Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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suchen und dabei ihre Niedrigkeit erleiden, ohne darum an der Menschheit zu verzweifeln, er muß die Götter rühmen und als Herrliche verkünden, die ihn, den Verkünder, einsam lassen in seinem Elend der Erde. Aber Rede und Schweigen, beides wird ihm zur heiligen Not: die Geweihten sind gezeichnet.

      Hölderlin hat also volle Bewußtheit seines tragischen Geschicks: wie bei Kleist und Nietzsche überhöht das tragische Untergangsgefühl schon früh sein Leben und wirft den Schatten deutsam um ein Jahrzehnt voraus. Aber dieser zarte, schmächtige Pastorenenkel Hölderlin hat wie jener Pastorensohn, wie Nietzsche, den antiken Mut, ja die promethidenhafte Lust, sich mit dem Unendlichen zu messen. Niemals versuchte er das Dämonisch-Überflutende seines Wesens, wie Goethe, zu dämmen, zu exorzisieren oder zu zügeln: während Goethe ewig auf der Flucht vor seinem Schicksal ist, um den ungeheuren Schatz des Lebens zu retten, den er sich anvertraut fühlt, tritt eherner Seele und doch ungerüstet Hölderlin mit keiner anderen Waffe als seiner Reinheit dem Gewitter entgegen. Furchtlos und fromm zugleich (dieser herrliche Zwieklang seines Wesens durchklingt sein ganzes Schicksal wie jedes Gedicht) erhebt er die Stimme zum Hymnus, um all die Brüder und Märtyrer der Dichtungen an den heiligen Glauben zu mahnen, an das Heldentum der höchsten Verantwortung, an das Heldentum ihrer Mission:

      Wir sollen unsern Adel nicht verleugnen, Den Trieb in uns, das Ungebildete Zu bilden nach dem Göttlichen in uns.

      Der Preis, der ungeheure, will nicht heimlich durch Kleinheit der Gesinnung, durch Sparsamkeit mit dem täglichen Glück hinterzogen sein. Dichtung ist Herausforderung an das Schicksal. Frommheit und Kühnheit zugleich: wer mit den Himmeln Zwiesprache hält, darf ihre Blitze nicht scheuen und das unausweichliche Fatum:

      Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern, Ihr Dichter! mit entblößtem Haupte zu stehen, Des Vaters Strahl, ihn selbst, mit eigner Hand Zu fassen und dem Volk, ins Lied Gehüllt, die himmlische Gabe zu reichen. Denn sind nur reinen Herzens, Wie Kinder, wir, sind schuldlos unsere Hände, Des Vaters Strahl, der reine, versenget es nicht. Und tieferschüttert, eines Gottes Leiden Mitleidend, bleibt das ewige Herz doch fest.

      Phaeton oder die Begeisterung

       Inhaltsverzeichnis

       O Begeisterung, so finden Wir in Dir ein selig Grab, Tief in deine Wogen schwinden Still frohlockend, wir hinab, Bis der Höre Ruf wir hören Und, mit neuem Stolz erwacht, Wie die Sterne, wiederkehren In des Lebens kurze Nacht.

      Für eine so heroische Mission, wie sie dem Dichter im Hölderlinschen Mythos zugedacht ist, bringt der jugendliche Schwärmer eigentlich – warum es künstlich verleugnen? – nur geringe poetische Begabung mit. Nichts in der geistigen Haltung noch im dichterischen Duktus des Vierundzwanzigjährigen kündigt Eigenpersönlichkeit deutsam an: die Formen seiner ersten Gedichte, ja selbst einzelne Bilder, Symbole und selbst Worte sind in beinahe unerlaubter Ähnlichkeit den Meistern seiner Tübinger Schulzeit entlehnt, den Oden Klopstocks, den tönend hinrauschenden Hymnen Schillers, der deutschen Prosodik Ossians. Seine dichterischen Motive sind arm, nur die jugendliche Feurigkeit, mit der er sie in immer gesteigerten Variationen wiederholt, täuscht über die Enge seines geistigen Horizontes hinweg. Seine Phantasie wiederum schwelgt in einer vagen und doch gestaltlosen Welt: die Götter, der Parnaß, die Heimat bilden dort den ewigen Traumkreis, selbst die Worte, die Epitheta »himmlisch, göttlich« kehren in bedenklicher Monotonie wieder. Noch unentwickelter ist seine Gedanklichkeit, durchaus von Schiller und den deutschen Philosophen dependierend: erst später dunkelt aus der Tiefe der Umnachtung geheimnisvolle Spruchrede, wie eines Sehers Aussage nicht eigenen Geistes, sondern gleichsam des Weltgeistes orphische Rede. Wichtigste Elemente der Gestaltung fehlen selbst in spurhafter Andeutung: sinnlicher Blick, Humor, Menschenkenntnis, kurz alles, was vom irdischen Bezirke stammt, und da Hölderlin aus beharrlichem Instinkt jede Vermengung mit dem Leben abweist, steigert sich diese eingeborene Lebensblindheit zu einem absoluten Traumzustand, zu einer idealen Ideologie der Welt. Salz und Brot, Vielfalt und Farbe fehlen vollkommen der Substanz seines Gedichtes, das unverweigerlich ätherisch, durchsichtig, gewichtlos bleibt und dem auch die dunkelsten Jahre nur das geheimnisvoll stofflose Wesen von Wolken, etwas Wehendes, Deutsames und Ahnungsvolles geben. Auch seine Produktivität ist durchaus gering, häufig gehemmt von einer Ermattung des Gefühls, einer dumpfen Melancholie, einer Verstörung der Nerven. Neben der ursprünglichen saftvollen Fülle Goethes, in dessen Verse alle Kräfte und Säfte des Lebens keimhaft trächtig eingemischt sind, neben diesem fruchtbaren Gefilde, das von starker Hand tätig durchackert, wie ein offenes Feld Sonne und Regen, alle Elemente des Himmels in sich einsaugt, erscheint Hölderlins dichterischer Besitz durchaus arm: vielleicht ist niemals in der deutschen Geistesgeschichte aus so wenigen dichterischen Urelementen ein so großer Dichter geworden. Sein »Material« – wie man vom Sänger sagt – war unzulänglich. Sein Vortrag alles. Er war schwächer als jeder andere: ihm aber wuchs in der Seele Gewalt in die obere Welt. Seine Begabung hatte geringes spezifisches Gewicht, aber einen unendlichen Auftrieb: Hölderlins Genie ist im letzten nicht so sehr Genie der Kunst als vielmehr ein Wunder der Reinheit. Sein Genius war die Begeisterung, die unsichtbare Schwinge.

      Darum ist Hölderlins ursprüngliche Begabung nicht philologisch meßbar weder im Sinne der Breite, noch in jenem der Fülle: Hölderlin ist vor allem ein Intensitätsproblem. Seine dichterische Figur erscheint (im Vergleich zu den andern mächtig und muskulös gebauten) durchaus schmächtig, er steht neben Goethe, neben Schiller, den Wissenden und Vielfältigen, den Stromhaften und Starken, so einfältig schlicht und scheinbar schwach, wie Franciscus von Assisi, der sanfte, unwissende Heilige neben den riesigen Pfeilern der Kirche, neben Thomas von Aquino, Sankt Bernhard, Loyola, neben diesen großen Baumeistern des mittelalterlichen Doms. Wie jener hat er nichts als die engelhaft klare Zärtlichkeit, als das ekstatische Brudergefühl zum Element, aber auch die eminent franciscanische, die kampflose Kraft der Begeisterung. Wie jener wird er Künstler ohne Kunst, nur durch den evangelischen Glauben an die höhere Welt, nur durch eine gleich heldenhafte Geste der Preisgabe wie jene des jungen Franciscus auf dem Marktplatz zu Assisi.

      Nicht also eine partielle Kraft, eine einzelne poetische Begabung prädestiniert Hölderlin zum Dichter, sondern die Fähigkeit seiner Zusammenfassung der ganzen Seele in einen gesteigerten Zustand, jene einzige Gewalt der Erdflucht, des Sichverlierens ins Unendliche. Hölderlin dichtet nicht aus dem Blut, aus dem Samen, aus den Nerven, aus dem Sinnlichen, aus dem persönlichen, privaten Erlebnis, sondern aus einer eingeborenen spasmischen Begeisterung, einer urtümlichen Sehnsucht nach einem unerreichbaren Oben. Für ihn gibt es keinen einzelnen Anlaß des Poetischen, weil er das ganze Universum dichterisch sieht. Die ganze Welt erscheint ihm als ein ungeheures Heldengedicht, und was er von ihr schildernd ergreift, Landschaft, Strom, Mensch und Gefühl, wird sogleich unbewußt heroisiert. Der Äther ist ihm so sehr »Vater«, wie Franciscus die Sonne der »Bruder«; Quelle und Stein öffnen sich ihm wie den Griechen als atmende Lippe und gefangene Melodie. Auch das Nüchternste, das er klingenden Wortes berührt, nimmt geheimnisvoll jener platonischen Welt Wesenheit an, wird sofort transparent, zittert melodisch in einer Leuchtkraft der Sprache, die mit der sachlichen des Tages nur die Vokabeln gemein hat: ein neuer Glanz ist auf seinem Wort wie Morgentau auf einer Wiese, eine Unberührtheit von allem Menschenblick. Niemals in der deutschen Literatur war das Gedicht vor ihm oder nach ihm so durchaus flughaft, so aufgehoben über die Erde. Darum erscheinen alle Wesen darin so, wie man sie im Traume sieht, geheimnisvoll losgelöst von ihrer Schwerkraft, gleichsam als die Seelen ihres Seins: niemals hat Hölderlin (das ist seine Größe und seine Beschränkung) die Welt sehen gelernt. Er hat sie immer nur gedichtet.

      Diese großartige Fähigkeit zum innern Aufschwung ist Hölderlins eigenste und einzige Kraft; er gerät niemals hinein in das Untere, Gemengte, ins taghaft Irdische des Lebens, sondern stößt sich flughaft in eine höhere Welt (die ihm Heimat ist) empor. Er hat nicht die Wirklichkeit, aber er hat eine eigene Sphäre, sein klingendes Jenseits. Immer zielt er nach oben:

       O Melodien über mir, ihr unendlichen, Zu euch, zu euch,

      immer stößt er sich wie ein Pfeil vom gespannten Bogen in das Himmlische,