bei diesem oder jenem glücklich unterkam, das übergehe ich, um dir gleich zu sagen, daß ich von Jahr zu Jahr jedesmal an dem verhängnisvollen Tage, der mich in den verfluchten Hexenkreis trieb, die Wirkung des vermaledeiten Zaubers auf eine eigene qualvolle Weise spürte. – Wenn du mir versprichst, keinen Anstoß zu nehmen an dem, was vielleicht dich und dein Geschlecht betreffen könnte, wenn du mit mir, dem Spanier, über manchen vielleicht verfehlten Ausdruck nicht rechten willst, so versuche ich –

      Ich. Berganza! erkenne in mir einen wahrhaften Weltbürgersinn; das heißt, anders als gewöhnlich genommen. Ich unterstehe mich nicht, die Natur engherzig zu scheiden und zu klassifizieren, und daß du überhaupt nur sprichst und noch dazu ganz gescheit, läßt mich alles diesem Wunderbaren Untergeordnete gänzlich vergessen. Sprich also, Teurer, wie zu deinem Freunde; rede, wie war die Wirkung des verrufenen Hexenöls noch nach Jahren?

      – Hier stand Berganza auf, schüttelte und kratzte sich in gekrümmter Stellung mit der linken Hinterpfote hinter dem linken Ohre. Nachdem er noch ein paarmal herzhaft geniest, wozu ich eine Prise nahm und: Contentement sagte, sprang er auf die Bank und lehnte sich an mich, sodaß die Schnauze beinahe mein Gesicht berührte; dann ging das Gespräch weiter fort.

      Berganza. Die Nacht ist kühl, genieße daher etwas von meiner animalischen Wärme, die zuweilen gar in elektrischen Funken aus meinen schwarzen Haaren knistert; dazu mag ich das, was ich dir jetzt erzählen will, nur ganz leise herreden. – Ist der unglückselige Tag gekommen und naht die verhängnisvolle Stunde, so fühle ich erst ganz besondere Appetite, die mich sonst niemals anwandeln. Ich möchte statt des gewöhnten Wassers guten Wein trinken – Sardellensalat essen. Alsdann muß ich gewisse Menschen, die mir in den Tod zuwider und die ich sonst anknurre, freundlich anwedeln. – Nun steigt es und steigt es. Hunde, die mir an Kraft und Mut gewachsen, die ich aber sonst furchtlos bekämpfe, wenn sie mich befehden, vermeide ich, aber den kleinen Möpsen und Spitzen, mit denen ich sonst gern spiele, möchte ich nun gern hinterrücks einen Tritt geben, weil ich weiß, daß es ihnen weh tut und sie sich nicht rächen können. Nun schraubt und dreht es sich im Innersten. Alles schwebt und schwimmt vor meinen Augen – neue unbeschreibliche Gefühle pressen und ängstigen mich. Der schattige Busch, unter dem ich sonst so gern liege und mit dem ich zu sprechen wähne, wenn so der Wind die Äste rührt, daß aus jedem Blatt ein süßer Laut säuselnd hervorblinkt, der ist mir zuwider; in den hellen Mond, vor dem die Wolken sich wie vor dem König der Nacht in prächtiges Gold putzen, wenn sie bei ihm vorüberziehn, kann ich nicht hinein blicken; aber unwiderstehlich treibt es mich hinauf in den erleuchteten Saal. Da möchte ich aufrecht gehen, den Schwanz einklemmen, mich parfümieren, französisch sprechen und Gefrornes fressen, daß jeder mir die Pfote drücken sollte und sagen: »mon cher Baron« oder »mon petit Comte!« und nichts Hündisches an mir spüren. – Ja, es ist mir dann entsetzlich ein Hund zu sein, und indem ich schnell wie der Gedanke in einer vermeintlichen Bildung zum Menschen steige, wird mein Zustand immer ängstlicher. Ich schäme mich, jemals an einem warmen Frühlingstage auf der Wiese gesprungen oder mich im Grase gewälzt zu haben. Im härtesten Kampfe werde ich immer bedächtiger und ernsthafter. – Zuletzt bin ich ein Mensch und beherrsche die Natur, die Bäume deshalb wachsen läßt, daß man Tische und Stühle daraus machen kann, und Blumen blühen, daß man sie als Strauß in das Knopfloch stecken kann. Indem ich mich aber so zur höchsten Stufe hinaufschwinge, fühle ich, daß sich eine Stumpfheit und Dummheit meiner bemächtigt, die, immer steigend und steigend, mich zuletzt in eine Ohnmacht wirft.

      Ich. Ach! – Ach! – mein lieber Berganza, ich habe es wohl gesagt, in die menschliche Gestalt wollten sie den Montiel putzen, den der Papa Satan zu was anderm verbraucht hat; die Zauberkünste scheiterten an der Gewalt des Junkers, der im spottenden Hohn, wie Mephistopheles in der Hexengarküche, Gerätschaften und Tiere durcheinander warf, daß die Scherben sprangen und die Gelenke knackten, und da bereiteten sie dir den gräßlichen Kampf, den du nun, wie du sagst, jedes Jahr an dem unglückseligen verhängnisvollen Tage zu bestehen hast.

      Berganza. Dieser Kampf scheint mir aber mit stets reproduktiver Kraft ein Leben bis in die Ewigkeit zu sichern; denn verjüngt und gestärkt erwache ich jedesmal aus der Ohnmacht. Die besondere Konstellation, unter der ich geboren und die mir vergönnte, daß ich euer Sprechen nicht nur abhorchen, sondern auch wirklich nachmachen konnte, ist in Konflikt geraten mit jenen Zauberkünsten der Hexen, und nun laufe ich, prügel-, schuß- und stichfest in der Welt umher wie der ewige Jude; und meine Ruhestätte ist nirgends zu finden. – Es ist eigentlich ein bejammernswürdiges Schicksal, und du fandest mich, da ich eben einem widrigen Herrn entlaufen und den ganzen Tag nichts gegessen, in Betrachtungen über mein Elend vertieft.

      Ich. Armer Berganza! – Indem ich dich so näher im Mondschein betrachte, treten in deinem, wiewohl etwas schwärzlichen Gesichte immer mehr Züge einer treuen Biederherzigkeit, eines edlen Sinnes hervor. Selbst dein, übrigens etwas befremdendes, Talent zu sprechen, erregt in mir kein Grauen mehr. – Du bist (ich darf es sagen) ein poetischer Hund, und da ich selbst – du mußt es wissen, da du mich kennst – von allem Poetischen hoch entflammt bin, wie wäre es, wenn du mir deine Freundschaft gönntest, wenn du mit mir kämst?

      Berganza. Davon ließe sich reden, allein –

      Ich. Kein Fußstoß, noch weniger Prügel. – Alle Tage nebst dem Gewöhnlichen zum Dessert eine wohlzubereitete Bratwurst. – Auch soll dir oft genug eine Kalbskeule süß entgegenduften, und du nicht vergebens auf ein stattliches Stück davon harren.

      Berganza. Du merkst, daß dein Vorschlag seine Wirkung nicht verfehlt, da ich nicht unterlassen kann, mit der Nase zu schnuppern, als sei der Braten schon in der Nähe. Allein du hast etwas fallen lassen, was mich, wo nicht ganz abschreckt, doch sehr zweifelhaft macht.

      Ich. Nun, Berganza?

      Berganza.